Hebamme: Ein Traumberuf in der Sackgasse

19.8.2017, 07:44 Uhr
Hebamme: Ein Traumberuf in der Sackgasse

© Foto: Andrea Ungvari

"Das Reizvollste waren für mich früher die Geburten. Da dachte ich: ‚Ey, das ist das Kernstück, das brauche ich unbedingt‘", sagt Simone Götz mit strahlenden Augen.

Die 40-jährige Hebamme aus Neuendettelsau trägt ihr dunkelbraunes, dichtes Haar schulterlang. In ihrem Behandlungsraum sitzt sie barfuß an einem kleinen Tisch, auf dem ihre zusammengefalteten Hände ruhen. Das Fenster ist weit geöffnet, die sommerliche Abendluft dringt kühl in den Raum.

Seit sie zwei eigene Kinder hat, hilft Simone Götz nicht mehr bei der direkten Geburt. "Anfangs war ich blauäugig und nahm mir vor, nur Wochenenddienste zu machen. Davon kann man aber die Versicherung nicht finanzieren. Aktive Geburtshilfe ist nur möglich, wenn man einhundert Prozent arbeitet". Zynisch fügt sie hinzu: "Oder eher 150."

Laut dem Institut für Gesundheits- und Sozialforschung bieten nur noch rund 25 Prozent der freiberuflichen Hebammen die Geburtshilfe an. Denn in diesem Fall kostet die Haftpflichtversicherung 7639 Euro im Jahr, so die Information des Deutschen Hebammenverbandes.

Simone Götz echauffiert sich über die hohe Summe: "Das ganze Leben ist ein Risiko, allen voran die Geburt. Und es hat – hart, aber ehrlich ausgedrückt – keiner das Recht darauf, gesund geboren zu werden. Hebammen tun ihr Möglichstes, dass genau dies trotzdem geschieht."

Mittlerweile sieht sie ihre Aufgabe darin, die Mütter auf die Geburt vorzubereiten. "Die Frauen lernen, wie sie ihr Baby selber fühlen können. Ich finde es schön, wenn sie einen Kontakt zu ihrem Körper aufnehmen und die Schwangerschaft als etwas ganz Natürliches sehen", sagt Simone Götz lächelnd.

Die Nachsorge der Frauen und Neugeborenen ist auch Teil ihrer Arbeit: Am nächsten Morgen steht der Hebamme ein Hausbesuch in Schwabach bevor. Die Klimaanlage ihres Skoda Fabia ist kaputt, ihr Haar weht im Fahrtwind bei geöffnetem Fenster, die braune Marco-Polo-Sonnenbrille sitzt.

Wichtige Nachbetreuung

Unterwegs schildert sie die Betreuung der jungen Mutter: "Clara (Name geändert) hat das erste Kind ambulant entbunden. Anfangs war ich täglich bis zu zweimal da. Jetzt geht es eher ums Handling mit dem Baby." Insgesamt erstreckt sich die Nachbetreuung auf vier bis zwölf Wochen, je nach Notwendigkeit.

Clara Eick (Name geändert) öffnet die Tür ihres Reihenhauses mit einem strahlenden Lächeln. Ihre hellblauen Augen kommen durch ihren gebräunten Teint zur Geltung. Die 29-Jährige trägt ihre winzige Tochter Lotta (Name geändert) behutsam auf dem Arm.

In der lichtdurchfluteten Wohnküche nimmt sich Simone Götz ein Glas aus dem Regal und füllt sich Leitungswasser ein. Lotta ist erst 23 Tage alt und hat braunes, zerzaustes Haar. Sie fixiert während dem Stillen die Augen ihrer Mutter.

Das Kinderzimmer ist lila tapeziert, darauf sind kleine Esel und Schäfchen abgebildet. Simone Götz legt das Kind sorgsam auf den Wickeltisch. Lotta ächzt und stöhnt und strampelt mit ihren kurzen Beinchen. "3.770 Gramm. So soll’s eigentlich sein", beruhigt Simone Götz. "Du merkst es hier am Handgelenk, da hat sie eine Speckfalte. Der Handrücken ist auch nicht mehr so knöchern. So gedeiht sie optimal", versichert sie.

"Ich muss absagen"

"Die Betreuung im Krankenhaus fand ich wahnsinnig schlecht. Daheim werde ich durch Simone besser versorgt und fühle mich einfach wohler", erklärt Clara Eick mit liebevoller Stimme.

Viele Frauen würden gerne eine Nachsorge durch die Hebamme in Anspruch nehmen, doch die Kapazitäten sind knapp. "Ich muss in der Woche bestimmt zehn Frauen absagen. Wir merken absolut, dass es immer weniger Hebammen gibt", gesteht Simone Götz.

Laut Astrid Giesen, Vorsitzende des Bayerischen Hebammen Landesverbandes, gibt es auf die freien Ausbildungsplätze 80 Prozent weniger Bewerbungen als noch vor zehn Jahren.

Vergebliche Suche

Die Gründe liegen auf der Hand: "Die Versicherung, der Anspruch auf Einsatz und die hohe Arbeitsbelastung durch Mangel schrecken ab. Das alles vereinbart sich schlichtweg nicht mit dem Lohn", berichtet Astrid Giesen.

Auf der Rückfahrt zur Praxis nennt Simone Götz ihre aktuelle Herausforderung: "Bei uns hören drei Hebammen auf mit der Freiberuflichkeit. Wir waren wirklich am Kämpfen mit der Praxis, denn was fünf Leute zusammen stemmen, geht mit zweien nicht mehr".

Drei Jahre lang suchten sie schon händeringend neue Hebammen. Die Geburtshelferin glaubte nicht daran, dass sich das Problem zügig lösen würde – und behielt damit fatalerweise recht. Zum Ende dieses Jahres muss sich die Hebammengemeinschaft Schwabach auflösen. Der letzte Kurs wird am 5. Dezember stattfinden, danach wird die Praxis geräumt.

Abschied von Schwabach

Trotzdem will Simone Götz an ihrem Beruf festhalten: "Wie aus den Frauen Mütter werden, das finde ich einfach klasse." Deshalb wird sie ihre Leidenschaft weiter ausführen – wohnortnah, in Neuendettelsau. Auch ihre Kollegin Tanja Gastner wird ihren Beruf noch in Heilsbronn und Umgebung betreiben. Für die Schwabacher bedeutet das den Verlust wertvoller Ansprechpartner rund um das Thema Geburt. Simone Götz fügt jedoch hinzu: "Wenn in Schwabach jemand eine Hebamme benötigt, stehen auf unserer Homepage weiterhin unsere persönlichen Kontaktdaten, unter denen wir erreichbar sein werden."

Zwww.hebammengemeinschaft-schwabach.de

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