Handwerk bietet alle Chancen – bis hin zum WM-Titel

21.8.2015, 08:50 Uhr
Handwerk bietet alle Chancen – bis hin zum WM-Titel

© Foto: Harry Rödel

Herr Dietrich, Herr Dörr, sind wir schon wieder Weltmeister?

Dietrich: Zunächst einmal ist Simon Rehm Weltmeister geworden. Aber wer vergangenen Dienstag seinen Empfang in Weinsfeld gesehen hat, der muss sagen: Zumindest die Weinsfelder fühlen sich ebenfalls als Weltmeister. Die waren mit Deutschland-Fahnen und Deutschland-Trikots am Straßenrand gestanden und haben ihren Simon gefeiert. Und wenn die Weinsfelder Weltmeister sind, dann sind wir es von der Kreishandwerkerschaft natürlich auch ein bisschen. Simons Erfolg macht uns jedenfalls stolz.

Dörr: So etwas hat es bei uns ja auch noch nicht gegeben. Vor ein paar Jahren ist der Großweingartener Max Gruber einmal Europameister der Metzger geworden. Aber einen Weltmeister hatten wir noch nie.

 

Simon Rehm hat vielleicht das Zeug zum Vorzeige-Handwerker. Aber ansonsten sind die Nachrichten, die aus dem Handwerk kommen, derzeit eher durchwachsen. Die Auftragslage ist gut. Aber es fehlt der qualifizierte Nachwuchs. Hat das Handwerk ein Imageproblem?

Dörr: Wenn man ehrlich ist, muss man antworten: Ja. Leider. Noch immer. In den Köpfen vieler Eltern ist noch drin, dass Handwerk  zweite Wahl wäre. Was es nicht ist und noch nie war. Sonst würde Deutschland nicht so aussehen wie es aussieht und nicht über so eine gute Infrastruktur verfügen. Ohne Handwerk wären wir in der Steinzeit. Von den Straßen bis hin zur Toilettenspülung. Von der Autoreparatur bis zur Krone oder Brücke im Mund. Das Bild in vielen Köpfen ist grundfalsch.

 

Inwiefern?

Dörr: Weil Handwerk nicht mit dem Gesellenbrief aufhört. Kommen wir noch mal zurück auf unseren Weltmeister. Der Simon macht jetzt schon mit 22 Jahren seinen Bautechniker und die Meisterschule...

Dietrich: ...und danach muss noch lange nicht Schluss sein. Der Junge ist so gewieft, der setzt sich überall durch.

 

Vielleicht übernimmt er aber auch den Betrieb seines Vaters.

Dietrich: Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Er hat ja noch vier ältere Brüder. Auch alles Zimmerer.

 

Da kann die Arbeit des Vaters nicht so abschreckend gewesen sein.

Dörr: Natürlich nicht. Handwerk hat viel mit Kreativität und unternehmerischem Tun zu tun. Die bloße körperliche Arbeit tritt dank des technischen Fortschritts immer weiter in den Hintergrund.

 

Wenn alles so gut ist, warum sind dann Tausende von Lehrstellen unbesetzt?

Dörr: Das liegt in erster Linie daran, dass es einfach weniger junge Leute gibt, die von der Schule abgehen. Und von diesen Jugendlichen streben immer mehr ein Studium an. Für uns an der Basis bleibt dann nicht mehr so viel.

 

Mit welchen Argumenten können Sie punkten?

Dietrich:Natürlich mit der Vielseitigkeit. Alleine in der Baubranche gibt es 15 verschiedene Berufe; vom Spezialtiefbauer über den Schallschutzisolierer bis hin zum klassischen Maurer. Dann mit den Aufstiegsmöglichkeiten. In den nächsten Jahren stehen in Deutschland hunderttausende von Firmenübergaben an. Wer sich nicht dumm anstellt und unternehmerisch denkt, hat gute Chancen. Viele Firmen, auch kleine Mittelständler wie in unserem Raum, bieten inzwischen ein duales Studium an. Das heißt: Der junge Mann oder die junge Frau lernt im Betrieb und studiert gleichzeitig an Fachhochschulen. So etwas hat es früher nur in der Industrie gegeben. Doch das Handwerk ist längst auf diesen Zug aufgesprungen. Nur wissen das viele noch nicht.

Dörr: Das Zauberwort heißt werben, werben, werben. Wir sind zum Beispiel immer bei der Nacht der Ausbildung in Roth und Büchenbach dabei, auch wenn wir da etwas in der zweiten Reihe stehen. Wichtig ist für das heimische Handwerk der Berufeparcours in Roth und Weißenburg. Da erreichen wir auf einen Schlag 2000 Haupt- und Mittelschüler der achten Klassen und können Interesse wecken. Hier herrscht, wenn ich das so sagen darf, „Waffengleichheit“ zwischen Industrie und Handwerk. Extrem wichtig sind auch Praktikums-Plätze.

Dietrich: Ein Argument ist sicherlich auch der Lohn. Ein gut ausgebildeter Meister im Angestelltenverhältnis verdient bestimmt genauso viel wie ein durchschnittlicher junger Jurist mit abgeschlossenem Hochschulstudium in einer Kanzlei. Das kann man den jungen Leuten ruhig sagen. Auch denen im Gymnasium. Dort versuchen wir inzwischen ebenfalls, Interesse zu wecken.

 

Kommen wir noch einmal zu den Aufstiegschancen...

Dietrich: Ich habe da ein gutes Beispiel. Anja Lößel hat in meinem Betrieb als Azubi angefangen. Heute hat sie nicht nur den Meisterbrief. Sie unterrichtet in der Berufsschule in Roth, bildet also selbst den Nachwuchs aus und entwirft mit diesem Nachwuchs die Werbung, um bei der nächsten Generation Interesse an unserem Beruf zu wecken.

 

Herr Dörr, Sie haben vor knapp zehn Jahren, im Jahr 2006, als Geschäftsführer bei der Kreishandwerkerschaft angefangen. Was hat sich seither geändert?

Dörr: Was die Lehrlings-Situation angeht, haben sich die Dinge buchstäblich auf den Kopf gestellt. 2006 sind wir bei den Betrieben Klinken putzen gegangen und haben um jede Lehrstelle gebettelt. Heute ist es genau anders herum. Es gibt genügend Lehrstellen, aber nicht genügend Bewerber. Ich will aber auch nicht zu schwarz malen. Bis Ende Juli hatten wir in Schwabach 48 im Landkreis Roth 165 und im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen 108 Lehrverträge abgeschlossen. Im Vergleich zum Vorjahr sind das Zuwachsraten von rund 15 Prozent. Allerdings war das Jahr 2014 ein schwaches Jahr, wir sind jetzt wieder auf dem Niveau von 2013.

Dietrich: Das ist aber noch keine Bilanz, sondern nur eine Tendenz. Etwa die Hälfte aller Lehrverträge wird im August und im September abgeschlossen. Erst dann wissen wir, wohin die Reise geht. Ich bin allerdings optimistisch, dass die großen Werbemaßnahmen – der Zentralverband des Deutschen Handwerks hat in den vergangen Jahren rund 50 Millionen investiert – allmählich greifen.

 

Das klingt einigermaßen zuversichtlich.

Dörr: Ich will tatsächlich nicht jammern. Die Betriebe sind derzeit mit ihrer Situation zufrieden. Die Auftragslage ist gut. Und inzwischen gibt es, was die Rekrutierung des Nachwuchses angeht, Unterstützung von unerwarteter Seite...

Dietrich: ... genau, von der Zulieferindustrie des Handwerks nämlich. Dort geht die Angst um, dass es bald nicht mehr genügend Handwerker gibt, die ihre guten Produkte auch verarbeiten können.

 

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