Warten auf den Zug: Die "Zell-Kultur" in der Kufa Roth

22.10.2017, 15:32 Uhr
Warten auf den Zug: Die

© Foto: Jürgen Leykamm

Bei einem buchstäblich magischen Feuerwerk kamen am Nachmittag erst einmal die Jüngeren auf ihre Kosten. "Knallpurgas Reise zum Mond" nannte sich die artistische Märchen-Varieté, die zu Beginn in den Weltraum entführte. Und das mit Seiltanz und Jonglage. Eine knappe Stunde lang gelang es Annette Will und Axel S., wie sich das Künstlerduo aus dem Raum Mainz nennt, die jungen Zuhörer in ihren Bann zu ziehen.

Damit auch alle die Handlung verstehen konnten, lief ein Band synchron im Hintergrund mit, das die Hörenden die Geschichte mitverfolgen ließ, die von den beiden Künstlern in Gebärdensprache erzählt und natürlich mit allerlei akrobatischen Kunststücken garniert wurde.

Neben dem Stück rund um "Knallpurga" stand der Nachmittag im Zeichen verschiedener Workshops: Lokomotiven und Hexenfiguren konnten aus Recycling-Material wie Kronkorken gebastelt werden. Eine Fotowand stand bereit, um die Erinnerung an den Tag festzuhalten. Auch die Einrichtungsleiterin von Regens Wagner Zell, Heike Klier, ließ sich dort gemeinsam mit Roths Bürgermeister Ralph Edelhäußer ablichten. Beide konnten am Abend 450 Gäste in der Kulturfabrik begrüßen. Klier gab dabei die nette Reiseleiterin – und Edelhäußer zeigte sich erfreut darüber, dass sich Regens Wagner in den kommenden Jahren verstärkt in der Kreisstadt engagiert.

Dann schlug die Stunde des John Smith, ein gehörloser und international auftretender Komiker aus England. Hier traf britischer auf Gehörlosen-Humor, der sich durchaus von dem Hörender unterscheidet, wie Klier versichert. Zudem konnte Smith als Betroffener das eigene Schicksal auch ganz legitim humoristisch verarbeiten. Hörende und Hörbehinderte ließ er in reichlich skurrilen Szenen aufeinandertreffen. Wenn etwa Gehörlose in einen Kanalschacht stürzen, um Hilfe rufen und Passanten sich denken: "Sprechen die deutsch, amerikanisch, russisch – oder sind sie krank?" Um dann schnell davon zu eilen, wenn sie den Grund der undeutlichen Laute erfahren. Grotesk auch die Szene im Zug, als der Schaffner einen schlafenden Gehörlosen kontrollieren will und ihn für tot hält, weil er nicht reagiert. Als er auf der Bahre wiedererwacht, weiß Smith auch die passende Schlagzeile: "Tauber Jesus von den Toten auferstanden!"

Um den Zug drehte sich auch alles in der Rahmenhandlung des Abends. Die gesamte Truppe wartete nämlich am "Bahnhof Zell", um nach Roth zu kommen. Und vertrieb sich die Zeit mit dem Üben für den Abend. Da tobten Nonnen in "Sister Act"-Manier über die Bühne und "Pantomamo" konnte gar Oscars verteilen.

Der im bürgerlichen Leben Marcus Willam heißende gehörlose Mitarbeiter von Regens Wagner Zell schaffte es, drei Gäste aus dem Publikum spontan eine Eifersuchtsszene auf dem Podium spielen zu lassen. Alle Hauptakteure auf der Bühne stammten dabei aus den Reihen von Regens Wagner, mit Ausnahme von Tobias Kramer, der vor einigen Jahren als Supertalent-Kandidat von sich reden machte. Unter seiner Betreuung liefen so auch die Berufsschüler Ahmed und Murat zur Höchstform auf. Während der Erstgenannte als Tänzer begeisterte, wusste Letzterer als Beatboxer das Publikum zu faszinieren – gekrönt sogar von einem Rap! Murat sorgte zudem für die Synchronisation eines Sketches des Duos "Oli & Alex". Die beiden vertrieben sich das Warten auf den Zug mit dem Essen von Sandwiches: Der eine hatte ein fertiges dabei, der andere "bastelte" sich eins: mit der Schere als Brotmesser und der eigene Socke als Salatschleuder.

Am Ende aber konnte "Bahnvorsteher" und Moderator "Konjo" (alias Konrad Rubin, gehörloser Mitarbeiter bei Regens Wagner) den Pfiff zum Einsteigen in den endlich angekommenen Zug geben. Einen Dank gab es am Ende auch für den Regens-Wagner-Förderverein, der das Bus-Shuttle sowie die Dolmetscher für die Veranstaltung finanziert hat.

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