Glosse: Für einen Tag Sozialdemokrat

18.2.2018, 16:38 Uhr
SPD-Mitglied? Nur hypothetisch.

© Franz-Peter Tschauner (dpa) SPD-Mitglied? Nur hypothetisch.

Heute ein Selbstversuch: Ich stelle mir vor, SPD-Mitglied zu sein. Halt, noch einen kurzen Moment Geduld bitte, gleich geht’s los. Ich muss nur noch schnell, wo ist es denn, das Aspirin holen und das Glas Whiskey einschenken und dann noch kurz das Paspertin bereitlegen, alles schön in greifbarer Nähe, so das hätten wir, jetzt mit ganzer Kraft: Ich bin Sozialdemokrat!

Also: Kopf hoch, Rücken gerade, das Herz am linken Fleck. So stehe ich alles durch. Sogar das ganze Schlamassel der letzten Tage. Vor lauter Kopfschütteln sind mir zwar die Halswirbel verrutscht, aber dafür gibt’s ja Aspirin. Und der Ärger ist zur Not schnell runtergespült.

Aber so richtig Bauchschmerzen bereitet mir das, was noch kommt: Ich muss entscheiden! Über die GroKo, über die Zukunft der SPD, über Merkel, über Deutschland, über Europa. Schluck. Dazu hat mir der Schulz, ne, der Scholz, ich muss nochmal nachlesen, aber ist ja auch egal, jedenfalls haben mir die Berliner diese Mail geschickt mit dem Koalitionsvertrag. 167 Seiten!

Spinnen die? Die denken wohl, ich nehm’ meinen Jahresurlaub. Oder noch schlimmer: verzichte auf einen olympischen Fernsehabend. Da verpasse ich ja eine unserer 167 Goldmedaillen. Ne, alles was recht ist: Demokratie ist ja ganz schön, aber übertreiben wollen wir auch wieder nicht.

Und außerdem: Auf das allgemeine Geschwafel über eine Kommission zur künftigen Gestaltung der Krankenversicherung kann ich echt verzichten. Und die Details über die Rentenpolitik versteh’ ich eh nicht.

Da hilft dann doch nur das Bauchgefühl, wem man mehr vertraut: dem alten Olaf oder dem jungen Juso-Kevin. Olaf oder Kevin? Wo hab’ ich den Whiskey?

Mann, Mann, Mann, es war ja klar, dass das nicht einfach sein würde, Sozi zu sein. Aber muss es gleich so schwer werden? Ich hab’ null Bock mehr auf Angela. Und nullkommanull auf den Heimat-Horst. Aber die 16 Prozent minus X bei der Neuwahl sind jetzt auch nicht so prickelnd.

Nein danke, das wird mir zu kompliziert, ich spiel’ nicht mehr mit. Selbstversuch beendet. Ich will doch kein SPD-Mitglied sein.

Da geh ich lieber zur Union. Dort ist es schön. Da will keiner was von mir. Die kommen nicht mal auf die Idee, mich zu fragen. Ein Glück. Die wissen, wie doof ich bin und lassen mich kleinen Bürger in Ruhe. Offenbar wollen deren Mitglieder auch gar nicht mitentscheiden. Da hört man keinen Ton. Als Basisdemokratie reicht Passau völlig. Jubeln, dass der Markus endlich in der Staatskanzlei dahoam is. Und der Horst in Berlin eine wunderbare neue Mission hat. Und die Angela Kanzlerin bleibt, wenn’s denn sein muss und sie’s doch so gerne will. Passt scho.

Da muss ich keine 167 Seiten lesen, mir den Kopf zerbrechen, Fremdwörter nachschauen, Argumente abwägen und abends noch raus in die Kälte zur stundenlangen Diskussion im Ortsverein und mich mit mehr Demokratie plagen. So herrlich einfach kann das sein im Kanzlerinnenwahlverein.

Ein bisschen grummeln darf ich aber natürlich auch in der Union. Weil ich so traurig und erschüttert bin, dass die blöden Sozen das edle Finanzministerium kriegen. Da bin ich dann stolz, dass ich auch mal mutig bin wie die frechen Jusos.

Aber nicht zu sehr. Nur keinen Streit, das kommt gar nicht gut. Das mag Mutti nicht. Hauptsache ist ja, das Kanzleramt bleibt bei uns. Die Kommandozentrale. Da können all die Olafs und Andreas und Kevins noch so strampeln. Mutti hat schon alles im Griff. So, genug Demokratie für heute. Ich schau jetzt wieder Olympia. Wenigstens dort läuft’s goldrichtig.

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