Ein 81-jähriger Mann pflegt seine 78 Jahre alte Frau

29.8.2015, 09:18 Uhr
Ein 81-jähriger Mann pflegt seine 78 Jahre alte Frau

© Foto: Wilhelm

An diesem Freitagnachmittag geht es tierisch lustig zu. „Nina“ ist da, ein kleiner Yorkshire-Terrier. Sein Frauchen Barbara Ermel ist mit ihm zu Besuch in der Gundekarstraße 20.

Dort trifft sich jeden Dienstag und Freitag am Nachmittag die Betreuungsgruppe der Familien- und Altenhilfe. Besucht wird sie vorwiegend von Demenzkranken, geleitet von Ute Gärtner-Meister und deren Kolleginnen Elfriede Spinnler, Ute Stelzel und Cordula Bachhofer.

„Nina“ ist ein „Hund im Therapieeinsatz“ und an Seniorinnen und Senioren gewöhnt. Ausgelassen saust die kleine Hundedame durch den Stuhlkreis, zeigt kleine Kunststücke wie eine Körperdrehung auf Kommando und vor allem: Sie lässt sich streicheln.

„Wollen Sie Nina mal kämmen?“ fragt Barbara Ermel. „Ja“, sagt eine kleine, sehr zierliche Frau: Ilse M. (Name von der Redaktion geändert.) Vorsichtig setzt Barbara Ermel ihr den Vierbeiner auf den Schoß, und von einem auf den anderen Moment verwandelt sich das kleine Energiebündel in ein süßes Kuscheltier. Die Seniorin strahlt, streichelt ihr mit einer kleinen Bürste durchs Fell und gibt Nina zur Belohnung ein Leckerli.

Ilse M. kommt regelmäßig in die Gruppe. Das ist nicht selbstverständlich. Im Gegenteil: Dass sie dazu körperlich und geistig überhaupt in der Lage ist — wieder in der Lage ist — das ist „ein Wunder“, sagt ihr Mann Richard M. (Name von der Redaktion geändert.)

„Wenn ich euch net hätt’“

Szenenwechsel: Ein strahlend schöner Vormittag in einem akkurat gepflegten Garten. Ilse und Richard M. sitzen zusammen mit der Pflegekraft Cornelia Fuchs von der Familien- und Altenhilfe Schwabach in der gemütlichen, von Wein eingewachsenen Pergola neben ihrem Haus.

„Wenn ich euch net hätt’“, sagt Ilse M. Cornelia Fuchs kommt jeden Tag ins Haus und hilft ihr bei der Grundpflege. Einmal in der Woche trainiert noch eine Krankengymnastin ihre Beweglichkeit. Ansonsten widmet sich Richard M. ganz der Pflege seiner Frau.

„Er macht alles für mich“

Ein 81-Jähriger pflegt eine 78-Jährige. „Er macht alles für mich“, sagt Ilse M. Er kocht, kauft ein, macht den Haushalt, putzt, wäscht — organisiert den ganzen Alltag. Und strahlt im Gespräch eine ganz erstaunliche Kraft und Zuwendung aus.

Und dann erzählt er ohne jeden Anflug von Selbstmitleid, weshalb er so dankbar ist, dass es seiner Frau zumindest wieder so geht, wie es ihr geht, und weshalb ihm das wie ein Wunder vorkommt.

Ihre Krankheitsgeschichte beginnt mit einem unglücklichen Sturz von der Treppe ihres Hauses. Sie bricht sich drei Rippen, eine Thrombose entsteht, die zu einer Lungenembolie führt. Noch in der Wohnung muss sie wiederbelebt werden.

Im Krankenhaus folgt ein Schlaganfall. Dann bekommt sie Vorhofflimmern, sogar einen Vorderwandinfarkt. Wegen akuter Probleme mit der Gallenblase wird sie notoperiert. Später bekommt sie eine Blutvergiftung, fällt ins Koma. Und bei einem weiteren Sturz bricht sie sich sogar das Becken.

„Ich hab’ einiges mitg’macht“, sagt sie und lächelt, als könnte sie es selbst nicht glauben, das alles überstanden zu haben. „Dabei hatten sie die Ärzte fast schon aufgegeben“, sagt ihr Mann. Ihr Zustand war auch dramatisch: „Sie konnte nicht mehr laufen, nicht mehr reden. Sie hat mich nur noch angeschaut.“

Erholung im Heim

Deshalb sieht ihr Mann nur noch eine Möglichkeit: ein Heim. Er entscheidet sich für St. Willibald in Schwabach. Und dort geschieht, was er nicht mehr zu hoffen gewagt hatte. Seine Frau erholt sich. Lernt wieder laufen. Beginnt wieder zu sprechen. Nach sieben Monaten ist sie sogar so weit, dass er sie wieder nach Hause holt. Auf das Heim lässt er nichts kommen.

„Aber auch Herr M. hat durch seine täglichen Besuche und überhaupt durch seine ganze positive Art enorm viel dazu beigetragen, dass es immer besser geworden ist“, sagt Cornelia Fuchs. „Und auch seine Frau hat eine unwahrscheinlich positive Einstellung zum Leben.“

„Sie sieht keine Gefahr“

Gesund aber ist Ilse M. nicht. Ihre Leidensgeschichte hat Spuren hinterlassen. Ilse M. ist dement. „Sie sieht keine Gefahren und hat Gleichgewichtsprobleme“, erläutert Cornelia Fuchs. „Und manchmal weiß sie nicht mehr, wo sie ist“, berichtet Richard M. „Dann will sie plötzlich nach Hause, obwohl wir doch schon im Wohnzimmer sind. Man kann sie nicht mehr alleine lassen.“

Und das tut Richard M. auch nicht. Obwohl bei ihm selbst eine Hüft-OP anstünde. Das kinderlose Ehepaar kann zwar auf die Unterstützung der Schwester von Richard M. zählen. Doch sich ins Krankenhaus oder zur Reha zu verabschieden und sie in Pflege zu geben, das will er seiner Frau nicht antun.

„Ja Gott“, sagt er. Einfach sei das freilich nicht. „Aber ich habe ja gewusst: Wenn ich sie heimhole, muss ich damit leben. Und ich bin froh, dass ich sie heimgeholt habe.“

Ob er nicht manchmal unter der Belastung leidet? Richard M. lacht und schüttelt den Kopf: „Nö.“

Hilfe aber nimmt er an: „Während meine Frau in der Betreuungsgruppe ist, kann ich einkaufen gehen. So gesehen, ist das der wichtigste Nachmittag für mich.“

Eigentlich ist das nicht das, was sich Gruppenleiterin Ute Gärtner-Meister für die Angehörigen wünscht: „Wir wollen sie ja wirklich entlasten, Freiraum schaffen. Deshalb sage ich immer, dass es sich die Angehörigen mal einen Nachmittag gutgehen lassen sollen.“

„Man nennt es. . .“

Gutgehen soll es auch den Besuchern ihrer Gruppe. „Das ist eine schöne Abwechslung“, findet Ilse M., die gerne kommt. Ute Gärtner-Meister und ihr Team gehen ganz auf ihre Gäste ein. Wenn jemand abwesend ist, suchen sie Kontakt, sprechen die Senioren an oder nehmen sie in den Arm. Sorgen und Ängste werden nicht kleingeredet, sondern ernst genommen. „Es braucht oft nur ein freundliches Wort, und die Situation ist entspannt“, berichtet Ute Gärtner-Meister. „So normal wie zu Hause“ solle es in der Gruppe sein. „Das gemeinsame Kaffeetrinken ist total wichtig. Das lieben alle, das ist Normalität pur.“

32 Euro kostet ein Nachmittag. Demente Patienten erhalten dafür als Finanzhilfe in der Regel 104 Euro pro Monat. Damit lassen sich also drei Nachmittage finanzieren. Der Rest ist Eigenanteil. Wer erst einmal einen Eindruck gewinnen möchte, für die oder den bietet die Familien- und Altenhilfe nach Anmeldung einen kostenlosen „Schnuppernachmittag“.

Richard M. jedenfalls weiß seine Frau gut aufgehoben. Woher er als selbst gesundheitlich angeschlagener 81-Jähriger all die Kraft hernimmt? Richard M. staunt über die Frage, schaut seine Frau an und streichelt ihr über den Arm. Noch während er überlegt, antwortet Cornelia Fuchs für ihn: „Das nennt man — Liebe.“

Nähere Infos bei der Familien- und Altenhilfe Schwabach, Telefon (0 91 22) 3 09 55, oder im Internet: www.familienundaltenhilfe.de

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