Roth: Standing Ovations für Konstantin Wecker

24.5.2017, 18:02 Uhr
Roth: Standing Ovations für Konstantin Wecker

© Foto: Manfred Klier

In "Solo am Flügel" blickte er zunächst auf die "oide Zeit" zurück. "Gestern habns an Willy daschlogn, und heit, und heit, und heit werd a begrobn.". Willy, der aufmüpfige Streiter war in eine Messerstecherei geraten. Das Lied hatte für Wecker den Durchbruch bedeutet, obwohl es in Hamburg nicht so recht verstanden wurde. Bis auf eine Tatsache sei das Lied authentisch, gestand Wecker. Der angeblich erschlagene Willy stand putzmunter im Foyer und verkaufte CDs.

Lustig plaudernd, oft aber mit hintersinnigen und nachdenklich stimmenden Gedanken erzählte Wecker sehr offen aus seinem Leben, das nicht immer geradlinig verlaufen war. In einem bodenlangen Nerzmantel habe es ihm gefallen, gewissermaßen als Zuhälter in München herumzulaufen und mit einem dicken Sportwagen durch die Stadt zu fahren. Der Kommentar seines Vaters: "Die Männlein spielen wieder Männer!".

Großen Dank empfindet er für seine liebevollen Eltern. Trotzdem sei er mit 13 Jahren von zu Hause ausgerissen, wenn auch nur für zwei Tage: Er wollte als freier Dichter leben. Mit 18, damals noch nicht volljährig, war er dann zusammen mit einem Freund und dessen Vaters "Rennkasse" durchgebrannt. Das Zuknallen der Gefängnistür hat er heute noch in den Ohren. Er wurde in sein Heimatgefängnis Stadelheim "verschoben".

Wie rücksichtlos er damals seinen Eltern gegenüber gewesen war, das bedauere er noch heute. Vor allem, seit er selber Kinder hat. Im Gefängnis habe er dann Mithäftling "Punkte" in der Nachbarzelle über das "Klotelefon" kennengelernt. Der wurde bald sein Freund, mit dem er gemeinsam Operettenarien sang. Daran erinnert er sich wehmütig. Sein Vater habe gesagt: "Zwischen Künstler und Verbrecher ist nur ein kleiner Unterschied. Du taugst nicht zum Verbrecher!"

Dann setzt sich Wecker als virtuoser Pianist und Sänger an den Bösendorfer Flügel, um einen wehmütigen Abgesang auf die Gefängniszelle anzustimmen. Durchaus politisch, wie häufig in seinem Programm, wird er mit dem Titel "Genug ist nicht genug", das die Banker anfangs auf sich bezogen hätten. Er aber wollte damit ausdrücken, dass er sich nicht belügen lasse und nach der Wahrheit suche.

Bei seinen tiefsinnigen Texten breitet sich Stille im Saal aus. Das Publikum wird nachdenklich, sinniert bei der ausklingenden Klaviermusik über seine Texte, die gelegentlich schwarz-weiß überzeichnet sind.

Lied mit Bumerang-Effekt

Er schrieb einmal ein recht geringschätziges Lied über einen Richter, was ihm später nicht gut bekommen sollte. Uniformen, Staatsanwälte und Gerichte mag er nicht. Stehen sie aber nicht auch für Recht, Ordnung und Demokratie? Eine Besucherin überlegt sich, wie viele von denen, die Weckers Lieder über Armut und Not so frenetisch  beklatscht haben, im Foyer den angebotenen "Straßenkreuzer" gekauft oder die anwesende Hilfsorganisation für Flüchtlinge mit einer Spende bedacht haben.

Der Künstler träumt vom unendlichen Blau des Meeres , von Oliven und Südwind, von einem Gefühl tiefer als das Meer. Aber wie tief ist das Meer?, fragt er sich. Es ist ein Lied des jungen Konstantin, bei dem rhythmisch mitgeklatscht wird.

Dann folgt ein Liebeslied des "älteren, gereiften Herrn". "Die Zeit, die ich lebe, brauche ich, weil ich dich liebe", sinniert er, "denn die Welt dreht sich schneller." Als kongenialer Partner sitzt zuweilen Jo Barnikel am Klavier.

Kurz darauf präsentiert er sich als begabter Poet am Büchertisch, um aus seinen Werken zu rezitieren. Seit er Vater ist, versuche er in die Wunderwelt der Kinder einzudringen. Seitdem  bei einem Mistwetter sein Sohn mit glänzenden Augen gesagt hat: "Papa, es schneit", betrachte er Schneeflocken ganz anders. "Jetzt seid ihr alle groß und bald aus dem Haus", denkt er über seine Kinder nach. Er überlegt sich, was er wohl alles falsch gemacht habe. "Die Liebe ist alles, was ich verschenken kann", überlegt er, "ihr wart doch nur geliehen."

Den Parolen keine Chance geben, fordert Konstantin Wecker. "Lasst uns jetzt zusammenstehen" singt er beeindruckend zu Beethovens neunter Sinfonie, in der dieser  Schillers Ode an die Freude vertont hat. "Lasst uns besiegen jeden Hass durch Zärtlichkeit", heißt es bei Wecker. Im Grunde seines Herzens sei er schon immer ein Frühromantiker wie etwa Novalis gewesen. " Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren sind Schlüssel aller Kreaturen … Wenn die, so singen oder küssen, mehr als die Tiefgelehrten wissen, dann fliegt vor einem geheimen Wort das ganze verkehrte Wesen fort", hatte der Dichter geschrieben.

"Mein Staatsanwalt wurde auf mich aufmerksam", gesteht Wecker auf seine Art, als er wegen Drogenbesitzes verurteilt worden war. Es war eher der "Wehdam", der ihn dann plagte. Der Trost: "Ich hab den Wehdam und ich hab den Blues". Gemeinsam mit Jo Barnickel bearbeitet Wecker in diesem fetzigen und mitreißenden Blues den Flügel, der Saal geht begeistert mit. Oft gehen die Saallichter an, damit Wecker das begeistert applaudierende Publikum sehen kann.

  Besinnlich wird er bei seinen Gedanken über die "Weiße Rose", der Widerstandsbewegung im "Dritten Reich" um die Geschwister Scholl. Spontanen Applaus gibt es zur Feststellung: "Die Geschichte unseres Landes wäre ohne die Erwähnung dieser  und anderer Menschen nicht vollständig." Er sei kein Patriot, denn Patriotismus sei der erste Schritt zur Überheblichkeit.

Stehende Ovationen des begeisterten Publikums fordern immer wieder Zugaben. Wecker genießt sichtlich den nicht enden wollenden Applaus. "Wo alles dunkel ist, macht Licht!", forderte er und "Lasst uns umarmen,

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