Glosse: Frau Engelmann und The Voice of Germany

11.12.2016, 08:00 Uhr
Sie war die erste Gewinnerin bei The Voice: Ivy Quainoo (mit ihren Coaches von The Bosshoss). Aber wer erinnert sich da heute noch dran?

© dpa Sie war die erste Gewinnerin bei The Voice: Ivy Quainoo (mit ihren Coaches von The Bosshoss). Aber wer erinnert sich da heute noch dran?

Zu meiner Schulzeit zählte das Vorsingen im Musikunterricht - Entschuldigung, Frau Engelmann, das wollte ich schon immer mal loswerden - zu den furchtbarsten Prüfungen des Jahres. Ich schreibe das an dieser Stelle, weil sich die Welt glücklicherweise ein Stückchen weitergedreht hat. Heute ist das Vorsingen äußerst beliebt, die beliebteste Prüfung hört auf den Namen Voice of Germany und lockt schon seit vielen Wochen wieder abwechselnd auf SAT 1 und Pro 7 ein Millionenpublikum vor die Fernsehschirme.

Obwohl also Deutschlands beste Stimme gesucht wird, ist der Titel der Sendung, wahrscheinlich aus lizenzrechtlichen Gründen, englisch. Und die einzelnen Gesangsrunden klingen ebenfalls ganz international. Los geht es mit den schon im Sommer aufgezeichneten Blind Auditions. Die Jurymitglieder, bei Voice heißen sie Coaches, sitzen mit dem Rücken zum Sänger. Die Optik ist also wurscht, alleine die Stimme zählt. Die Coaches können für besonders schöne Stimmen buzzern, sie drücken also einen akustischen Signalknopf, woraufhin der Sessel einen 180-Grad-Schwenk vollführt und der Coach erkennt, für wen er denn gedrückt hat. Hat jeder Coach seine 18-köpfige Mannschaft beisammen, wird die Mannschaftsgröße in der zweiten Runde, den Battles, halbiert.

Auf in die Schlacht

Wörtlich übersetzt, heißt battle eigentlich Schlacht. Aber rein körperlich tun sich die Mannschaftskameraden nix. Sie steigen zwar immer zu Zweit in einen angedeuteten Boxring. Aber dort singen sie nur zusammen beziehungsweise gegeneinander. Der Coach entscheidet sich für die bessere Stimme. Wenn einer der anderen Juroren der Überzeugung ist, dass eine besonders schöne Stimme ausscheiden würde, kann er einmal zu einem Steal-Deal greifen. Mittels seines Buzzers kann er den Verlierer, anstatt ihn nach Hause zu schicken, in sein Team holen.

Nach der zweiten Runde sind also noch 40 Sängerinnen und Sänger übrig, und jetzt wird es knifflig. Die vier Zehner-Mannschaften müssen nämlich weiter kräftig dezimiert werden. Das geschieht mit Hilfe eines Sing-Offs, eines – nun, wie soll man sagen – eines Ausscheidungssingens. Die zehn Sänger eines Coaches treten hintereinander an. Die ersten drei nehmen nach ihrer Vorführung auf einem Hot Seat Platz. Der Hot Seat klingt wahnsinnig spektakulär. Es handelt sich aber um einen ganz normalen handelsüblichen Sessel. Doch der Sessel ist im übertragenen Sinn ein Schleuderstuhl. Wenn nämlich die Sänger Nummer vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun und/oder zehn besser waren als die ersten Drei, dann müssen diese ihren Platz räumen und sind raus.

Tolle performance

Sie müssen sich deshalb nicht grämen, denn erstens können sie stolz sein, es so weit gebracht zu haben. Und zweitens bekommen sie von ihren Coaches meist viel Lob. Sie hätten eine tolle performance, be- scheinigen dann Michi Beck und Smudo von den Fantastischen Vier, was soviel heißt, dass sie in der dritten Runde viel besser waren als in den ersten zwei. Oder sie hätten, wenn schon keine siegreiche Stimme, doch zumindest eine tolle attitude (wörtlich übersetzt „Haltung“, hier ist aber wohl mehr der altmodische Begriff „Ausstrahlung“ gemeint). Das finden abwechselnd Yvonne Catterfeld, Andreas Bourani oder Samu Haber von Sunrise Avenue, die anderen drei Coaches.

Die Sing-Offs bei Voice of Germany sind seit Donnerstag history, Verzeihung, Geschichte, und nur die ersten Drei jedes Teams haben das Halbfinale erreicht. Weil es für Halbfinale aber keinen richtig coolen englischen Begriff gibt, heißen das Halbfinale und das Finale einfach Live-Shows.

Wer war Ivy Quainoo nochmal?

Wichtiger als die Frage, wer heuer kurz vor Weihnachten zur Voice of Germany ausgerufen wird, ist der Weg zum Sieg. Der Gewinner hat zwar einen Plattenvertrag in der Tasche, aber mal ehrlich: Wer erinnert sich noch an die Premierensiegerin Ivy Quainoo, wer hat noch den 2012-Sieger Nick Howard oder die 2014-Gewinnerin Charley Ann Schmutzler vor Augen?

2013-Gewinner Andreas Kümmert blieb nur im Gedächtnis, weil er sich weigerte trotz Qualifikation zum Grand Prix der europäischen Schlagerbarden zu fahren und stattdessen lieber im Eckersmühlener Posthorn vorsang. Die letztjährige Siegerin Jamie-Lee Kriewitz dagegen fuhr zum Eurovision Song Contest, wurde dort aber nur 26. von 26 Teilnehmern.

Das hätte ich mit meiner Stimme bestimmt auch geschafft. Schließlich hat mir Frau Engelmann seinerzeit für mein gefühlvolles My bonnie is over the ocean eine glatte „2“ gegeben. Sie sehen: Englisch war damals schon ganz schön in. Auch ohne Blind Audition, ohne Battle, ohne Sing-Off, ohne Hot Seat, ohne Buzzer. Ohne diesen ganzen „Ding-Dong“, wie Samu, der Finne unter den Jury-Mitgliedern, immer dann zu sagen pflegt, wenn ihm grad kein deutsches Wort einfällt. Und: Einen Coach habe ich damals auch nicht gehabt. Wer weiß, was sonst aus mir und meiner tollen attitude geworden wäre.

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