Wendelstein: Bastler und Sportler in Personalunion

22.5.2018, 15:00 Uhr
Wendelstein: Bastler und Sportler in Personalunion

© Fotos: Robert Gerner

Das Tor hängt schon ein wenig durch und das Netz ist von den vielen Einschlägen an einigen Stellen durchlöchert. Aber: Es muss ja nur für diese zwei Tage halten auf den Sportplätzen des FV Wendelstein. Wie fast alles beim Rasenradpolo ist auch dieses Tor Marke Eigenbau. Die Aktiven haben es aus grauen 75er-Kunststoffrohren zusammengesteckt, vier Meter breit und 2,75 Meter hoch, wie es die Regeln halt verlangen. "Im letzten Jahr hatten wir eine Holzkonstruktion, aber die war zu schwer", erinnert sich Jürgen Diebel, der Kapitän der heimischen Polonauten.

Rasenradpolo ist, was die Verbreitung angeht, in Deutschland ungefähr das genaue Gegenteil von dem, was Fußball ist. Gespielt wird es zwischen Berchtesgaden und Flensburg genau von einer Mannschaft, den Wendelsteiner Polonauten. Sie sind damit automatisch für den Europa-Cup qualifiziert, dessen erste Runde an den beiden Pfingstfeiertagen in Wendelstein ausgetragen wurde. Im Juni geht es in England weiter, im Herbst steigt der Abschluss in Frankreich. In mehr Ländern ist Rasenradpolo nicht bekannt.

Die Regeln sind für Außenstehende nicht immer leicht zu durchschauen. Die wichtigste von allen ist dem richtigen Polo mit Pferden entliehen: das Wegerecht. Wer den Ball am Schläger führt, der hat Vorfahrt.

Manchmal Marke Eigenbau

Manches ist genormt beim Rasenradpolo. Die Größe des Tores, der aufpumpbare Ball, etwa halb so groß wie ein Handball, den es in Deutschland aber nicht zu kaufen gibt und den die Wendelsteiner deshalb in Paris bestellen müssen. Die Zahl der Spieler pro Mannschaft (fünf plus drei Auswechselspieler) und die Größe des Spielfeldes (ein Fußballplatz).

Manches bleibt aber auch den Spielerinnen und Spielern (Männer und Frauen können zusammen in einem Team spielen) überlassen. Die Länge des Schlägers zum Beispiel oder das Fahrrad. Die Gastgeber setzen tendenziell auf Vehikel, mit denen man auch in der Halle auf Torejagd gehen kann. "Nur die Übersetzung ist auf dem Feld eine andere", erklärt Jürgen Diebel. Die beiden englischen Teams aus Oakenden sind dagegen auf Gefährten unterwegs, die eher aussehen wie Mountainbikes.

Eine, die gut mit Rad und Schläger umgehen kann, ist Svenja Heim. Bislang war sie nur in der Halle aktiv, beim Europacup gibt sie ihr Rasenradpolo-Debüt – und schießt mit zwei Treffern ihr Team gegen die "Amazons" von Oakenden II gleich zum einzigen Sieg des Pfingstwochenendes. "Die Svenja ist ein Naturtalent", lobt Torhüter Wolfgang von Stiphout.

Erfahrung gewinnen

Stiphout muss den Ball öfter aus dem Netz holen als ihm lieb ist: 2:6 zum Auftakt gegen "Pac 95" aus Paris, gar ein 0:10 gegen den späteren Turniersieger Varengeville I, 0:4 gegen Oakenden I und 1:6 gegen Le Havre: Die Polonauten beziehen am Pfingstsonntag ordentlich Prügel. "Wir haben gewonnen", verkündet Jürgen Diebel trotzdem trotzig. Und fügt hinzu: "An Erfahrung."

Wendelstein: Bastler und Sportler in Personalunion

Am Pfingstmontag läuft es ein bisschen besser. Gleich zum Auftakt gibt es gegen die Amazons von Oakenden II dank der Tore von Svenja Heim und Jürgen Haas den oben beschriebenen 3:1-Erfolg, ehe sich die Gastgeber zum Abschluss Varengeville II noch einmal 0:2 geschlagen geben müssen.

"Das ist gelebtes Europa"

Die Enttäuschung von Wolfgang von Stiphout hält sich aber in Grenzen. "Das hier ist gelebtes Europa", schwärmt er. Er meint damit nicht nur die Spiele auf dem B- und dem C-Platz des FV Wendelstein, sondern das ganze drumherum. Das gute Miteinander, die zünftige Feier am Sonntagabend vor dem Vereinsheim des Radlerclubs, die unkomplizierten Gäste, von denen die Engländer in Hotels übernachten, die Franzosen aber lieber unter den Scheiben der Wendelsteiner Bogenschützen zelten.

Auf dem Platz wird gefightet, doch am Spielfeldrand geht es entspannt zu. Nur einmal müssen die Polonauten hektisch eingreifen: Als jemand vom FV den automatischen Rasensprenger startet. Während es die Fußballer immer gerne ein bisschen feucht haben, ist Nässe für Rasenradpolospieler Gift. "Dann versinken unsere Reifen, und wir kommen nicht mehr richtig vorwärts", erklärt Jürgen Diebel.

Europacup im Rasenradpolo, erste Runde beim RC Wendelstein, Endstand: 1. Varengeville I 6:0 Siege, 2. Le Havre 5:1, 3. Oakenden I 4:2, 4. Varengeville II 3:3, 5. Pac 95 Paris 2:4, 6. RC Wendelstein Polonauten 1:5, 7. Oakenden II Amazons 0:6.

RC Wendelstein: Wolfgang von Stiphout, Werner Haas, Jürgen Haas, Linda Haas, Doris Diebel, Jürgen Diebel, Stefan Klück, Svenja Heim.

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