Wenn die Integration gelingt, aber die Abschiebung droht

17.5.2017, 15:19 Uhr
Wenn die Integration gelingt, aber die Abschiebung droht

© Foto: dpa/Jens Wolf

"Wie soll ich leben in Afghanistan, das ich noch nie mit eigenen Augen gesehen habe?" Diese Frage treibt den 18-jährigen Mohammad und seine Pflegeeltern Inge und Thomas Schröder um. Seit November 2015 lebt der junge Mann bei der Ebenrieder Familie. Hier hatte er nach Monaten der Flucht endlich ein Zuhause gefunden.

Auf die Welt gekommen ist Mohammad in der iranischen Stadt Maschhad. Seine Eltern, so hat er es unter anderem in der Anhörung im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erklärt, sind Anfang der 1980er Jahre aus Afghanistan in den Iran geflohen, weil der Vater nicht für die Mudschahedin in den Kampf gegen Russland und die Taliban ziehen wollte. Doch im Iran sind die Flüchtlinge aus dem Nachbarland auch nicht erwünscht: Es gibt keine Papiere, keine Schulausbildung, keine Arbeitserlaubnis. Der Vater hält die Familie mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Um das Geld für den Besuch der afghanischen Schule in Maschhad zahlen zu können, jobbt auch der Sohn illegal, zuerst mit acht Jahren als Schneider, danach auf einer Obstplantage, später als Verkäufer und schließlich auf einer Baustelle.

Das Leben ist für die Illegalen, so sagt es Mohammad, alles andere als einfach. Sie werden willkürlich kontrolliert und müssen – da sie keine Papiere haben – jederzeit mit einer Abschiebung nach Afghanistan rechnen. Nur wer sich von der Abschiebung freikaufen könne, dürfe bleiben. Wer 18 Jahre alt geworden ist, läuft außerdem Gefahr, nach Syrien geschickt zu werden, um für das Assad-Regime gegen den IS zu kämpfen. Als sein älterer Bruder, der mit ihm illegal auf der Baustelle arbeitet, bei einem Betriebsunfall tödlich verunglückt, gibt es zudem Ärger mit dem Arbeitgeber. Damit Mohammad nicht vor Gericht gegen den Bauunternehmer aussagt, wird die Familie bedroht, der Sohn wird verprügelt, es fliegen Steine durchs Fenster.

Also will Mohammad weg aus dem Iran. Seine Mutter verkauft ihren Schmuck, der Vater macht Schulden, er selbst hat einiges gespart. Im Sommer 2015 beginnt die Flucht. Über die Türkei, Griechenland, Serbien, Mazedonien, Kroatien, Ungarn und Österreich gelangt er nach Deutschland. Unterwegs trifft er auf Mustafa (Name geändert), ebenfalls ein afghanischer Jugendlicher aus dem iranischen Maschhad. Erste Station der beiden minderjährigen Flüchtlinge ist im Oktober 2015 Freilassing, hier kommt auch Hamed (Name geändert) dazu, wie die anderen beiden ein Afghane, der im Iran aufwuchs. Seitdem sind die drei zusammen. Ihr Geburtstag wird – da es keine gültigen Papiere gibt – einheitlich auf den 1. Januar 1999 festgelegt.

Plötzlich "Drillinge"

Im Allersberger Ortsteil Ebenried gibt es zu diesem Zeitpunkt eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. Mohammad, Mustafa und Hamed beziehen gemeinsam ein Zimmer. Ein Helferkreis kümmert sich um die Asylsuchenden. In diesem Helferkreis arbeitet auch Inge Schröder mit. Als die Einrichtung in Ebenried geschlossen werden soll und die Bewohner nach Offenbau umziehen müssen, entschließt sich die Familie Schröder, minderjährige Flüchtlinge als Pflegekinder aufzunehmen. Und weil man die Dreiergruppe nicht auseinanderreißen will, ziehen im Dezember 2015 schließlich alle drei ins Haus der Schröders. Und die beiden Ebenrieder, deren eigene drei Kinder längst erwachsen und aus dem Haus sind, sind plötzlich Eltern von "Drillingen".

Vormund der zu diesem Zeitpunkt noch minderjährigen Flüchtlinge ist – von Amts wegen – das Jugendamt des Landratsamtes. In dieser Funktion stellt die Behörde noch im Dezember für die offiziell 16-Jährigen einen Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BaMF). Dann warten alle auf die Anhörung, das "Interview", bei dem die jungen Flüchtlinge selbst begründen müssen, warum sie in Deutschland bleiben wollen. Die Wartezeit zieht sich über Monate hin.

Inzwischen zieht in dem großen Haus in Ebenried so etwas wie ein Alltag ein. Die Verständigung erfolgt in der ersten Zeit mit Händen und Füßen. Drei Monate lang fährt Inge Schröder ihre Schützlinge regelmäßig nach Rednitzhembach zum Deutschkurs, im Februar erhalten alle drei endlich einen Platz in der Berufsschule. Im Sommer sind sie schon so fit, dass sie in den Ferien bei Firmen in der Umgebung ein Praktikum machen können. Ihre Noten und Beurteilungen sind gut. Mittlerweile haben alle auch Betriebe gefunden, bei denen sie die Aussicht auf eine Ausbildung haben.

Im Januar schließlich trifft für alle die Aufforderung zur Anhörung in Zirndorf ein. Hier wird jeder einzelne im Beisein eines Dolmetschers gefragt, warum er aus Afghanistan fliehen will. Doch genau das sei das Problem ihrer Jungs, sagt Inge Schröder, "sie waren doch noch nie dort". Und die Gründe, warum sie aus dem Iran geflohen sind, zählen nicht.

Fünf Wochen später kommen die Entscheide. Allen dreien wird die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt (so ist der offizielle Sprachgebrauch) und der Antrag auf Asylanerkennung demzufolge abgelehnt. Mustafa und Hamed dürfen trotzdem bleiben, für sie gilt ein Abschiebeverbot nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7, das heißt, dass sie aus humanitären Gründen bleiben dürfen, wenigstens erst mal für ein weiteres Jahr.

Mohammad nicht. Während seine beiden Freunde in Afghanistan keinerlei Verwandtschaft haben, leben ein Bruder und eine Schwester von Mohammad in dem Land. Kontakt hat er zu keinem von den beiden. Dennoch spricht die Behörde in ihrer Begründung der Ablehnung von einem "familiären Netzwerk", auf das der inzwischen Volljährige in Afghanistan zurückgreifen könne. Auch seine Zugehörigkeit zum Volk der Hazara ist kein Grund, ihn als Flüchtling anzuerkennen. "Aus der Zugehörigkeit … folgt nicht die Gefahr einer landesweiten Verfolgung", heißt es in der Begründung der Ablehnung.

Mohammad müsste das Land verlassen, und zwar binnen 30 Tagen. Und die Schröders kämpfen verzweifelt dafür, dass er doch bleiben darf. Einen ersten Aufschub bietet die Klage, die eine Rechtsanwältin im Auftrag der Pflegeeltern beim Verwaltungsgericht Ansbach eingereicht hat. Entgegen der Auffassung der Behörde könne Mohammad nicht auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen, schreibt die Kanzlei in ihrer Klagebegründung. Er wisse doch noch nicht einmal, wo die Geschwister sich aufhalten. Auch seine Zugehörigkeit zur Minderheit der Hazara werde Schwierigkeiten bereiten. Und nicht zuletzt stütze sich die ganze generelle Einschätzung zur Lage in Afghanistan "nicht auf aktuelle Berichterstattung". Selbst Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen spreche von einer fragilen Sicherheitslage und die Bundeswehrkommandeure würden meinen, sich im Kriegsgebiet zu befinden.

Ob der Einspruch etwas nutzt? Inge Schröder weiß es nicht. Manchmal dauert es ein Dreivierteljahr, bis die Klage bearbeitet wird, manchmal ist es kürzer, manchmal länger. Die Jugendhilfe, also die finanzielle Unterstützung für den 18-Jährigen, wurde noch mal bis Januar 2018 verlängert. Sein Ausweis ist bis 10. Juli gültig. Danach muss er verlängert werden. Für wie lange? "Das weiß man nicht." Bis Juli geht Mohammad jetzt erst mal weiterhin zur Berufsschule. Ob er danach wie geplant seine Ausbildung in Ansbach beginnen kann, ist ungewiss.

Brief an die Kanzlerin

Ihre Sorgen hat Inge Schröder auch in einem Brief niedergeschrieben, den Bekannte, die sich in einem Helferkreis in Ansbach engagieren, mit nach Berlin zu einem Empfang bei Bundeskanzlerin Angela Merkel mitgenommen haben. Dort sollten sie für ihr Engagement in der Flüchtlingsarbeit ausgezeichnet werden. Gleichzeitig sind auch diese Ehrenamtlichen am Verzweifeln, weil einer ihrer Schützlinge nach Afghanistan abgeschoben werden soll.

In der Schule, schreibt Inge Schröder in dem Brief, hätten die Jugendlichen über Rollen gesprochen, Man sei Sohn, Freund, Feind und so weiter. Es sei darum gegangen, welche Rollen sie selbst gerne übernehmen würden und welche nicht. Mohammad habe gesagt, er wolle die Rolle "Flüchtling" nicht mehr. Er habe diese Rolle von Geburt an, schon sein ganzes Leben. Und jetzt wolle er sie einfach nicht mehr.

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