Glosse: "Apocalypse Now" in der Tagblatt-Redaktion

26.2.2017, 05:58 Uhr
Die Hexen machen auch vor dem Busfahrer nicht Halt.

© Günther Wilhelm Die Hexen machen auch vor dem Busfahrer nicht Halt.

Hach, es ist ja alles so aufregend! Neuer Arbeitsplatz, neue Stadt, neue Kollegen. Der Zauber des Unbekannten. Der Sprung von der Klippe. Augen zu und durch. Achterbahn der Gefühle.

Von wegen! Dass ich neu bin in der Redaktion des Tagblatts, das hat sich mittlerweile herumgesprochen. Die Kollegen kenne ich nun auch schon seit einer gefühlten Ewigkeit – es sind außerdem nicht so viele. Ich weiß, wo ich in Schwabach kostenlos parken kann, wo ich einen Doppelnull-Döner (keine Zwiebeln, kein Knoblauch) bekomme und wie die Bürgermeister von Rohr, Kammerstein und Hembach heißen. Kurz gesagt: Ich weiß, wie der Hase läuft.

Dachte ich. Dann kam der Schwabacher Fasching.

Zügelloser Mob

Es ist schwer, diese Erlebnisse in Worte zu fassen, so traumatisiert haben sie mich zurückgelassen. Aber ich werde es versuchen.

Unsinniger Donnerstag: Wir beobachteten die herannahende Hexenmeute bereits vom Fenster aus. Der zügellose Mob blockierte einen Linienbus und schnitt dem völlig eingeschüchterten Fahrer die Krawatte ab. Der Mann wird nie wieder ohne Angst in seinen Bus steigen.

Dann enterten die Hexen die Redaktionsräume. Zwei Kollegen, aus Datenschutzgründen nennen wir sie Jochen und Gunnar, hatten fadenscheinige Ausreden genutzt, um am Tag des Weiberfaschings nicht anwesend sein zu müssen. Der Rest erstarrte in Schrecken, als die wilde Meute singend und lachend über den Sekt und die Weißwürste herfiel – nicht ohne vorher die Gesichter der Redakteure in dekorativen Erdfarben zu bepinseln. Kollege rog sah in etwa aus wie Marlon Brando in "Apocalypse Now", während bei gw die Kriegsbemalung derart gut zu seiner halben Krawatte passte, dass er den ganzen Tag damit herumlief.

Unvermeidliches Akkordeon

Den Höhepunkt des Vormittags stellte dann ein Spiel dar. Ein Spiel! Für uns war das alles andere als ein Spiel! Mit einer ungekochten Spaghetti im Mund eine darauf gefädelte Makkaroni zitternd an den nächsten weitergeben, ohne Hände, versteht sich. Dazu anzügliche Sprüche, irgendetwas mit "Nudel" und "einführen". Und immer dieses unvermeidliche Akkordeon. Eine Tortur.

Was soll ich sagen. Wir haben es überlebt.

Die Hexen hinterließen eine Schneise der Verwüstung, unsere sonst immer penibel aufgeräumten Schreibtische waren nicht wiederzuerkennen.

Doch damit nicht genug: Nach dem Besuch der wilden Horde fehlte plötzlich das kleine, schwarze Büchlein des Kollegen rj, in dem er seine Telefonnummern notiert. Es ist das mit Abstand wertvollste, was es in dieser Redaktion gibt. "Die ganze Geschichte des Schwabacher Tagblatts ist da drin", sagt rj. Ein ungeheuerlicher Verdacht keimte auf in der Redaktion. Die verrückten Hexen mussten es haben. Wir beschlossen, diesem närrischen Treiben ein für allemal ein Ende zu setzen.

Nie wieder! Oder doch?

Also: Das war’s, nie wieder Fasching! Zumindest nicht in den heiligen Hallen des Tagblatts. Die Entscheidung ist alternativlos. Ab jetzt trinken wir Selters statt Sekt und gehen zum Lachen in den Keller. Basta.

Ein paar Minuten später haben wir das Büchlein wieder gefunden, hinter einem Schorle-Kasten, der am Boden stand. Ihr dürft also nächstes Jahr wieder kommen. Nichts für ungut.

Jedenfalls weiß ich jetzt, was es heißt, ein Schwabacher Redakteur zu sein. Mich kann nichts mehr überraschen. Hoffe ich. Am Montag kommt der Schwander Carnevals Club . . .

Keine Kommentare