Vor Roth-Besuch: BLLV-Präsident Klaus Wenzel im Interview

20.6.2014, 06:00 Uhr
Vor Roth-Besuch: BLLV-Präsident Klaus Wenzel im Interview

© oh

Nach dem Vortrag wird sich der Bil­dungsexperte Wenzel der Diskussion mit dem Publikum stellen. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist nicht nötig; Einlass in die Kulturfabrik bei freier Platzwahl ist ab 19 Uhr. Im folgenden Interview gibt Klaus Wenzel einen Ein­blick in seine Vorstellung, wie heute Schulbildung für die Kinder aussieht und wohin sie sich entwickeln sollte.

Herr Wenzel. In Ihrem Vortrag in Roth steht das Wort „Probleme“ gleich am Anfang des Vortragstitels. Ist unser Bildungssystem generell wirklich so „problematisch“?

Klaus Wenzel: Es gibt in Bayern viele hervorragend organisierte Schulen mit engagierten und kompetenten Lehrerinnen und Lehrern. Und es gibt Gott sei Dank auch viele Schülerinnen und Schüler, die mit Freude lernen. Trotzdem beobachte ich, dass die Probleme zunehmen und die Schule häufig überfordert wird.

Inwiefern ist Schule „überfordert“?

Wenzel: Fakt ist, dass Entwicklungen, wie beispielsweise die wachsende Zahl an Patchwork-Familien, an Alleinerziehenden, an Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten oder Sprachproblemen für die gesamte Gesellschaft eine Herausforderung sind; doch wird diese gerne an die Schule delegiert, ohne dass wir aber die entsprechenden Ressourcen, unter anderem mehr Lehrerstunden, bekommen.

Alles also eine Frage des Geldes?

Wenzel: Nicht nur. Aber die Finanzen und die Bürokratie sind zwei wesentliche Punkte. Unser Schul- und Bildungssystem ist chronisch unterfinanziert Die Schulleitungen haben zu wenig Leitungszeit und zu viel am Hals. Und: Wir haben unter diesen Bedingungen kaum Möglichkeiten, jedes Kind individuell zu fördern. Das ist ein ganz großes Problem.

Sie werden auch als „Anwalt der Schule“ bezeichnet und treten für eine längere gemeinsame Schulzeit ein. Andererseits ist doch immer die Rede von einem „durchgängigen“ Schulsystem, in dem es auch Mittelschülern gelingen kann, sich für ein Studium zu qualifizieren. Warum dann Ihre Kritik am bestehenden System?

Wenzel: Es geht gar nicht so sehr um die Durchlässigkeit, sondern darum, ob wir für zehnjährige Kinder wirklich zuverlässige Schullaufbahnprognosen stellen können. Als Pädagoge ist es mir wichtig, dass Kinder möglichst lange ohne äußeren Druck lernen und leben dürfen. Man muss wissen: Die Aufteilung in andere Schularten am Ende der vierten Grundschulklasse gibt es seit 1920 – und die Entscheidung wurde damals sehr willkürlich getroffen.

Nach 94 Jahren halte ich es einfach für an der Zeit, darüber nachzudenken, ob unser Übertrittszeitpunkt wirklich noch sinnvoll ist.

Wenn wir schon über Schule reden - waren Sie eigentlich selbst gerne Schüler?

Wenzel: Es war damals schon so, wie es heute noch ist. Es gibt Lehrer, die man als Pädagoge und Menschen schätzt und solche, die einem das Leben schwer machen. Bei mir hielt sich das die Waage, und deshalb war ich insgesamt ein eher durchschnittlicher Schüler, der auch nur durchschnittlich gern zur Schule gegangen ist.

Und dann sind Sie selber Lehrer geworden. Obwohl Sie das bestehende System ja schon lange kritisch beurteilen.

Wenzel: Ich bin Lehrer geworden, weil ich mit dem Schulsystem, so wie ich es als Schüler erlebt habe, nicht einverstanden war. Für mich war es nur konsequent, dass ich gleich im ersten Semester Mitglied im BLLV geworden bin. Mich hat das Programm des Verbands überzeugt, der seit 152 Jahren versucht, die Schulpolitik zu beraten und zu beeinflussen. Und er hat auch immer wieder Verbesserungen erreicht.

Sie waren und sind nicht nur seit vielen Jahren engagiert in der Verbandsarbeit. Darüber hinaus gaben sie 15 Jahre am „Elterntelefon“ desDomino-Verlags Rat und Auskunft zu Themen, die Eltern, Kinder wie Pädagogen aus ganz Deutschland gleichermaßen betreffen – was haben Sie aus dieser Zeit mitgenommen?

Wenzel: Das war eine ebenso anstrengende wie interessante Zeit für mich. Anstrengend, weil viele Eltern auch am späten Abend oder am Wochenende anriefen. Interessant, weil ich erfahren habe, welches aus Sicht der Eltern und Kinder die Knackpunkte sind: Neben Hausaufgaben waren das Noten, Übertritt und Lernprobleme – Themen, die unter Schülereltern ein Dauerbrenner sind.

Ihnen als dreifacher Familienvater dürften diese Überlegungen ebenfalls sicher nicht fremd gewesen sein. Doch generell gefragt: Wie weit spielen Eltern, wie weit die Politik eine Rolle, ob „Bildung“ gelingt.

Wenzel: Meine Erfahrung als Pädagoge, Vater und Großvater: Der schwierige Bildungs- und Erziehungsprozess hat dann gute Chancen auf erfolgreiche Ergebnisse, wenn die Erwachsenen im Umfeld der Kinder an einem Strang ziehen — und zwar in die gleiche Richtung. Eltern, Erzieherinnen und Lehrer müssen sich gemeinsam um das Wohl der Kinder kümmern. Und sie müssen sich darauf verlassen können, dass sie von der Politik unterstützt werden.

Daran arbeiten Sie ja auch in Ihrer Funktion als BLLV-Präsident. Mal zehn Jahre weiter gedacht – wie sollte Schule im Jahr 2024 aussehen? Oder muss in noch längeren Zeitabständen gedacht werden?

Wenzel: Das ist eine ganz wichtige Frage, die sich auch die Schulpolitiker mal stellen sollten. Es gibt leider keine langfristige Planung. Meine Vision: Schule und Unterricht sind im Jahr 2024 so attraktiv, dass sich Schülerinnen und Schüler ärgern, wenn sie krank sind und darum nicht zur Schule gehen können.

Das klingt visionär. Zurück zur Gegenwart: Was möchten Sie Ihren Zuhörern in der Rother Kulturfabrik mit auf den Heimweg geben?

Wenzel: Ich würde mich freuen, wenn die Zuhörer nachdenklich nach Hause gehen würden. Dass sie also nachdenken, ob im Schulsystem viele Dinge deshalb so bleiben müssen, nur weil sie schon seit 100 Jahren so sind.

Keine Kommentare