Quer durch den Bodensee: Klappt der Weltrekord?

7.7.2018, 05:58 Uhr
Quer durch den Bodensee: Klappt der Weltrekord?

© Foto: Oliver Halder/Bodenseequerung.de

In einer Disziplin hat die 41-jährige Arzthelferin, die in einer Praxis in Penzendorf arbeitet und dadurch natürlich einen sehr kurzen Weg zum Medizin-Check hat, diesen Rekord schon aufgestellt. Am 28. Juli 2014 war "Mim", wie sie Freunde rufen, nicht nur die erste Frau; sie war der erste Mensch, dem die Dreiländerquerung des größten deutschen Sees gelungen ist, rund 38 Kilometer zwischen Lindau (Deutschland), Rorschach (Schweiz) und Bregenz (die Barthelmesauracherin Sabine Crocci war drei Tage später die Nummer zwei). Die rund zwölf Kilometer messende Breitenquerung nahm sie später quasi im Vorbeigehen mit.

2015 sollte dann der ganz große Coup folgen: In den Fußstapfen des bekanntesten deutschen Extremschwimmers Christof Wandratsch, dem zwei Jahre zuvor die erste Längsquerung des Bodensees gelungen war, wollte Mirjam Schall schwimmend von Ludwigshafen nach Bregenz gelangen. Mindestens 64 Kilometer am Stück. Nach 55 Kilometern, neun Kilometer vor dem Ziel, musste sie schweren Herzens aufgeben. Ein heftiges Gewitter durchkreuzte Schalls Plan. "Weiterschwimmen wäre einfach zu gefährlich gewesen", sagt sie rückblickend.

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben

2017 sollte es dann klappen. Doch diesmal ging sie gar nicht erst ins Wasser. Dauerhaft schlechtes Wetter und meterhohe Wellen ließen einen erfolgreichen Versuch aussichtslos erscheinen. Doch aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben.

Mittwochnachmittag, Mirjam Schall sitzt in ihrem Garten in Obersteinbach bei Roth und trinkt eine Tasse Kaffee. Soeben hat sie noch einige Sponsorentermine abgehakt und einen letzten Termin bei ihrem Physio-Therapeuten absolviert. Körperlich fühlt sie sich so gut wie nie. "Ich bin stärker und schneller als vor drei oder vier Jahren", sagt sie. Und mental? Für 64 Schwimmkilometer braucht man ja nicht nur einen starken Körper, sondern auch einen starken Geist. "Naja, ich bin in den letzten Tagen ein bisschen gaga", gibt sie zu. "Sagen wir mal so, ein wenig dünnhäutig", ergänzt Lebensgefährte Philipp Frik.

Optimalen Zeitpunkt abpassen

Frik ist der Mann am Computer. Nicht nur, weil er in der IT-Branche arbeitet. Der Hobby-Triathlet checkt fast stündlich Wetterprognosen, Wassertemperaturen, gemessene Wellenhöhen und Strömungen in Deutschlands größtem See. Es gilt, ab diesem Samstag den optimalen Zeitpunkt für den Start abzupassen. Heute ist ein Start unwahrscheinlich, am Sonntag muss man sehen. Nachdem ein Gewittertief über den Südwesten gezogen ist und noch zieht, sollen sich die äußeren Bedingungen von Tag zu Tag bessern.

Mirjam Schall steckt unglaublich viel Zeit in ihren Sport. Bis zu 26 Stunden pro Woche sind in der harten Vorbereitung fürs Training draufgegangen. Mit Michael Reiwe und Matthias Fritsch hat sie gleich zwei Trainer engagiert. Der eine kümmert sich um die Schwimmpläne, der andere um den ganzheitlichen Ansatz. Denn trainiert wird nicht nur im Wasser, sondern auch beim Joggen, beim Radfahren, beim Dehnen. "Ich brauche jemanden, der mir in den Hintern tritt", betont Schall.

Zehn Stunden im Rothsee

Ist sie aber erst einmal im Wasser, ist sie alleine mit sich – und schonungslos hart zu sich selbst. Wenn der Trainingsplan eine Zehn-Stunden-Einheit im Rothsee vorsieht, dann schwimmt sie halt samstags von 5 bis 15 Uhr eine Runde nach der anderen im künstlichen Gewässer. Und wenn der Trainingsplan Technik- und Kraftübungen verlangt, dann wird man sie in den Freibädern der Region sehen, wo sie eine Bahn nach der anderen zieht – ehe sie selbst auf die Trainerseite wechselt, um zahlende Kunden schneller zu machen.

Schwimmen war nicht immer Mirjam Schalls große Leidenschaft. Aber wie das halt so ist, wenn man in Roth aufwächst, gerät man irgendwann an den Triathlon. 1989 absolvierte sie als Zwölfjährige ihren ersten Wettkampf. Ihre sportliche Karriere schien zu Ende zu sein, als die Ärzte bei ihr das Ehlers-Danlos-Syndrom diagnostizierten, eine angeborene Störung im Bindegewebe, die zu einer schmerzhaften Überdehnbarkeit der Haut und zu einer noch viel schmerzhafteren Überbeweglichkeit der Gelenke führt.

"Leg dich doch in die Kiste"

Ganz schwere Fälle landen im Rollstuhl oder sterben früh. Auch Mirjam Schall sagt, dass es Zeiten gegeben habe, in denen sie in Selbstmitleid versunken sei. Das ging ihrem Physiotherapeuten irgendwann so auf die Nerven, dass er ihr einen entscheidenden Satz entgegengeschleudert hat: "Dann leg’ dich doch in die Kiste."

"Das hat bei mir einen Schalter umgelegt", erinnert sich Schall. 2006 schwamm sie erstmals beim Challenge in Roth in einer Staffel die 3,8-km-Distanz, seit 2010 nennt sie sich selbst "Extremschwimmerin".

In der "Hall of Fame" des Bodenseeschwimmens wird sie immerhin auf Platz drei geführt – hinter Christof Wandratsch und den in Deutschland lebenden Türken Hamzar Bakircioglu. Das sind zwei der drei Männer, denen eine Längsquerung des Bodensees bislang gelungen ist. Wenn alles so läuft, wie es sich Mirjam Schall erträumt, dann wird sie bis Ende nächste Woche die erste Frau sein. Und die Krankheit? "Verschwunden, oder fast verschwunden", versichert sie. "Seit 2012 steht die Krankheit still, seit 2014 ist sie medizinisch nicht mehr nachweisbar", so Schall. Ob’s vom Schwimmen kommt?

Logistische Herausforderung

In der Vorbereitung steht nicht nur Training, Training und noch einmal Training auf dem Programm. Der Wettkampf, der ja kein klassischer Wettkampf Mann gegen Mann, Frau gegen Frau ist, ist auch eine logistische Herausforderung. Das Begleitboot muss gechartert, das fünfköpfige Begleitteam (Trainer, Freund, Trainingsgefährten, vielleicht ihre 18-jährige Tochter) zusammengestellt werden. Die Regularien sind genau ausgearbeitet. Das Boot darf nie vorausfahren (um keinen Schwimmschatten zu geben), die Schwimmerin darf auf ihrem 64 Kilometer langen Weg weder das Boot noch einen Helfer berühren. Schall trägt nur Badeanzug, Schwimmbrille und Bademütze. Und nachts ein Blinklicht auf dem Kopf.

Nahrungsmittel werden mittels einer langen Stange gereicht, Getränke in Plastikflaschen einfach der Schwimmerin in den Weg geworfen und dann wieder aufgesammelt. Alle 20 Minuten bekommt Mirjam Schall Nachschub, insgesamt 15 000 Kalorien – meist eine Mischung aus Isogetränk und konzentrierten Kohlehydraten – wird sie in ihren 30 bis 35 Stunden im Wasser zu sich nehmen. "Der Ofen muss schließlich am Brennen gehalten werden", sagt sie. Auch nachts.

Nur der Anfang

Sollte die 41-Jährige in den nächsten Tagen wohlbehalten in Bregenz aus dem See steigen, wäre das gewissermaßen erst die erste in einem an Herausforderungen reichen Jahr. Mit vier Schwimmerinnen und Schwimmern, darunter der Rother Triathlon-Legende Marcus Schattner, will sie in einer Fünfer-Staffel den Zürichsee der Länge nach durchqueren, und zwar 40 Kilometer hin und dann 40 Kilometer wieder zurück.

Und dann hat sie noch eine Rechnung mit dem Fehmarnbelt offen, der 20 Kilometer langen Wasserstraße zwischen Rodby (Dänemark) und Fehmarn (Deutschland). Aufgrund von Strömungen verlängert sich der Weg für Schwimmer meist auf 25 bis 30 Kilometer – was Mirjam Schall 2016 leidvoll erfahren musste. Sie wollte gleich die "Doppelbeltquerung" stemmen, schwimmend also einmal von Deutschland nach Dänemarkt und gleich wieder zurück. Wenige Kilometer vor dem Ziel – der "Tacho" zeigte inzwischen 55 km – musste sie aufgeben. Die Strömung ließ sie keinen Meter mehr vorankommen.

Eine Extremschwimmerin haut das aber nicht aus den Badelatschen. "Du bist im ersten Moment wahnsinnig enttäuscht", erklärt Mirjam Schall. Aber ein paar Tage später sagst du dir: "Der Belt kann hinterfotzig sein. Aber das nächste Mal werde ich ihn bezwingen."

Das nächste Mal ist – sofern im Bodensee und im Zürichsee alles gut geht: Ende August.

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