Der tägliche Kampf gegen den Tod im Wasser

15.8.2017, 14:00 Uhr
Der tägliche Kampf gegen den Tod im Wasser

Trotz Wetterkapriolen am Wochenende ein unumstößliches Faktum: Der Sommer ist da, Herr Köhler! Macht Ihnen das Sorgen?

Helmut Köhler: Ich hab’ mein Ohr jeden Tag am Meldeempfänger. Mir macht die Hitze nämlich tatsächlich Sorgen, weil ich weiß, dass dann in unserem Zuständigkeitsbereich – dem Fränkischen Seenland und drumherum – der Bär steppt...

 

Ihnen geht’s also genauso: Kaum verbreitet die Sonne ihre Strahlkraft, rechnet man fast schon mit traurigen Nachrichten wie denen, dass nun wieder zwei junge Schwimmer in Schwaben und Oberbayern ertrunken sind. Jung, wohlgemerkt! Nicht die typische Risikogruppe, oder?

Köhler: Jugendliche haben wir durchaus im Blick. Bei denen steht nämlich der Übermut an erster Stelle. Keine ausreichende Schwimmfähigkeit, Alkohol, Drogen und sonstiger Blödsinn – da kann schnell was passieren.

 

Bei älteren Menschen und Kleinkindern aber auch...

Köhler: Bei Senioren sind es meistens physische Angelegenheiten, die ihnen unter Umständen zu schaffen machen. Wenn jemand einen Herzinfarkt im Wasser bekommt, dann ist dieser Mensch in akuter Lebensgefahr. Darum: Bitte nicht alleine schwimmen, vor allem keine weiten Strecken! Das ist für niemanden ratsam. Besser eine Begleitung im Tretboot mitnehmen. Und wenn’s gar nicht anders als alleine geht, dann kann man sich ja Hilfsmittel wie einen "Badehosenairbag" oder eine Halskrause mit CO2-Patrone zulegen. Gibt’s mittlerweile, damit man nicht untergeht.

 

Übrigens: Vier von fünf Verunglückten sind laut Statistik Männer...

Köhler: Muskelbepackte Haudegen, die denken: ,Mir gehört die Welt’, haben die Rechnung halt nicht mit dem See gemacht. Das ist häufig eine Sache der Selbstüberschätzung...

 

Was sind Ihrer Erfahrung nach die schwerwiegendsten Faktoren, die zu Unfällen im Wasser führen?

Köhler: Ganz einfach gesagt: dass jemand gar nicht oder kaum schwimmen kann — ein Riesenproblem, das wir verstärkt mit Migranten haben! Die kommen nämlich zum Teil aus Ländern, in denen Schwimmen kein Thema ist. Krasses Beispiel: Nach dem großen Tsunami Weihnachten 2004 war ich in meiner Funktion als Technischer Leiter der Wasserwacht Deutschland in Indonesien, weil wir dort eine Wasserretterorganisation aufbauen sollten. Die aber existiert bis heute nicht, denn fast 90 Prozent der Bevölkerung kann nicht schwimmen – und wir reden hier von einem Inselstaat! Man hat dann angeregt, erst einmal Schwimmkurse anzubieten.

 

Der tägliche Kampf gegen den Tod im Wasser

Mangelnde Schwimmfertigkeiten sind aber nicht nur bei Migranten ein Thema...

Köhler: ...uns fehlt’s auch an Schwimmunterricht in den Schulen hierzulande, ja. Steht zwar im Lehrplan, aber wenn kein Bad da ist... Dass heute immer weniger Menschen schwimmen können, stimmt leider. Deshalb dürfte eine Hallenbad-Diskussion wie in Roth meiner Meinung nach gar nicht geführt werden. Natürlich geht’s ums Geld. Aber man sollte ernsthaft überlegen, wie eine Realisierung erreicht werden kann. Denn dass man den Bürgern die Möglichkeit gibt schwimmen zu lernen, sollte eine Selbstverständlichkeit sein, eine lebensnotwendige. Roth ist eine Stadt mit vielen Schulen. Im Spaßbad lässt sich ordentlicher Schwimmunterricht aber leider kaum praktizieren.

 

Mal weg vom Bad hin zum unbewachten Baggersee. Was ist zu beachten, damit man auch dort wieder unbeschadet ans Ufer gelangt?

Köhler: Prinzipiell gilt immer: Nerven bewahren! Wenn man beispielsweise mit einer Wasserpflanze in Berührung kommt, dann kann das schon ein extrem unangenehmes Gefühl auslösen. Aber jetzt bloß nicht in Panik geraten, sondern flach auf den Rücken legen und die Situation ruhig lösen. Überhaupt möchte ich vor allem Eltern dringend ersuchen, ihren Kindern keine Angst vor dem Wasser zu machen.

 

Gesetzt den Fall, ich werde beim Baden auf einen Hilferuf oder leblos treibenden Körper aufmerksam — wie verhalte ich mich als Laie?

Köhler: Bitte nicht glauben, Sie wären Superman! Holen Sie sich Unterstützung, indem Sie andere Badegäste klar und bestimmt anweisen, was zu tun ist: ,Du hilfst mir jetzt!‘ Oder: ,Rufen Sie die 112!‘ — Höflichkeitsfloskeln sind in diesem Moment nicht gefragt. Sofern Sie selber jemanden aus dem Wasser ziehen: erst einmal möglichst ohne Körperkontakt! Denn wenn ein Ertrinkender panisch um sich schlägt und Sie ergreift, dann sind Sie vielleicht das nächste Badeunfall-Opfer. Stattdessen: Lieber ein Handtuch oder eine Jacke reichen und dazu auffordern, sich daran festzuhalten.

 

Seit wann schieben Sie heuer schon Dienst an den Seen?

Köhler: Unsere Verträge mit den Zweckverbänden laufen von 1. Mai bis 30. September. In dieser Zeit sind wir an den Wochenenden und Feiertagen draußen. Daneben haben wir aber noch fünf Schnelleinsatzgruppen, die von der Leitstelle alarmiert werden und rund um die Uhr einsatzbereit sind.

 

Ist schon was Größeres passiert?

Köhler: Nein, zum Glück nicht. Obwohl Bayern meistens zu den Spitzenreitern zählt, was die Statistik der Verunglückten angeht, gehört Südfranken – also die Landkreise Weißenburg-Gunzenhausen und Roth mit Schwabach – eher zu den Schlusslichtern. Im vergangenen Jahr hatten wir einen einzigen Todesfall. Liegt sicher auch an der Möglichkeit zur luftunterstützten Wasserrettung, die wir vor Ort haben: Die Mitglieder der Schnelleinsatzgruppe werden per Funk informiert, und sind dann innerhalb von fünf Minuten an einem der "Pickpoints" im Landkreis, von wo aus man sie per Helikopter zur Unfallstelle transportiert. Möglich ist das durch die Zusammenarbeit mit der Polizeihubschrauberstaffel, die in Roth stationiert ist.

 

Das heißt: Unter Obhut der Wasserwacht ist man sicher!

Köhler: Wir tun unser Bestes! Zu unserer Ausrüstung gehören auch Sonargeräte und eine Unterwasserkamera mit 175 Metern Reichweite. Sofern die allerdings zum Einsatz kommt, ist es meistens zu spät. Das ist die Kehrseite der Medaille.

 

Ist Ihnen die Lust am Schwimmen schon jemals vergangen?

Köhler: G’scheit ärgern tu’ ich mich, wenn sich jemand völlig unnötig in Gefahr begibt. Aber meine Schwimmlust hat das noch nicht geschmälert. Und irgendwer muss den Job ja machen...

Interview: PETRA BITTNER

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