Roth: Brieftauben haben ausgedient

14.4.2018, 06:00 Uhr
Roth: Brieftauben haben ausgedient

© Fotos: Petra Bittner

Es gab Zeiten, da schauten Männer wie Günter Schönweis in den blauen Himmel über dem Rother Eigenheim und hatten "einfach eine Freude". Wenn der 71-Jährige heute den Blick nach oben wendet, dann sieht er dunkle Wolken. Es sind die Wolken einer düsteren Zukunft. Zwar gehe ihm immer noch "das Herz auf", sobald er seine Tauben nach Hause kommen sieht, aber inzwischen ist Schönweis der Letzte seiner Art am Ort: der letzte aktive Rother Brieftaubenzüchter.

Dabei habe es glanzvolle Jahrzehnte gegeben. Jahrzehnte, in denen die Lüfte der Stadt voller Vögel, und Optimisten unter den "Tauberern" keine Seltenheit waren. Allein in Roths Nord-Osten fallen ihm auf Anhieb ein Dutzend "Kollegen" ein, die sich nach dem Krieg einen Schlag gefiederter Freunde am Haus hielten. So wie seine unmittelbaren Nachbarn, die Gebrüder Barthel.

Günter Schönweis war somit "schon als kleiner Bub fasziniert" und trat dem Rother Brieftaubenzüchterverein mit der Kennziffer 5199 schließlich als Jugendlicher bei. Damals, erinnert er sich, zählte dieser Zusammenschluss an die 30 Mitglieder und erfreute sich eines regen Vereinslebens. Das war einmal.

55 Jahre sind´s heuer, die Günter Schönweis als Brieftaubenzüchter aktiv ist. Erfolgreich wäre untertrieben. Das dokumentiert der Umstand, dass es Räume in seinem Anwesen gibt, in denen er selbst wohnt und Zimmer, wo seine Pokale und Medaillen residieren.

In der Tat habe er "auf fast allen Ebenen" etwas erreicht, Myriaden von Titeln auf lokaler sowie regionaler Ebene abgesahnt und sich bei nationalen wie internationalen Meisterschaften chronisch auf die vorderen Plätze geschoben.

Seelentröster

Zählen? Nein, zählen würde er seine Auszeichnungen längst nicht mehr. Natürlich sei er ehrgeizig, zugegeben. Aber im Kern gehe es auch um etwas anderes: "Diese Tiere bringen einen seelisch wieder in die Balance", sagt Günter Schönweis. Keiner weiß das besser als er: 2002 verlor er kurz nacheinander Ehefrau und Bruder – "ohne die Tauben hätt´ ich das nicht gepackt".

Sobald Günter Schönweis seine 90 "fliegenden Mieter" erwähnt, die keine Namen, sondern Chips mit Nummern tragen, ist er happy. Die Miene hellt sich auf und er kommt ins Erzählen. Von den alten Rother "Tauberern" spricht er dann; von glücklichen Tagen, als sich in der Familie Schönweis alles um den Brieftaubensport drehte; von seiner Schlaggemeinschaft mit dem Heidecker Speditionsunternehmer Xaver Heinloth oder von den großen Wettbewerben in Spanien, Dänemark, Holland.

Er berichtet mit Stolz von der viertbesten deutschen Täubin, die aus seinem Schlag kam und von der Freundschaft zu renommierten niederländischen Züchtern, die ihre Tiere für Bündel von Tausendern vertickten. "Ich bin ganz schön rumgekommen", meint er sinnierend. Und Ansehen unter Seinesgleichen hätte er sich auch verschafft.

Das kann Dominique Schwarz aus Schattenhof bei Kammerstein bestätigen. Dominique gilt als echte "Rarität". Viele wie ihn gibt es nämlich nicht mehr: Mit seinen 32 Jahren ist er jüngstes Mitglied der Reisevereinigung (RV) Schwabach, der sein Vater Dieter vorsteht.

Reisevereinigungen sind lokale Züchter-Zusammenschlüsse, die Wettflüge organisieren und ihre Tauben dazu gemeinschaftlich – nomen est omen – auf die Reise schicken. Rund 600 solcher RV´s existieren in Deutschland noch; sie sind Teil der 65 deutschen Regionalverbände mit ihren 5500 Vereinen, deren Dachorganisation in Essen sitzt und Stand Oktober 2017 32 000 Züchter registrierte. Tendenz: Rapide sinkend!

Auch die 87 Angehörigen der RV Schwabach, unter ihnen Günter Schönweis, packen ihre Tiere regelmäßig in einen geräumigen Kabinenexpress, der die "Gefiederten" schließlich Hunderte von Kilometer weit wegbringt. Dann gilt´s: Die Taube, die den Heimweg von dort aus am schnellsten wiederfindet, hat gewonnen – und den Züchter um einen Preis reicher gemacht.

So einfach das Prinzip anmutet, so komplex ist es doch. Günter Schönweis redet viel von "Gefühl", wenn es um das Handling seiner Täubchen geht. Aktuell wird – wetterabhängig - ein paarmal die Woche trainiert, denn am 5. Mai beginnt die Alttauben-Saison. 13 Flüge sollen seine Vögel bis Ende Juli absolviert haben. Der erste startet im baden-württembergischen Sinsheim; der letzte im französischen Creil, nördöstlich von Paris. Auf solchen Distanzen legten die fixesten Tauben in den vergangenen Jahren teilweise eine Durchschnittsgeschwindigkeit von bis zu 140 km/h hin.

Die Zeiten übermittelt übrigens der Chip am Fuß des Vogels. Der elektronische "Konstatierer" am heimischen Taubenschlag nimmt die Daten beim Einfliegen auf und leitet sie an einen Zentralcomputer weiter, der jede Millisekunde registriert. "Hochleistungssportler!", lobt Günter Schönweis.

Umso wichtiger sei´s, die "Flugathleten" langsam an die Herausforderung heranzuführen, "Stück für Stück". Adäquates Trainieren, die richtige Fütterung und gezielte Gabe von Nahrungsergänzungsmitteln sowie ein Pausieren zwischen den Flügen wären elementar, weiß Schönweis. Das Patentrezept dafür hätte er nicht – "man muss ein Gespür entwickeln".

Eines, das der Rother untrüglich besitze. So umschreibt das Dominique Schwarz. Denn dem ist dank Nachwuchs von Vögeln aus Schönweis´scher Zucht ein doppeltes Kunststück mit Ausnahmestatus gelungen: Dominique Schwarz hat gleich zwei internationale Olympiaden siegreich bestritten: 2009 attestierte man ihm in Dortmund, dass die beste und schönste deutsche Täubin aus Schattenhof käme. Damit hatte sich der Jung-Züchter gegen Konkurrenten aus 23 Nationen durchgesetzt. An der Wiederholung arbeitet er stetig - "wär ein Traum!"

Zeit, Geld, Verantwortung. Die gelte es dafür zu investieren. Mindestens vier Stunden am Tag - während des Trainings auch mal mehr - und rund 2500 Euro Futter-, Reise- sowie Tierarztkosten pro Jahr hat Dominique Schwarz für seine rund 200 Vögel aufzubringen. Plus die Kosten für den Erwerb neuer Exemplare zu Zuchtzwecken. Weniger Aufwand funktioniere kaum, und "ausschalten wie einen PC" könne man die Tiere gleich gar nicht. Wohl auch deshalb werde der Taubensport zunehmend unpopulär: "Von den Jungen will sich keiner mehr festlegen".

Keine Lobby

Hinzu käme das "Greifvogel-Problem", das selbst den alten Hasen zu schaffen macht. Ein landkreisweiter Schwund von bis zu 400 Brieftauben pro Saison sei inzwischen Standard, "weil der Wanderfalke mit seinen 250 Stundenkilometern leichtes Spiel hat", erläutert Dominique Schwarz. Dass Greifvögel aber "nicht unbedingt in Siedlungsgebiete gehören", davon würde der Tierschutz nix wissen wollen. "Und uns sind die Hände gebunden, weil wir keine Lobby haben", kommentiert Günter Schönweis resigniert.

Nichtsdestotrotz. Wenn Dominique Schwarz davon schwärmt, wie er nach der Arbeit bei seinen Tauben "das Stresslevel runterfahren" könne; wie ihn die unterschiedlichen Charaktere der Tiere verblüffen würden; wie er sich mit den Vögeln freue, wenn die nach einem langen Flug nach Hause kehrten und vor Vergnügen beinahe mit den Flügeln klatschten – dann scheint das die beste Werbung für ein Hobby zu sein, das sich offenbar schnell zur "Leidenschaft" auswächst.

Preise von bis zu 450 000 Euro für besonders erfolgreiche Vögel, wie sie gerade von asiatischen Käufern gezahlt würden, reizen Männer wie Schönweis und Schwarz daher wenig. Sie würden einfach mal wieder in den Himmel schauen können und ihre ungetrübte Freude dabei haben...

Kontakt: Günter Schönweis, Tel. (0 91 71) 16 31 oder Dominique Schwarz, Tel. (01 60) 90 16 98 15.

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