Lügen, Fristen, Fallstricke: Anwalt kommt davon

16.9.2017, 05:58 Uhr
Ein Prozess am Amtsgericht mit undurchsichtiger Gemengelage führte letztlich zu einer Einstellung des Verfahrens gegen Auflage.

© Thomas Correll Ein Prozess am Amtsgericht mit undurchsichtiger Gemengelage führte letztlich zu einer Einstellung des Verfahrens gegen Auflage.

Wer lügt, wer sagt die Wahrheit? Wer will dem anderen mehr ans Bein binden? Am Ende ist das nicht klar auszumachen, obwohl die Schwabacher Amtsrichterin Dr. Andrea Martin sich strukturiert und detailgenau durch die Fäden und Fallstricke arbeitet, die vor sieben Jahren vielleicht gelegt wurden.

Im Sommer 2010 hatte der Anwalt aus Roth anscheinend sehr viel Stress. Seine Kanzlei war nämlich, so erklärt der 49-Jährige selbstbewusst und wortreich, nicht wie sonst mit vier bis fünf, sondern nur mit einer Rechtsanwaltsfachangestellten besetzt. Deshalb habe er an einem Freitagmittag gemeinsam mit Lydia H. (Namen von der Redaktion geändert), die erst einen knappen Monat bei ihm arbeitete, Schriftsätze eingetütet und postfertig gemacht. Dass dabei ein Schreiben mit einer wichtigen Frist für eine Berufungsverhandlung nicht zum Landgericht, sondern aus Versehen an eine Sicherheitsfirma ging, erfuhr der Anwalt erst drei Wochen später, als der "Irrläufer" von der Sicherheitsfirma zurückkam und das Landgericht das Fristversäumnis bereits feststellt hatte.

Also habe er seiner Angestellten den Schriftsatz erneut diktiert – dummerweise habe er das Dokument anscheinend nicht abgespeichert, also nur einen Ausdruck mit reingekritzelten Korrekturen in der Hand gehabt.

Der Anwalt versicherte dann an Eides Statt, dass Lydia H. ihn um Hilfe wegen der vielen Post gebeten habe, gemeinsam hätten sie Briefumschläge kuvertiert, irgendwo muss der Schriftsatz ins falsche Kuvert gelangt sein. Eine so lautende Versicherung sollte dann auch die Angestellte unterschreiben – "wer von uns falsch eingetütet hat, war ja nicht mehr zu klären", begründet der Angeklagte vor Gericht.

"Kein Bock"

Doch Lydia H. wollte die Versicherung nicht unterschreiben. Sie erinnert sich dagegen, dass sie ihren Chef Ende Juli mehrmals ans Verstreichen der Frist erinnert habe, der aber mit "keinen Bock darauf" geantwortet habe. Drei Wochen später habe der Chef ihr an einem Tag zwei Schriftsätze diktiert: einen mit dem aktuellen August-Datum und der Versicherung, dass da was falsch eingetütet worden war, einen zweiten mit dem verstrichenen Juli-Datum, dazu habe er gesagt: "Den schicken wir jetzt an die Sicherheitsfirma".

Zudem sollte sie die eidesstattliche Versicherung unterschreiben, was sie zunächst nicht wollte, unter Drohungen aber machte. Die Sicherheitsfirma hat den "Irrläufer" mit Eingangsstempel versehen und zurückgeschickt – allerdings war der Brief nur einen Tag später wieder in der Rother Kanzlei.

Lydia H. kündigte nur wenig später, klagte noch Arbeitszeugnis und ausstehenden Lohn ein. Eine Kollegin von ihr, die die Debatte um die Erklärung zum Teil miterlebt hatte, blieb auch nur ein gutes halbes Jahr bei ihrem Arbeitgeber. Auch sie sagt jetzt als Zeugin aus, will sich aber an das nachträgliche Diktat des Anwalts dann doch nicht mehr genau erinnern, nur noch an die vom Chef diktierte eidesstattliche Versicherung. Und dass in der Kanzlei schon mal Briefeingänge auf später datiert werden sollten.

Auch an Drohanrufe des Anwalts wollen sich beide Angestellten erinnern. Ob es konkret um dieses Verfahren gegangen sei, will der Verteidiger des Anwalts wissen. Ja, wohl schon, erinnert sich die eine. Aber dieses Strafverfahren, weshalb man jetzt hier sei, war zu der Zeit noch gar nicht eröffnet, entgegnet Verteidiger Jochen Kaller. Darauf kann die frühere Kollegin und jetzige Freundin von Lydia H. nichts sagen.

Schweigepflicht verletzt?

Die Gemengelage wird immer undurchsichtiger: Lydia H., die Hauptbelastungszeugin, hat später Kontakt mit einem gegnerischen Anwalt gehabt – genau dem, der in die Berufungsverhandlung wegen der verstrichenen Frist involviert war. Geheimnisverrat? Richterin und Verteidiger Kaller schauen in Gesetzestexten nach: Ja, auch Rechtsanwaltsfachangestellte haben Schweigepflicht – über ihr Arbeitsverhältnis hinaus. Also sagt Lydia H. nichts mehr dazu, wie der gegnerische Anwalt an Detailinformationen über ihren Ex-Chef gelangt ist – weil sie sich selbst belasten könnte.

Dabei sei da sicher einiges "komisch", findet auch Staatsanwältin Sandra Mahr. Warum werde ein Schriftsatz überhaupt nicht abgespeichert? Wo ist das bekritzelte Original hingekommen? Warum taucht eine über Jahre verschwundene Akte zufällig einen Tag vor der Strafverhandlung wieder auf? Kann in der Sicherheitsfirma, deren Hausjurist eng mit dem angeklagten Anwalt verbunden ist, ein Eingangsstempel vielleicht doch manipuliert werden? Warum vergeht zwischen dem falsch datierten Schriftsatz mitsamt der Nötigung zur eidesstattlichen Versicherung von Lydia H. bis zur Rücksendung des Dokuments nicht einmal ein ganzer Tag? Warum ruft der Ex-Chef Jahre später bei seinen Angestellten an?

"Komische" Fragen

Aber Lydia H. hatte eben auch Kontakt mit einem gegnerischen Anwalt – und nur von ihr konnte der Jurist, der den Rother Anwalt schließlich anzeigte, die Detailinformationen haben – das legt doch Belastungseifer nahe, überlegt die Richterin. Dem Wunsch von Verteidiger Kaller nach einer Einstellung des Verfahrens schließt sich Staatsanwältin Mahr trotz der "komischen" Fragen an.

Zwar redet die Richterin dem angeklagten Anwalt, der in mehrere Verfahren verstrickt ist, zwar noch ins Gewissen, willigt aber ein: Gegen drei Mal 1000 Euro, die der Anwalt an Hospizverein, ZAK-Verein und Diakonie Wendelstein bezahlen muss, wird das Verfahren eingestellt.

Keine Kommentare