Roths Polizeichef bereut nichts

14.1.2018, 09:43 Uhr
Roths Polizeichef bereut nichts

© Foto: Salvatore Giurdanella

Es war ein heißer, deutscher Herbst, der die Republik kalt erwischte: 1977 gipfelte der Terror der Roten Armee Fraktion (RAF) in der Ermordung von Generalbundesanwalt Buback, Bankmanager Ponto und Arbeitgeberpräsident Schleyer. Doch das Jahrzehnt bebte bereits seit seinen Anfängen: Mit Überfällen und Anschlägen hielt die RAF das Land in Atem, um gegen den bürgerlichen Staat zu rebellieren. Zu guter Letzt standen auf der blutigen Rechnung mehr als 30 Todesopfer und über 200 Verletzte – darunter viele Polizisten. In diesem aufgeheizten Klima "hat sich die Mutter vor Freude fast überschlagen, weil der Sohn eine Laufbahn bei der Polizei einschlagen wollte", rekapituliert André Sewald ironisch.

Er tat es trotzdem. Denn wenn den 1957 in Nürnberg geborenen und im Stadtteil Kleinreuth aufgewachsenen Pennäler damals etwas langweilte, dann war´s die Schule. Also ließ er das Dürer-Gymnasium nach Abschluss der zehnten Klasse hinter sich und heuerte im September 1974 als Anwärter bei der Bereitschaftspolizei Nürnberg an.

Terrorkontrollen inklusive

Dank allgemeiner "Umstrukturierungsmaßnahmen" durfte sich André Sewald nach nur zehn Monaten Wachtmeister nennen, nach einem Jahr war er bereits Oberwachtmeister. Mit allem Drum und Dran, Terrorkontrollen inklusive. "Man hat uns einfach ins kalte Wasser geschmissen", blickt er auf die Anfänge zurück.

Während Sewald erzählt, wiegt er mitunter das ergraute Haupt. Fast unmerklich, aber so, als könne er selbst nicht glauben, dass für ihn jetzt gut 43 Jahre Polizeidienst zu Ende gehen sollen. Im Augenblick absolviere er noch eine "Bye-bye-Tour" bei Bürgermeistern und sonstigen Funktionsträgern im Rother Landkreis, erklärt er flapsig. Doch am 1. Februar sei Schluss. Dann macht Sewald, seit einer Dekade Dienststellenleiter der Polizeiinspektion Roth, den schwarzen Büroledersessel frei. Dabei hätte er nie gedacht, jemals darin zu landen...

Nach einigen Jahren bei der Polizeiinspektion Nürnberg-West, der berühmt-berüchtigten "Lenau-Wache", ging´s für den 25-jährigen André Sewald nämlich "ab in die Einsatzzentrale". Die habe ihn "seinerzeit interessiert, aber ich war auch der einzige Bewerber". Kein Wunder: "Man kam sich dort vor wie im Raumschiff Enterprise — ein Arbeitsplatz ohne Fenster." Sewald gefiel´s.

Trotzdem trieb es ihn weiter. Gen Oberbayern, nach Fürstenfeldbruck. Hier absolvierte er zwischen 1986 und 1988 ein Studium an der Polizei-Fachhochschule, um in den gehobenen Dienst aufsteigen zu können. Das klappte: 1989 glänzte mit der Beförderung zum Polizeikommissar auch das erste Silbersternchen auf seiner Schulter. "Danach bin ich relativ regelmäßig befördert worden", meint er lakonisch.

Muss wohl so sein. Denn als er — "back to the roots" — nach weiteren Zwischenstopps in der Lenau-Wache und Einsatzzentrale anno 1997 die Stelle als Leiter einer zivil agierenden Nürnberger "Einsatzgruppe für Verbrechensbekämpfung" antrat, zierten schon drei, und kurz danach vier Sterne seine Schulterklappen. Damit hatte André Sewald den Rang eines Hauptkommissars erreicht und entsprechend Verantwortung zu tragen: Es galt, "diese damals größte Einsatzgruppe ihrer Art in Bayern mit gut 40 Leuten" neu zu organisieren.

Als 2006 die Leitung der Polizeiinspektion Fürth-West vakant war, wollte Sewald seine Führungsqualitäten einmal mehr auf den Prüfstand gerückt wissen und rief "Hier!". Die Freude darüber, dass er den Zuschlag bekam, währte jedoch nicht lange, weil die kleine Inspektion alsbald mit der großen Inspektion Fürth-Ost zusammengelegt wurde.

Das machte Sewald zum "Unterbringungsfall", wie er heute schmunzelnd konstatiert. Er kehrte schließlich in "seine" Einsatzzentrale zurück, wo ihn Ende 2007 der "Ruf aufs Land" ereilte.

Für den "Närmbercher" zunächst ein Kulturschock, zumal ein konsequentes Credo des bekennenden "Großstadtkindes" immer gelautet hatte: "Ich in die Pampa? Never!" Doch Sewald ging in sich und zum 1. Januar 2008 nach Roth...

Es sollte ein Auftakt werden, den er nicht vergisst: "Während meiner zweiten Woche ist die Decke in der Grundschule Gartenstraße runtergekommen und die Woche drauf hat ein Patient in der Awo seine Pflegerin erstochen." Logisch, dass er dachte: "Wo bin ich da bloß gelandet?"

Sewald lernte schnell, wie der Rother Hase läuft: 50 BeamtInnen, dazu ein großes Gebiet "von Spalt bis Schwanstetten, von Abenberg bis Eckersmühlen" und nicht zuletzt "ein tolles Klima!"

Schwerpunkte, Klientel. All das änderte sich für ihn freilich gleichfalls: Im Vordergrund standen nun Verkehrsdelikte; "mit Kriminalität hat man hier lang nicht in dem Ausmaß zu tun, wie man´s in der Stadt kennt." Aber Sewald merkte auch rasch: Der soziale Frieden gerät in kleineren Systemen "viel schneller ins Wanken".

Sein Fazit: "So nah an den Menschen dran", sei die Polizei tatsächlich als "Freund und Helfer" gefragt. Außerdem: "Man kriegt irgendwie das Gefühl, die Leute persönlich zufriedenstellen zu müssen", meint er nachdenklich – gleichwohl die Landkreisbevölkerung "schon ein beschwerdefreudiges Völkchen" sei, wie er kritisch bilanziert. Sich in diesem Rahmen zu bewegen, bedeute: "Man muss Empathie für die Betroffenen aufbringen und trotzdem Distanz wahren." Respekt sei der Schlüsselbegriff in diesem Kontext.

Welche Begebenheiten der vergangenen zehn Jahre sich am nachhaltigsten in seinem Gedächtnis verankert hätten? Der Reichsbürgerfall in Georgensgmünd 2016, keine Frage. "Selber hab´ ich zum Glück nie die Waffe ziehen müssen", meint er grüblerisch. Und auch ein bisschen demütig? Wahrscheinlich. "Vielleicht kann man das Leben mehr schätzen, wenn man so viele Abgründe und Schicksale gesehen hat..."

Dazu zählt er unter anderem jene fatale "Spritztour", die für drei minderjährige Jugendliche nahe Barnsdorf mit dem Tod endete. "So etwas ist menschlich heftig", unterstreicht Sewald und blickt auf die Büro-Pinnwand, an der Fotos seiner Ehefrau, seiner Tochter und seines Enkels hängen. André Sewald, der Familienmensch. "Bin ich", gesteht er.

In den vergangenen vier Dekaden sei er auch gerne integraler Bestandteil der großen Polizeifamilie gewesen. Hier galt für Sewald, der sich einen Ruf als Gute-Laune-Mann mit unerschütterlichem Humor erworben hat, stets die Maxime: "Wer zusammen lachen kann, kann auch zusammen arbeiten". Gerade vor dem Hintergrund der Digitalisierung und ihrer Herausforderungen erleichtere ein gutes Miteinander den Arbeitsalltag enorm, ist er gewiss. Doch während seine KollegInnen hoch technisierten Zeiten entgegengehen, setzt Sewald nun einen Punkt.

Angeklagt in Weißenburg

Schließlich gebe es für ihn noch genug zu tun: Sich verstärkt dem (Eigen-)Studium der Sprachen widmen beispielsweise. Oder in sein Sehnsuchtsland Italien reisen, wo er just zum 60. Geburtstag in der Gefängnisfestung von Volterra dinierte. Oder Theater spielen auf der Luna-Bühne in Weißenburg (dort ist er am 9. Februar als Angeklagter (!) im "Fränkischen Amtsgericht" zu sehen). Und nicht zu vergessen: Opa sein!

Am Ende seines Berufslebens steht für André Sewald also uneingeschränkte Zufriedenheit. Was sonst? "Ich habe viel mehr erreicht, als ich mir je erträumte", resümiert er aufgeräumt. Inzwischen drängeln sich fünf silberne Sterne auf der Schulter des Ersten Polizeihauptkommissars. Im Klartext: Höher geht´s nicht innerhalb der dritten Qualifikationsebene.

Ob er wieder Polizist werden würde? "Sprechen wir mit der französischen Sängerin Edith Piaf", schlägt André Sewald vor, der nicht nur des Englischen und Italienischen mächtig ist: "Je ne regrette rien – ich bereue nichts!"

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