Glosse: Flaschendrehen vor dem Rathaus

9.7.2017, 05:58 Uhr
Beim Seniorenfrühstück im Aurex wurde Ernst schon ausprobiert - und für gut befunden.

© privat Beim Seniorenfrühstück im Aurex wurde Ernst schon ausprobiert - und für gut befunden.

Kennen Sie Ernst? Nein? Ich kannte ihn bis vor drei Tagen auch noch nicht. Aber jetzt bin ich ein Fan, und ich werde nicht der einzige bleiben. Denn Ernst ist Klasse!

Am Mittwoch hat ihn Tobias Mayr vom Stadtverkehr Schwabach im Verkehrsausschuss des Stadtrats vorgestellt: Ernst ist ein Rollkoffer, der vor allem Senioren den Einkauf erleichtern soll. Der Stadtverkehr hat 70 Exemplare herstellen lassen, die mittlerweile vergriffen sind. Weitere Bestellungen liegen bereits vor, das Ganze ist eine echte Erfolgsgeschichte.

Mayr hat auch erklärt, wie man auf den schönen Namen Ernst gekommen ist. Aufgemerkt, nun also: Das "E" steht für Eisfach, das "R" für Regenschutz, das "N" steht für Nahverkehr, das "S" für Sitzgelegenheit und das "T" für Transport. Sie werden sich fragen, was das alles bedeutet.

Geniales Gestell

Es ist eine Aufzählung der außergewöhnlichen Fähigkeiten dieses Teufelskerls namens Ernst. Denn man kann sich auf ihn setzen, man kann im Eisfach Gekühltes transportieren und es gibt eine praktische Seitentasche für einen Regenschirm. Man kann sogar ein Gestell ausklappen und dann einen Getränkekasten damit transportieren. Was zu ebenso genialen wie vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten führt.

Auch die im Ausschuss anwesenden Stadträte erkannten das sofort, sie sind schließlich nicht allein wegen ihres guten Aussehens gewählt worden. "Ideal für den Vatertag", hieß es da, so könne jeder Vater seinen eigenen Kasten Bier ganz ohne Anstrengung hinter sich herziehen. Vorbei die Zeiten, als die zwei Kästen auf dem Bollerwagen nach einer halben Stunde leer waren und die angetrunkene Meute teuer einkehren musste.

"Sierra Madre" am Bahnsteig

Aber Ernst wird nicht nur den Vatertag revolutionieren, sondern auch das gesamtgesellschaftliche Miteinander Schwabachs. Stellen Sie sich eine Stadt vor, in der jeder Bürger, der auf irgendetwas warten muss, eine Sitzgelegenheit und einen Kasten Bier dabei hat: Verbrüderungsszenen an der Supermarktkasse, gemeinsames "Sierra Madre"-Singen am Bahnsteig oder Flaschendrehen vor dem Rathaus. Allein die Wartezeit an der Ampel Ludwigstraße Ecke Ring dürfte locker für eine Halbe reichen.

Und über das Eisfach haben wir noch gar nicht gesprochen. Weißwein, Ouzo, eisgekühlter Bommerlunder – unendliche Möglichkeiten!

Wir plädieren aus all diesen Gründen zu einer kleinen, aber feinen Namensänderung. Lieber Herr Mayr, fügen Sie bitte ein "L" an, ein "L" für Lebensfreude. So wird aus dem gestrengen Ernst das kecke Ernstl – und jeder erinnert sich bei dem Namen ans gute, alte Glücksrad.

Weltweiter Siegeszug

Die Geschichte geht weiter: Demnächst, so Mayr, werde er das Ernstl Vertretern von Verkehrsunternehmen aus ganz Bayern präsentieren. So steht einem weltweiten Siegeszug nichts mehr im Wege. Gerade England — wo die Menschen ja bekanntermaßen selbst an der Bushaltestelle eine Schlange bilden – ist sicher ein Top-Absatzmarkt.

Aber auch den öffentlichen Verkehr etwa in Tokyo würde Ernstl merklich entschleunigen. Anstatt mit Gewalt in die U-Bahn zu drängen, würden tausende Japaner auf ihrem Rollkoffer sitzen, mit heißem Sake und kaltem Sushi.

Zwar merkte Tobias Mayr im Verkehrsausschuss noch an, man wolle einen Partner suchen, der das Ernstl in Zukunft herstellt und vertreibt, das halten wir aber für Unsinn. Der Stadtverkehr sollte groß ins Ernstl-Geschäft einsteigen und sich mittelfristig ausschließlich darauf konzentrieren. Herr Mayr sitzt da auf einer Goldgrube, und – seien wir mal ehrlich – mit Bussen lässt sich doch kein Geld verdienen.

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