«Tatort Schule»: Wenn aus Raufen Gewalt wird

22.10.2008, 00:00 Uhr
«Tatort Schule»: Wenn aus Raufen Gewalt wird

© dpa

Gewalt an Schulen hat viele Gesichter. April 2006: An drei Hauptschulen in Fürth und im Umland tauschen Schüler schockierende Gewalt- und Pornovideos über ihre Handys aus. Die Rektoren rufen die Polizei um Hilfe. Beamte beschlagnahmen mehrere Mobiltelefone.

Februar 2007: An einer Nürnberger Hauptschule verprügeln Kinder und Jugendliche einen Polizisten. Aus nichtigem Anlass: Aus Hänseleien und Rempeleien unter den Schülern wird eine handfeste Schlägerei. Dann, als Polizisten schlichtend eingreifen wollen, eskaliert die Gewalt.

Mai 2007: Ein 15-Jähriger aus dem Kreis Ansbach erpresst eine 14-jährige Mitschülerin. Der Junge droht mit Gewalt, falls sie ihm keine 1500 Euro zahle. Als der Druck zu groß wird, offenbart sich das Opfer endlich seinen Eltern.

Nur einige Beispiele, die aufhorchen lassen und entfernt an weit schrecklichere Bilder erinnern: An Szenen von Amokläufen an Bildungsstätten in Emsdetten, Erfurt und anderswo. «Gewalt an Schulen ist ein ernsthaftes Problem, quer durch alle Schularten», betonte Thomas Bauer, Regierungspräsident von Mittelfranken zum Auftakt einer Tagung, zu der rund 100 Schulleiter, Mitarbeiter aus der Jugendhilfe und Polizisten in Nürnberg zusammengekommen waren. Bestimmendes Thema: «Gewalt unter Schülern.» Eine Problematik, die Erzieher, Polizei und Jugendgerichte nicht erst seit grausamen Schulmassakern beschäftigt.

In Bayern sind - nach einigen Jahren rückläufiger Gewaltdelikte - im vergangenen Jahr wieder 10 317 Straftaten auf Pausenhöfen und in Klassenzimmern verübt worden - im Vergleich zum Vorjahr ein Anstieg um 5,6 Prozent. In der Mehrzahl handelte es sich um Diebstähle. In 93 Fällen drehte es sich allerdings um Raub (+4,2 %). 433-mal wurden gefährliche und schwere Körperverletzung registriert (+11,3 %). Im Jugendbericht kommt das Landeskriminalamt zu einem bedrückenden Ergebnis: «Alle beobachtbaren Delikte steigen wieder und zwar teilweise sehr deutlich.»

Tatort Schule - aber was heißt das überhaupt, wenn man genau hinschaut? Sind Raufereien unter Jungs bereits rohe Gewalt? Und sind Mädchen, die über Mitschüler herziehen, sie bloßstellen oder andere Formen psychischer Gewalt finden, damit weniger aggres- siv?

Wolfgang Tischner, Sozialwissenschaftler und Professor an der Georg-Simon-Ohm-Hochschule in Nürnberg, zitierte bei der Tagung Statistiken und (Dunkelfeld-)Studien, die mit etwaigen Geschlechterklischees aufräumen. Demnach sind vier von zehn jungen Gewalttätern weiblich. Mädchen wür-den zudem typische Formen von Gewalt anwenden, wie andere «anstacheln», Mitschüler schlecht machen, Geheimnisse ausplaudern oder ihre Opfer hänseln.

Weibliche Pädagogik

Außerdem brach der Professor in seinem Vortrag eine Lanze für die Jungs, die als Bildungsverlierer überwiegend durch brachiale Gewalt auffallen. Jungentypisches Verhalten, wie harmloses Raufen, würde in den Schulen zu kurz kommen. Weil Frauen als Erzieherinnen und Lehrerinnen eher weibliche Werte wie Verständnis oder Akzeptanz förderten. Tischner sprach provokativ von einem «Harmonie-Terror» in den Klassen und forderte unter anderem mehr Männer als Lehrer, klare Strukturen für Buben und auch mal Konfrontation statt Kuschelpädagogik.

«Viele Buben fühlen sich als Außenseiter abgestempelt und flüchten sich in virtuelle Welten», sagte er. Ein Mediator bestätigte indirekt: «Wir begegnen immer mehr vereinsamten Jungen mit hohem Medienkonsum, die nicht mehr raufen, sondern gleich dem anderen das Nasenbein einschlagen oder in die Genitalien treten.»