Matthias Egersdörfer als rechtsradikaler Biedermann

5.10.2015, 08:06 Uhr
Matthias Egersdörfer als rechtsradikaler Biedermann

© Foto: Robert Schmitt

Der Nazi ist unter uns. Schließlich hängt das Konterfei des Führers sogar an der Wäscheleine. Scheinbar unverdächtig zwischen Plumpaquatsch, der Kunstfigur aus einer ARD-Kinderserie der 1970er Jahre, und einem der Hasen Carmens. Sie und der namenlose Neo-Diktator in Hemd und Sakko sind ein Paar geworden. Doch das ist kein Glück für Lebensabschnittspartnerin Carmen. „Ich bin vom Selbstmord besessen“, singt sie. Bitterböse Szenen einer bizarren Beziehung.

Kein Wunder. Denn ihr Liebhaber behandelt sie nicht nur schlecht. Er demütigt sie so gut wie unablässig. Er erniedrigt sie, wo es nur geht.

René Eichhorn, seinem schwulen Nachbarn, geht es kein Stück besser. Die Würde der beiden ist dem anonymen Nazi so gleichgültig wie politische Korrektheit. „Ham’s was vom Hitler“, will er von Eichhorn wissen, als ihm der von seiner Sammelleidenschaft erzählt. Mit der Berichterstattung über die Königshäuser Europas hat der homosexuelle Verkäufer schon eine ganze Reihe verschiedenfarbiger Ordner gefüllt.

„Carmen oder: Die Würde des Menschen ist ein Scheißdreck“ hat der Kabarettist Matthias Egersdörfer sein neues Programm genannt, das eigentlich ein Kammerspiel in zwei Akten ist. Dabei überzeugen Egersdörfer und seine beiden Partner vollkommen. Die Darstellung ist über weite Strecken famos. Sie bilden eine dramatische Einheit, die mit solcher Wucht ins Publikum gelangt, dass sich dort sicher häufig Ratlosigkeit, vielleicht auch Verstörtheit breitmacht. Das Programm war aber als „Kabarett für Erwachsene“ angekündigt worden. Schon deshalb dürften die Worte „ficken“, „Drecksau“, „Hinterlader“ und ähnliches eigentlich nicht für Entsetzen sorgen. Sie flattern häufig über die Bühne. Das Signal ist klar: Im Jargon eines rechtsradikalen Biedermanns tun sich Abgründe auf.

Carmen spürt die Verachtung ihres Lovers, nimmt seine Schimpftiraden aber ruhig hin. Ihre skurrile Mimik pendelt dabei stets zwischen Bewunderung und Selbstkritik. Eichhorn kichert in Schwulenmanier. Beide sind Opfer eines schrecklichen Alltags-Faschismus. Der Zuschauer ist entsetzt und kann es kaum glauben. Carmen und René aber stecken weiter ein, ohne mit der Wimper zu zucken.

Claudia Schulz und Andy Maurice Müller spielen erstklassig. Egersdörfer steht auf der Bühne wie man ihn kennt. Stimme, Blick und ein tabulos-intelligenter Text reichen, um tief in menschliche Abgründe zu tauchen und in seelischen Grausamkeiten zu baden. Ein kongeniales Trio infernal.

Mehr als ein wenig unbehaglich darf man sich allerdings fühlen, wenn Carmen den Holocaust mit Hilfe des Namens der Spielstätte gewissermaßen örtlich übertragen will. „Die Schwabacher Gaswerk-Nazis haben 1000, 100, 10 Juden vergast“, stellt sie fest, weiß damit aber ebenso wenig anzufangen wie das Publikum.

Doch selbst dafür bietet Matthias Egersdörfer eine Erklärung. „Da hat der Spaß ein Loch gehabt“, bleibt er gelassen. Das erschüttert allerdings weniger als die klare Botschaft des Abends: „Der Nazi ist unter uns.“ Verdienter und ausgiebiger Applaus für einen Abend zwischen Übelkeit und Katharsis.

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