Glosse: Sauerbraten schlägt Seegurke

24.12.2017, 05:58 Uhr
Wir tun was für gefährdete Arten: Wir essen Sauerbraten.

© Eduard Weigert Wir tun was für gefährdete Arten: Wir essen Sauerbraten.

Zum Abschluss unseres kulinarischen Adventskalenders sollten wir mal übers Weihnachtsmenü sprechen. Denn: Der Seegurke geht es derzeit nicht besonders gut. Weltweit sind Taucher zur Ernte unterwegs. Kaum haben sie ihren Schnorchel dreimal durchgepustet, schon gibt es nach einem Zählappell nur noch halb so viele Exemplare als noch vor ein paar Jahren.

Immer größere Gewächshäuser in Abenberg oder sonstwo zu bauen hilft nicht, denn die Seegurke ist mit der ostdeutschen Spreewaldgurke oder der fränkischen Knoblauchslandgurke nur sehr entfernt verwandt. Genau genommen handelt es sich bei der Seegurke um gar keine Frucht einer Pflanze, sondern um ein wirbelloses Tier.

Die laufende Wurst

Die Seegurke schiebt in küstennahen Gewässern ihren massigen, an eine Wurst oder an eine Walze erinnernden Leib über den Boden und verwertet dort organisches Material – tote Algen zum Beispiel, oder auch Ausscheidungen anderer Organismen. Sie ist Müllabfuhr und Recyclingfabrik in einem, denn sie gibt Bestandteile ihrer Nahrung als Nährstoffe wieder ins Wasser ab. Ein wichtiges Rädchen in einem geschlossenen maritimen Kreislauf.

Das Rädchen droht jedoch aus diesem Kreislauf herauszubrechen, denn ausgerechnet das bevölkerungsreichste Land der Erde hat die Seegurke als Delikatesse entdeckt. Statt Haifischflossen vertilgen die Chinesen in jüngster Zeit wie verrückt die unglamourösesten Geschöpfe unserer Weltmeere. In getrocknetem Zustand werden für manche (vor allem ger japanischen) Arten auf dem Markt schon Preise von 3000 Dollar und mehr pro Kilogramm aufgerufen.

Einfach aufgeklaubt

Kein Wunder, dass an den Küsten weltweit die Jagd auf die schwerfälligen Verwandten der Seeigel und Seesterne eingesetzt. Wobei Jagd eigentlich das falsche Wort ist. Die Tiere, deren Alltagsleben kaum erforscht ist, werden einfach vom Meeresboden aufgeklaubt.

Die "International Union for Conservation of Nature" (IUCN) hat längst Alarm geschlagen. Sieben der rund 70 kommerziell genutzten Arten der Seegurke stehen schon auf der Roten Liste. Man erfährt davon in der Öffentlichkeit recht wenig, weil es natürlich mehr Schlagzeilen produziert, die japanischen Walfangflotten zu verfolgen oder sich um die letzten lachenden Delfine zu kümmern. Für die Seegurke dagegen hat noch kein Mäzen seinen Geldbeutel geöffnet. Es fehlt ihr einfach ein wenig an Charisma.

Immerhin hat die Wissenschaft inzwischen einen möglichen Ausweg aufgezeigt, der die Ausrottung der Seegurke verhindern könnte. Das Zauberwort heißt "Aquakultur". Man könnte auch sagen: "Seegurkenfarm". Ob die Tiere in Gefangenschaft langfristig das Überleben ihrer Verwandten in freier Wildbahn sichern können, ist noch nicht raus. Erste Versuche sind aber vielversprechend.

Beitrag zur Rettung der Art

Doch jeder von uns kann ja das seinige zur Rettung der Gurken tun. Auf meinem Weihnachtsmenü zum Beispiel stehen ein Raclette an Heilgabend, ein ausgiebiger seegurkenfreier Brunch am ersten Feiertag (dafür vielleicht mit einer Essiggurke) und Mutters Sauerbraten am zweiten Feiertag. Natürlich habe ich Mitleid mit dem Rind, das dafür sein Leben lassen musste. Doch es ist im Dienst der guten Sache gestorben: Das Überleben der Seegurke ist damit ein winziges Stück wahrscheinlicher geworden.

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