Optimales Alltagsfahrrad kommt aus Großschwarzenlohe

9.9.2014, 08:15 Uhr
Ein Gepäckträger fehlt, stattdessen ist ein Halter für Packtaschen am Schutzblech des "optimalen Fahrrads" montiert. Helmut Wirkner, Markus und Angela Streck (von links) sind begeistert.

© Meier-Magazin Ein Gepäckträger fehlt, stattdessen ist ein Halter für Packtaschen am Schutzblech des "optimalen Fahrrads" montiert. Helmut Wirkner, Markus und Angela Streck (von links) sind begeistert.

Der 73-jährige Maschinenbau-Ingenieur befasst sich mit diesem Thema schon seit 1993. Damals fuhr er täglich mit dem Fahrrad in die Arbeit nach Nürnberg beziehungsweise Fürth und lernte bald die Schwächen des Fortbewegungsmittels Fahrrad kennen. Seit nunmehr gut 20 Jahren beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema.

Zuerst baute er sich ein Sesselrad, auf dem er entspannt zurückgelehnt sitzen konnte. Er hat geplant und konstruiert, Ideen entwickelt und wieder verworfen – und das beste natürlich in der Praxis ausprobiert und auch ausgiebig getestet. Mit seinen Fahrrädern ist er von Berlin nach Rostock gefahren und auch von zu Hause bis nach Wien. Drei Generationen Sesselräder hat Wirkner gebaut, doch vom Sesselrad-Konzept ist er wieder abgekommen. Seine neueren Entwicklungen sehen einem Damenrad ähnlich. „Cruiser“ nennt er dieses Konzept, wobei es nur bedingt etwas mit den „Cruiser“-Fahrrädern zu tun hat, die der Handel anbietet.

Immer wieder weiterentwickelt

Auch das „Cruiser“-Konzept hat Helmut Wirkner immer wieder weiterentwickelt. Mittlerweile hat er die vierte „Cruiser“-Generation gebaut beziehungsweise bauen lassen. Sein Fahrrad hat 26-Zoll-Räder, einen hohen Lenker und einen bequemen, breiten Sattel. Der sitzt auf dem Rahmen mit einer eigens konstruierten Parallelogramm-Federung mit zusätzlichem Dämpfer-Element. Es ist auch möglich, einen Elektro-Motor zur Tretunterstützung einzubauen. Von diesem Modell gibt es bislang lediglich zwei Exemplare. Eines (mit E-Motor) fährt der Steuerberater Franz Schneider aus Röthenbach/St.W. Das zweite nutzt Helmut Wirkners Sohn, Dr. Christian Wirkner, in Rostock.

Optimales Alltagsfahrrad kommt aus Großschwarzenlohe

© Foto: oh

Die Unzufriedenheit mit den gängigen Fahrrädern hat Helmut Wirkner soweit gebracht und lässt ihn immer weiter forschen, konstruieren und bauen. „Die Standard-Fahrräder haben viele kleine Mängel,“ erklärt er, „diese Mängel wollte ich aus Maschinenbauer-Sicht angehen und das Fahrrad weiter optimieren.“ Ziel war und ist stets das „optimale Alltagsfahrrad“. Dafür hat der Diplom-Ingenieur (FH) einen Katalog mit „zehn Schritten zum optimalen Alltagsfahrrad“ entwickelt. Was darin aufgeführt ist, klingt eigentlich selbstverständlich – ist es aber nicht.

In erster Linie geht es Helmut Wirkner um „bequem sitzen und gut treten.“ Die Forderung nach ergonomischer Gestaltung und Sitzhaltung trägt in dem Katalog folglich auch die Nummer 1.

"Wie die Tour-de-France-Fahrer"

„Das Fahrrad wurde seit 200 Jahren nicht wesentlich weiterentwickelt. Wir sitzen immer noch drauf wie die Tour-de-France-Fahrer“, sagt Wirkner. Nach unten treten, nach oben buckeln. Schuld daran ist wahrscheinlich auch die Union Cycliste Internationale (UCI), die in den 1930er Jahren festgelegt hat, wie ein Fahrrad auszusehen hat. Diese Norm verdrängte damals Sessel- und Liegeräder aus dem Fahrrad-Rennsport und machte den heute mehr oder weniger immer noch üblichen Diamant-Rahmen zur Regel. Doch das „Buckeln“ geht früher oder später ins Kreuz. Schmerzen im Rücken sind aber noch längst nicht alles. Helmut Wirkner verweist auf Umfragen, wonach Fahrradfahrer Beschwerden von den Zehen über Nacken, Arme und Beine bis in die Finger (Taubheitsgefühl) haben.

Wie auf einem Chopper

Auf seinem Cruiser sitzt man wie auf einem Motorrad-Chopper: Bequem nach hinten gelehnt. Und man tritt nach vorne unten. Ergonomie-Studien haben ihn zu der Erkenntnis gebracht, dass diese Sitzhaltung die beste ist. Helmut Wirkner verweist hier auf ergonomische Vorgaben für Fahrzeug-Sitze, zum Beispiel in Lkw oder Baumaschinen. Angenehmer Nebeneffekt der entspannten Sitz-Position: Nimmt man die Füße von den Pedalen, steht man mit beiden sicher auf dem Boden.

An den handelsüblichen Fahrrädern wurmt Wirkner aber noch einiges mehr. Zum Beispiel die „riesigen Kabelschlaufen“ von Brems- und Seilzügen. Als Ingenieur hat er gelernt, dass alle Bauteile möglichst in Gruppen oder Modulen zusammengefasst werden sollen. „Beim Fahrrad schraubt jeder irgendwie irgendwo was hin“ ärgert er sich. Daher auch die Nummer 2 in Helmut Wirkners Zehn-Schritte-Katalog: Ganzheitliches Design/Funktions-Integration. Die Leitungen und Züge hat er deshalb konsequent im Rahmen verlegt. Eine Kleinigkeit vielleicht nur, aber ein Schritt in dieselbe Richtung: Wirkner verbaut einen integrierten Scheinwerfer auf dem vorderen Schutzblech.

Dass ihm als Maschinenbau-Ingenieur die „technisch optimale Detailgestaltung“ (Nummer 3) insgesamt am Herzen liegt, ist klar.

„One fits all“

Ihn ärgert auch, dass unterschiedlich große Fahrer bei den üblichen Fahrrädern eigentlich unterschiedliche Rahmenhöhen benötigen: „Das gibt’s doch beim Auto auch nicht, warum also beim Fahrrad?“ Er will das Fahrrad so anpassungsfähig gestalten, dass ein Modell für jede Größe passt. „One fits all“, zitiert er den entsprechenden Techniker-Grundsatz (Nummer 4: Gute Anpassung an Benutzer).

Optimales Alltagsfahrrad kommt aus Großschwarzenlohe

© Foto: Hess

Forderung Nummer 5 in seinem Zehn-Schritte-Katalog: Als Transportmittel gut geeignet. Gepäck gehört gut verstaut und nicht einfach so festgeklemmt (oder dann manchmal auch nicht fest genug). Er hat die Schlussfolgerung gezogen, dass sein Rad keinen Gepäckträger braucht, vielmehr dienen die Streben am hinteren Schutzblech als Halter für Packtaschen. An einen Halter vorne (befestigt am Rahmen, nicht am Lenker) kann man Korb oder Täschchen klipsen.

Schutz vor Witterung/Schmutz (Nummer 6) ist ebenfalls wichtig. Ordentliche Schutzbleche und vorne ein langer Spritzlappen bieten bei Nässe Schutz vor Spritzwasser von unten. Derzeit experimentiert Wirkner auch mit einem Regenschutz für den Fahrer. Der soll möglichst leicht sein, der Ingenieur denkt hier zuerst an Polystyrol/Styropor. Vielleicht bringt der Regenschutz auch noch bessere Aerodynamik.

Für Wirkner muss das alltagstaugliche Fahrrad noch weitere Kriterien erfüllen: Diebstahlschutz im Ganzen und in Teilen, hohe aktive und passive Sicherheit, leichte Handhabung und Mitnahme sowie kundenorientierte Vermarktung und kundenorientierter Service.

Das größte Manko an Helmut Wirkners Alltagsrad ist bislang der Preis: Ein Exemplar kostet rund 3000 Euro (ohne Motor, mit etwa 4000 Euro) Vom neuesten Modell gibt es lediglich zwei Stück. Bei größerer Stückzahl würde der Preis noch sinken.

Fahrrad der Zukunft

Fertig wird Helmut Wirkner damit wohl nie werden, denn „Das Bessere ist der Feind des Guten“. Aber er arbeitet weiter daran. Und das nicht alleine. Seit 2005 hat er einen Lehrauftrag an der Fachhochschule in Schweinfurt im Bereich Wirtschaftsingenieurwesen im Bereich Produktentwicklung. In diesem Rahmen haben Studenten beispielsweise ein „Sandwich-Bike“ entwickelt, ein Fahrrad, dessen Rahmen aus zwei Holzplatten besteht. Für Wirkner bietet der Lehrauftrag die Möglichkeit weiter an den Perspektiven des Fahrrads der Zukunft zu feilen.

Weitere Informationen gibt es unter: http://www.alltagsradler.de/meier_cruiser.html.

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