Tür zum gesellschaftlichen Leben weit öffnen

16.11.2017, 17:41 Uhr
Tür zum gesellschaftlichen Leben weit öffnen

© Foto: Jürgen Leykamm

Das musste auch schon Parteifreund Sven Ehrhardt vor einem halben Jahr feststellen. Damals war er gleicherorts Hauptredner bei der Tagung des Bezirksarbeitskreises (BAK) der Werkstatträte. Vorsitzende jenes Kreises ist Sabine Eisemann, die zugleich auch dem Auhof-Werkstatt wie dem Gesamtwerkstatt der Rummelsberger Dienste für Menschen mit Behinderung vorsitzt. Einige Fragen blieben bei diesem Besuch offen, weswegen Ehrhardt versprach, mit Unterstützung aus dem Bundestag zurückzukehren.

Der SPD-Kreisvorsitzende hielt Wort und hatte mit Stamm-Fibich eine rührige Kämpferin für Menschen mit Handicap mitgebracht. Denn sie weiß noch aus ihrer Zeit als Betriebsrätin bei Siemens, wie schwer Teilhabe zu bewerkstelligen ist. Sie sprach auch gleich von sich aus die heiklen Punkte des Gesetzes an, das in vier Stufen bis 2023 endgültig umgesetzt sein soll – die erste hat in diesem Jahr schon gezündet. Sie brachte unter anderem eine bessere Mitbestimmung für die Mitarbeiter in den Behindertenwerkstätten mit sich. Stamm-Fibich wollte das im Auhof als Bekenntnis zu diesen Einrichtungen verstanden wissen. Im Gesetz sei dies deswegen so verankert "weil wir sie erhalten wollen!"

Das wiederum ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Denn diesen Rückhalt gäbe es von der EU nicht, die wiederum mit ihrer Behindertenrechtskonvention den Stein des BTHG erst ins Rollen brachte. Die Befürchtung vieler Behinderter ist deshalb, dass die Ermöglichung der Teilhabe nur ein Vorwand ist, die Werkstätten abschaffen zu können. "Ihre Ängste verstehe ich auch", sagte Stamm-Fibich. Sie versicherte aber auch, dass unter Arbeitsministern Andrea Nahles ein äußerst differenziertes Gesetz entstanden sei, dass solchen Fehlentwicklungen entgegenstehe. Es sei "trotz allem ein Meilenstein!"

Ängste wollten nicht weichen

So ganz wollten die Ängste aber nicht weichen, denn ausgerechnet die neue Durchlässigkeit des Arbeitsmarktes gießt Öl ins Feuer der Befürchtungen. So ist es zwar für Behinderte durch das BTHG grundsätzlich möglich, aus als reguläre Arbeitnehmer einer Beschäftigung nachzugehen (wenn der Arbeitgeber zustimmt). Doch droht in diesem Falle die Gefahr, nicht mehr in die Werkstatt zurückkehren zu können, weil etwa durch eine Aufweitung der Arbeitszeit die Zugangsvoraussetzung weggefallen sein könnte. In der Praxis aber werde dies nicht so stringent gehandhabt, versicherte auf Nachfrage Simon Lenk, Assistent der Werkstattleitung am Auhof.

Es bleibt laut Eisemann auch die Frage, was sich denn ändere, wenn man statt der Arbeit in der Werkstatt beispielsweise bei einer Tankstelle in Hilpoltstein beschäftigt sei. Die müsste nämlich dann die gleichen Rahmenbedingungen wie eine Behindertenwerkstatt anbieten – inklusive arbeitsbegleitender Maßnahmen. Für die Firmen ein Kraftakt und für die bei ihr arbeitenden Menschen mit Handicap macht es unterm Strich "im Geldbeutel keinen Unterschied", wo sie tätig seien. Schlimmstenfalls sinke sogar der Rentenanspruch.

Hemmnisse gibt es also auf beiden Seiten, deswegen "stehen Integrationsfirmen nicht gerade Schlange", so Stamm-Fibich. Eine echte Chance gebe es aber etwa bei Großküchen, auch weil es dort Jobs gebe, die Werkstätten in der Regel nicht zur Verfügung stellten. Sie hoffe aber, dass wenn erst einmal genügend Menschen mit Behinderung auf dem ersten Arbeitsmarkt integriert seien, sich dann viele Diskussionen von selbst erübrigen.

Jürgen Zelter allerdings sieht den Zug gerade in die völlig andere Richtung fahren. Er war Leiter der Werkstatt im Altdorfer Wichernhaus und zugleich Ansprechpartner für Bezirks- und Landessprecher der Werkstatträte, für die er als Dozent auch Schulungen abhält. Es gäbe einen deutlichen Trend zu psychischen Erkrankungen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Die Betroffenen wiederum "drängen in die Werkstätten", so Zelter. Von dort in die Unternehmen sei der Weg oft schwer.

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