Wütend auf die "gesellschaftliche Schieflage"

10.12.2018, 14:45 Uhr
Wütend auf die

© Foto: Robert Unterburger

Wilhelm Rubick freute sich, dass zum Festakt 75 Mitglieder der IG "Bauen-Agrar-Umwelt" und eine ganze Reihe von Ehrengästen erschienen waren. Er erinnerte an die Gründung des Kreisverbands am 25. September 1998 in Nürnberg. Mit dieser Gründung sei ein entscheidender Schritt zur Neugestaltung der Gewerkschaftsarbeit in Mittelfranken eingeleitet worden. Aus der Taufe sei damals auch der Kreisverband Nürnberger Land gehoben worden, deren Mitglieder ebenfalls der Festveranstaltung beiwohnten.

"Ihr habt euch in den Jahren für die Verwirklichung der Gewerkschaftsziele eingesetzt", würdigte Rubick, "damit habt ihr euch immer für die Würde des Menschen engagiert". Es zeuge von großem Maß an Freundschaft, Toleranz und Zusammenhalt, der diesen Kreisverband zusammenhalte.

Ein Auf und Ab

Landrat Herbert Eckstein wies darauf hin, dass sich die Arbeit am Bau gewaltig verändert habe. Sie sei immer eine körperlich schwere gewesen. "Zurzeit investiert der Landkreis 20 bis 25 Millionen Euro in den Bau, vor 15 Jahren haben wir gerade mal eine Million investiert." Es gebe "immer ein Auf und Ab". Die Mitglieder der IG Bau hätten dafür gesorgt, dass die Anforderungen gut erfüllt wurden.

Eckstein berichtete, dass die Wurzeln der IG Bau Roth-Schwabach in Offenbau liegen. Wilhelm Rubick habe eine Chronik über "25 Jahre Ortsverband Offenbau" zusammengestellt. "Uns geht es so gut wie nie zuvor", sagte der Landrat, "in der Gesellschaft gelingt es aber noch nicht, dass wir noch mehr Leute mitnehmen." Am ärgsten betroffen mache ihn, dass in unserem reichen Land Kinder in Armut leben.

"Unsere Bundesrepublik macht einen politischen Wandel durch, dessen Folgen noch nicht abzusehen sind", sagte der frühere DGB-Kreisvorsitzende Ioann-Detlef Sohr. "Nicht nur die Parteienlandschaft verändert sich, es wird auch zunehmend über die zukünftige Ausgestaltung unseres Sozialstaates diskutiert." Nicht zuletzt stehe die Agenda 2010 zur Disposition.

"Wenn die mächtigen Wirtschaftsverbände die Hartz-IV-Reformen immer noch loben und daran festhalten wollen, dient dies allein ihren Interessen und eben nicht dem Allgemeinwohl", unterstrich Sohr. "Durch die Hartz-IV-Gesetzgebung ist Deutschland unter den westeuropäischen Staaten zum Niedriglohn-Land Nummer eins geworden." Es sei zwar offiziell die Arbeitslosigkeit gesunken, aber Millionen Beschäftigte seien "Aufstocker", arbeiteten in prekären, zeitlich befristeten Beschäftigungsverhältnissen oder als Leiharbeiter. "Viele Familien leben am Existenzminimum, über zwei Millionen Kinder und Jugendliche leben in Armut oder drohender Armut", kristierte Sohr.

Es gehe nicht darum, jemandem seinen Wohlstand zu neiden, sondern darum, das teilweise ungerechtfertigt angehäufte Vermögen der wenigen Privilegierten dem Allgemeinwohl zuzuführen, um den sozialen Rechtsstaat materiell und politisch zu stabilisieren, forderte Sohr.

Wesentliche Ursache der gesellschaftlichen Schieflage sei die teilweise Enteignung der Sparer durch die Niedrigzinspolitik der Banken. "Die Kleinsparer wurden ihrer Zinsen beraubt, damit wird ein Ansparen für das Alter zumindest sehr erschwert", schimpfte Sohr, "das Absenken des Rentenniveaus ist doch nichts anderes als eine Enteignung der Arbeitnehmerschaft, die Erhöhung des Renteneinstiegsalters nichts anderes als ein Rentenkürzungsprogramm – wie lange wollen wir uns diese Verteilungspolitik noch gefallen lassen?"

Dafür verantwortlich sei einzig und allein "eine hervorragende Interessenpolitik der Konzernvertreter, der Großaktionäre und anderer Interessengruppen, die nur ein Ziel verfolgen, nämlich noch mehr Gewinne zu erwirtschaften und dem Allgemeinwohl zu entziehen". Mit Wissen der politisch Verantwortlichen würden jährlich viele Milliarden Steuern hinterzogen, ohne dass man auch nur ansatzweise versuche, Steuerschlupflöcher zu schließen.

Wolfgang Bergmann, früherer Geschäftsführer des Bezirks Nürnberg, berichtete, wie die Kreisverbände der IG Bauen-Agrar-Umwelt entstanden waren. Ziel der Umstrukturierung sei es gewesen, größere Verwaltungsstrukturen zu schaffen, um Reibungsverluste zu vermeiden.

"Befristet Beschäftigte in den Betrieben zu haben – die sogenannte ,Generation Praktikum’ bei Schulabgängern – ist asozial und unmenschlich", kritisierte Betriebsseelsorger Kurt Reinelt, "hier sägen wir an den Füßen der Generationengerechtigkeit". Wichtig seien sozialer Zusammenhalt, Gerechtigkeit, sozialer Ausgleich, Solidarität und Demokratie. "Wenn alle Leiharbeiter in die IG Bauen-Agrar-Umwelt eintreten würden, hätten wir andere Tarifverträge!", rief er unter dem Beifall der Zuhörer.

"Die großen Unternehmen werden permanent gefördert, die kleinen nicht", kritisierte auch Detlef Paul, Stadtrat in Schwabach, "in Berlin wird zu wenig Hilfe geleistet." Es liege einiges im Argen in den Agrarlandschaften und in der Umwelt.

"Aufgrund der ehrenamtlichen Struktur taten wir uns leicht, die Kreisverbände der IG Bauen-Agrar-Umwelt zu installieren", erklärte Hans Beer, der Regionalleiter "Region Franken". Und: "Hätten wir lauter so gute Kreisverbände in Mittelfranken, dann könnten sich andere eine Scheibe davon abschneiden."

Lob gab es für Wilhelm Rubick, der den Kreisverband Roth-Schwabach seit 20 Jahren leitet. "Du darfst mich noch weitere 20 Jahre nerven", scherzte Beer. Er erinnerte daran, dass Wilhelm Rubick einer der beiden mittelfränkischen Träger der Konrad-Carl-Urkunde sei – die höchste IG-Bau-Auszeichnung, die es in Franken gibt.

Für lange Treue geehrt

Rubick und Beer ehrten dann langjährige Mitglieder: Für 70-jährige Mitgliedschaft wurde Georg Ruff aus Rohr geehrt. Weil der Geehrte aus Gesundheitsgründen nicht anwesend sein konnte, nahm sein Schwager Siegfried Pfeiffer die Auszeichnung entgegen.

Hermann Meyer aus Georgensgmünd wurde für 60-jährige Mitgliedschaft ausgezeichnet.

Drei Mitglieder halten der IG Bauen – Agrar – Umwelt schon seit einem halben Jahrhundert die Treue: Rupert Rupp aus Heuberg, Xaver Lutter aus Altenheideck und Anton Graf aus Schwanstetten.

Helmut Munique aus Abenberg ist bereits seit 40 Jahren Gewerkschaftsmitglied. Für 25-jährige Mitgliedschaft wurde Joachim Keller aus Aue geehrt.

 

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