Glosse: Notizen eines verhinderten Rockstars

23.4.2017, 05:58 Uhr
Samy Deluxe hat doch noch angerufen.

© Jörg Carstensen dpa) Samy Deluxe hat doch noch angerufen.

In jedem Journalisten steckt ja ein verhinderter Künstler, das ist allgemein bekannt. Der verhinderte Ballkünstler wird Sportredakteur, der verhinderte Schauspieler wird Feuilletonist, der verhinderte Philosoph geht zum Wochenmagazin. Und der verhinderte Romanschreiber, der wird Lokaljournalist. Deshalb gibt es auch diese Hassliebe zwischen uns und den echten Künstlern.

Das liegt uns fern

Dabei sind wir weit von Paparazzi-Methoden und Boulevard-Taktik entfernt. Den Stars aufzulauern ist uns viel zu anstrengend, da müssten wir das Büro verlassen. Einen Musiker wie, sagen wir, Keith Richards schlechtzureden, weil er die Gitarre nicht mehr halten kann, das liegt uns fern. Sicher, wenn sich mal einer zum abgemachten Termin nicht meldet, dann darf er sich nicht beschweren, wenn er öffentlich angeprangert wird.

Ja, Samy Deluxe, Sie sind gemeint!

Denn eben dieser Herr Deluxe wollte eigentlich telefonisch zum Tagblatt-Interview vorsprechen. Dass es nicht geklappt hat, kann viele Gründe haben: Krankheit, Termine, vielleicht eine Schießerei, schließlich handelt es sich um einen Rapper. Oder Vergesslichkeit, Samy Deluxe war einmal bekannt für seinen gewaltigen Cannabis-Konsum. Was aber denkt der Lokaljournalist: Aha, der Herr hat es nicht nötig, mit einem Provinzblatt zu plaudern.

Verständnis wäre angebracht

Nun seien wir mal ehrlich: Samy Deluxe hat es nicht nötig, mit einem Provinzblatt zu plaudern. Der Mann macht seit gefühlten 50 Jahren deutschen Hip Hop und gehört nach wie vor zu den Erfolgreichsten seiner Zunft.

Die Halle vom FV Wendelstein kriegt der auch ohne uns voll. Wer für Nena ein Album produziert, regelmäßig im Fernsehen auftritt, sich auf verschiedenste Weise für wohltätige Zwecke einsetzt und sogar ein Restaurant eröffnet hat, der darf schon mal einen Termin verschwitzen. Verständnis wäre hier angebracht.

Doch was macht der Lokalredakteur, der auch so gerne mal auf der Bühne vor tausenden Fans stehen würde. Er schreibt ein "Goldrichtig?!?" (dieses!), um sich zu beschweren. Wo kommen wir denn da hin, wenn Menschen Termine verpassen dürfen, weil sie berühmt sind! Da fangen morgen doch alle damit an. Am Ende kommt auch noch die Bahn zu spät.

Sympathischer Typ

Jetzt muss man allerdings zugeben, dass der Termin mit Samy Deluxe schon recht knapp anberaumt war. Und dass der Rapper gleich am nächsten Tag dann doch angerufen und sich jede Menge Zeit genommen hat. Und dass er ein ziemlich sympathischer Typ ist, mit dem man wunderbar plaudern kann.

Nicht zu vergessen, dass er die Frage nach seiner Meinung zum Journalisten-Beruf so beantwortet hat, ich zitiere: "Es ist eine noble Profession." Natürlich kamen dann ein paar Einschränkungen, aber wen interessiert das schon, die Aussage steht. Ein toller Mann, dieser Samy Deluxe. Eloquent, scharfsinnig, schlagfertig, gut mit der Sprache – an dem ist ein großartiger Journalist verloren gegangen!

Allerdings ergreift nicht jeder den Beruf, zu dem er geboren wurde. Sonst wäre zum Beispiel der Kollege rj Opernsänger geworden. Oder der Kollege gw Chefdiplomat im Auswärtigen Amt. Oder Markus Söder Tankstellenpächter.

Aber das ist nun wirklich Quatsch. Wie der Volksmund sagt: Rapper, bleib’ bei deinen Leisten.

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