Lang, länger Ultralauf: So weit die Füße tragen

8.7.2017, 14:00 Uhr
Lang, länger Ultralauf: So weit die Füße tragen

© Foto: Gerner

"Davor hab’ ich richtig Respekt" sagt Roland Krauss mit Blick auf den Etappenplan. Bis zu 90 Kilometer sind die einzelnen Teilstücke lang. Die letzte und kürzeste misst zwar nur 24 Kilometer. Dafür geht es dann 2500 Höhenmeter nach oben auf Deutschlands höchsten Berg.

Guten Mutes

Doch Roland Krauss wird es schon schaffen. So wie er schon vieles geschafft hat in den vergangenen Jahren, was ihm die wenigsten zugetraut hatten. Vor 20 Jahren, Krauss lebte da noch im Schwabacher Vogelherd, war Laufen ungefähr das Letzte, was den gelernten Koch gereizt hat. "Meine Bewegung bestand hauptsächlich darin, dass ich mit der Fernbedienung durch die Fernsehprogramme gezappt bin", erinnert er sich. Irgendwann, es war kurz vor Weihnachten, stellte er sich auf die Waage, und die Waage zeigte 120 Kilogramm an. Roland Krauss kam zu dem Schluss: So kann es nicht weitergehen.

Der Mitdreißiger überlegte, ob er das sporadische Radfahren intensivieren sollte. Doch es war zu kalt. Also versuchte er es mit dem Laufen. "Aber nach 500 Metern war ich völlig außer Puste", erzählt er. Anders als früher blieb Roland Krauss jetzt aber dran. Bald schaffte der gebürtige Oberpfälzer zwei Kilometer, irgendwann fünf Kilometer, dann eine sieben Kilometer lange "Hausrunde" und eine zwölf Kilometer lange "Standardrunde".

Ungewöhnliche Vorbereitung

Vor ein paar Jahren reichte ihm das nicht mehr. In der Zeitung las er etwas vom Fränkischen-Schweiz-Marathon. Das war der nächste Schritt. Zur Vorbereitung fuhr er mit dem Fahrrad 21 Kilometer den Alten Kanal entlang und auf der anderen Seite wieder 21 Kilometer zurück. Den Wendepunkt prägte er sich ein. Dann lief der die Strecke ab. Nach 3:46 Stunden war er zurück. Die richtige Premiere auf der amtlich vermessenen Strecke absolvierte er in 3:18 Stunden. Mit einer Bekannten fuhr er wenig später nach Florenz. Der nächste Klassiker, nur wenige Wochen später. 42,195 km in 3:12 Stunden. Schneller war Roland Krauss seither nie wieder.

Weiter statt schneller

Er will aber auch gar nicht schneller werden. Er will einfach weiter laufen. Die richtig schnellen Leute laufen im Frühjahr einen Marathon und dann noch einmal im Herbst. Der Rest wird dem Training gewidmet – und der Regeneration. "Zwei Marathons pro Saison? Mir hat das nie gereicht", erzählt Roland Krauss. Alleine in den vergangenen eineinhalb Jahren ist er 50 Mal die klassische 42,195-km-Distanz gelaufen – oder weiter.

Dass aus dem Marathoni Krauss ein Ultra-Läufer wurde, hängt mit dem Schwabacher Gerhard Börner zusammen. In der Szene wird Börner Ultra-Börner genannt, weil er ganz lange Trails läuft und im Winter befreundete Läufer immer zu einer 58-km-Tour durch die möglichst verschneite Region bittet. Von diesem Einladungslauf las Roland Krauss in der Zeitung. Er machte mit, er kam nicht nur gut mit, sondern spielte oft auch das Zugpferd.

Börner machte Krauss den Mund wässrig. Er nahm an Sechs-Stunden-Läufen teil und meldete sich für die legendären 100 Kilometer im Schweizerischen Biel an. Zur Vorbereitung wollte er beim 10-Stunden-Lauf in Kelheim wissen, wie es sich so anfühlt nach 60, 70 oder 80 Kilometer zu Fuß. Er hatte nach 9:20 Stunden 100 Kilometer geschafft. Seine Premiere in Biel absolvierte er in 9:07 Stunden.

Der Spartathlon

Wer 100-km-Läufe für verrückt hält, der hat noch nichts vom Spartathlon gehört. Wer in Biel unter zehn Stunden bleibt, darf nach Griechenland fahren und sich an einem 246-km-Nonstop-Lauf von Athen nach Sparta versuchen. Roland Krauss hat das bisher einmal versucht und ist – erstmals in seinem Läuferleben – gescheitert. Nach etwas mehr als 100 Kilometern musste er aufgeben. Ein Bruch des Kreuzbeins und Haarrisse im Becken waren nicht ausgeheilt. Die Schmerzen wurden unerträglich. So bleiben seine an einem Stück gelaufenen 204 Kilometer bei einem 24-Stunden-Rennen in München bislang sein persönlicher Rekord.

Jetzt halt mit Krafttraining

Zu etwas mehr Zurückhaltung hat die schwere Verletzung Roland Krauss nicht verleitet. Im Gegenteil. Zusätzlich zu seinen täglichen Läufen macht er jetzt noch Krafttraining. Nicht im Studio, sondern zu Hause auf einer Matte. Hüfte und Becken will er damit kräftigen, und es scheint so zu sein, als dass es wirkt. "Ich bin dem Herrgott jeden Tag dankbar für meine robuste Konstitution", sagt der heute 54-Jährige.

Weil selten etwas zwickt und zieht, meldete sich Roland Krauss zum Deutschlandlauf an, wo er am 16. Juli als einer von 65 Läuferinnen und Läufern in Sylt an der Startlinie steht. Zur Vorbereitung lief er die 100 km von Biel mit einem anschließenden Marathon im Allgäu (ohne Schlaf dazwischen). Und den 162 Kilometer Mauerweglauf in Berlin, wo auch bei Roland Krauss zwischendurch der Akku bei 0 Prozent stand. "In solchen Fällen setze ich mir kleine Ziele", erzählt er. "Bis zur nächsten Versorgungsstation noch, vielleicht weitere fünf Kilometer, ich sage mir, dass ich in einer halben Stunde oder in einer Stunde immer noch aufhören kann."

Mentales Loch

In einer halben Stunde oder einer Stunde hört Krauss dann aber nicht auf, sondern hat sein mentales Tief überwunden. "Dann läuft’s sich wieder viel leichter."

Dass Roland Krauss sich so viel Zeit für seine Leidenschaft nehmen kann, hängt mit zwei Faktoren zusammen. Erstens kommt er mit wenig Schlaf aus. Und zweitens arbeitet der frühere Koch inzwischen im Dreischicht-Betrieb bei der Firma Datev. Wenn er Nachtschicht hat, dann nutzt der den Vormittag fürs Schlafen und den Nachmittag für Training.

8,5-km-Sprint

Vergangenes Wochenende ist Roland Krauss beim Landkreislauf die 8,5 km von Büchenbach nach Kammerstein gelaufen. Für ihn so etwas wie ein Sprint. Das macht er für die "Kabas", die Laufgemeinschaft Kammerstein-Barthelmesaurach, deren Organisator er auch ist.

Doch die 8,5 km sind, anders als 200 Kilometer bei einem 24-Stunden-Lauf, für ihn "der reinste Horror. Bis ich auf meine Stoppuhr gedrückt habe, sind alle anderen ja schon weg." Die ganze Hektik gibt es bei Ultra-Läufen nicht. "Das ist kein Gegeneinander-Laufen, sondern ein Miteinander-Laufen", erklärt Roland Krauss den Unterschied . "Unterwegs denke ich schon mal darüber nach, wie ich die anderen ein wenig motivieren kann."

Ein Leben ohne Laufen kann sich Roland Krauss, der heute keine 120, sondern nur noch 75 Kilogramm wiegt und der selbstverständlich beim Challenge Roth auch eine der 25 Datev-Staffeln als Marathonläufer komplettiert, nicht mehr vorstellen. Fünf bis sechs Paar Laufschuhe verschleißt er binnen eines Jahres. Das geht natürlich ins Geld. Doch zurückstecken gilt nicht. "Ich bin ein Spaßläufer", sagt der Oberreichenbacher. "Wenn ich viel Spaß haben will, muss ich eben viel laufen."

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