Dem Supervisor muss man einfach Zeit geben

23.5.2015, 08:40 Uhr
Dave Bullis

© Sportfoto Zink / DaMa Dave Bullis

Nur wenn ich glaube, mich wieder einmal über Sport im Allgemeinen und Ballsport im Besonderen auslassen zu müssen, blättert sie sofort weiter. Das macht mich traurig. Aber nun ja, ein halber Fan ist besser als gar keiner.

Weil ich weiß, dass mein Kollege und vor allem seine Frau heute ganz wenig Zeit für die Zeitungslektüre haben – sie muss schließlich die Koffer für den Pfingsturlaub packen –, geht es heute um: genau, um Fußball.

Ganz unter uns Clubfans: Haben Sie diese seltsame Szene vergangenen Sonntag beim kuriosen 1:2 bei 1860 München zwischen der 86. und 88. Minute auch gesehen? Handgestoppte 124 Sekunden dauerte es, bis Schiedsrichter Jochen Drees den vermeintlichen Nürnberger Ausgleich durch den tätowierten holländischen Kleiderschrank Dave Bulthuis wieder zurücknahm und auf Abseits entschied.

Deshalb muss jetzt vermutlich das kleine Aue aus der 2. Liga absteigen, während die großen und traditionsreichen Löwen aus der bayerischen Landeshauptstadt drinbleiben dürfen. Ist halt doch besser fürs Geschäft.

Drees hat mit seinem super-superspäten Abseitspfiff – beide Teams warteten längst in ihrer jeweiligen Hälfte auf den Wiederanpfiff – seinen eigenen Rekord um ein Vielfaches überboten. Im Saisonfinale 2012/2013 hatte er seinerzeit nur 32 Sekunden benötigt, um ein Tor des Dortmunders Marcel Schmelzer abzuerkennen, was dem Emporkömmling Hoffenheim über den Umweg der Relegation noch den Klassenerhalt in der 1. Bundesliga beschert hat.

Diesmal also 124 Sekunden eine Klasse tiefer. Viele Menschen haben sich gewundert. Ich, der via Sky die Live-Konferenz verfolgt hat, nicht. Am vorletzten Spieltag der 2. Liga ging es schließlich auf neun Plätzen gleichzeitig um so wahnsinnig viel. Um Aufstieg, Abstieg und Relegation. Der Supervisor in der Frankfurter DFB-Zentrale musste nach dem vermeintlichen 2:2 in München erst einmal auf seinen neun Bildschirmen in den anderen Stadien die ganzen Spielstände checken, die sich auch noch laufend änderten. Dann musste er die Blitztabelle ausrechnen und den ersten Absteiger VfR Aalen aus der Wertung nehmen. Erst dann konnte er per Funk den Unparteiischen anweisen, den Nürnberger Ausgleich zu annulieren.

Was, das halten Sie für ausgeschlossen? O.k., zugegeben, war nur Spaß. Im Grunde meines Herzens gehöre ich doch auch zu der Gruppe, die glaubt, dass im Fußball noch alles mit rechten Dingen zugeht.

Deshalb glaube ich auch, dass FIFA-Boss Sepp Blatter den nächsten Friedensnobelpreis erhalten wird.

Deshalb glaube ich, dass die Arbeiter auf den WM-Baustellen in Katar nicht geknechtet, sondern fürstlich bezahlt werden.

Deshalb glaube ich, dass der frühere Schiedsrichter Robert Hoyzer niemals gewettet hat.

Deshalb glaube ich, dass die Anabolika-Dokumente, die auf Doping beim VfB Stuttgart und beim SC Freiburg hinweisen, allesamt gefälscht sind.

Deshalb glaube ich, dass im heimischen Amateurfußball an einem letzten Spieltag einer Mannschaft noch nie ein Fass Bier versprochen worden ist, damit sie sich im Spiel nicht mehr ganz so anstrengt.

Und deshalb glaube ich, dass ich meinen halben Fan, die Frau des Kollegen gw, irgendwann auch noch begeistern kann für diesen wirklich tollen Sport.

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