Trotz steigendem BIP: Wohlstand in Franken nur relativ

21.5.2018, 05:46 Uhr
Oberbayern schafft es zwar beim Vergleich des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf Platz 1, danach folgt allerdings schon Mittelfranken - unter anderem wegen der Anziehungskraft Nürnbergs.

© Matejka Oberbayern schafft es zwar beim Vergleich des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf Platz 1, danach folgt allerdings schon Mittelfranken - unter anderem wegen der Anziehungskraft Nürnbergs.

Reinhard Weber weiß: Zahlen können trügerisch sein. Sie verführen schnell zu Thesen, die bei näherer Betrachtung nicht haltbar sind. Auch eine Übersicht über das Bruttoinlandsprodukt aller bayerischen Regierungsbezirke von 1991 bis 2015 lockt schnell auf die falsche
Fährte. In einem steigt die Zahl immens, beim anderen nur moderat – im Erstgenannten wird wohl besser gewirtschaftet? Und in Oberbayern mit dem höchsten Wert muss der Wohlstand doch am größten sein, oder?

Generell wird mit dem Bruttoinlandsprodukt – kurz BIP – die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes dargestellt. Im Jahr 2015 betrug Bayerns BIP 548 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das des Nachbarn Österreich lag bei 345 Milliarden Euro. Das BIP wird ermittelt, in dem alle Waren und Dienstleistungen, die in einem Jahr innerhalb einer Landesgrenze erwirtschaftet werden, addiert werden – egal ob es sich um einen Besuch beim Frisör, eine Schraube oder einen Apfel handelt. Alles erhält einen Wert. Ein Apfel ist beispielsweise einen Euro Wert; zehn Äpfel ergeben zehn Euro.

Das BIP und die Inflation

Für viele ist ein steigendes Bruttoinlandsprodukt Ausdruck vermehrten Wohlstands. Dementsprechend müsste es den Bayern immer besser gehen. So kletterte das BIP von 1991 bis 2015 in allen Regierungsbezirken – abgesehen von der Weltwirtschaftskrise 2008/09 und dem Platzen der Dotcom-Blase um das Jahr 2000 – weiter und weiter. Betrug das BIP in Oberbayern 1991 etwa 107 Milliarden Euro, waren es 2015 schon 241 Milliarden Euro – das ist eine Steigerung um 225 Prozent.

Auch in Mittelfranken erhöhte sich das BIP – von 35 Milliarden Euro (Stand: Jahr 1991) auf 69 Milliarden Euro im Jahr 2015. Die Zahlen hat das Landesamt für Statistik veröffentlicht. Das entspricht einer Zunahme von immerhin 195 Prozent.

Reinhard Weber, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, mahnt jedoch zur Vorsicht bei der Analyse der Zahlen – aus mehreren Gründen. Zum einen enthalten die Angaben zum Bruttoinlandsprodukt bereits die Inflation.

Beispiel beim Autokauf

Um die Auswirkungen zu verdeutlichen, zieht Weber ein Beispiel heran. Ein Auto kostet zu Beginn 20.000 Euro. Bei einer Inflationsrate von zwei Prozent steigt der Preis des Wagens auf 20.400 Euro. Aufgrund des größeren Warenwerts des Fahrzeugs erhöht sich automatisch auch das BIP – der Faktor Wohlstand bleibt gleich. "Bereits eine Inflation von zwei Prozent über 20 Jahre gerechnet, führt zu einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um deutlich mehr als 40 Prozent", sagt Weber.

Zahlen, bei denen die Inflation bereits herausgerechnet wurde, sind laut Weber viel aussagekräftiger. Doch es gibt ein Problem: Auf regionaler Ebene ist es zu kompliziert, sie zu erheben. Die Inflationsrate für jeden Regierungsbezirk zu ermitteln, wäre Sisyphos-Arbeit. Zwar ist es möglich, die Inflationsrate von Bayern auf die einzelnen Gebiete anzuwenden. Aber das Ergebnis wäre, so Weber, ungenau – denn etwa die Mieten entwickeln sich in Oberfranken anders als in Oberbayern. Die Inflation ist also regional sehr unterschiedlich.

Zum anderen ist neben der Betrachtung der zeitlichen BIP-Entwicklung auch der Vergleich der Regierungsbezirke untereinander mit Fallstricken versehen. Dass das BIP von Oberbayern höher ist als jenes von Mittelfranken, liegt auf der Hand, so Weber. In Oberbayern wohnen mehr Menschen. Um das BIP als Indikator für den Wohlstand zu verwenden, müsste zwingend der Pro-Kopf-Betrag berechnet werden. Für 2015 beträgt er in Oberbayern durchschnittlich 52 690 Euro, in Mittelfranken 40 005 Euro.

Fachkräfte ziehen weitere Fachkräfte an

Der höhere Wert in Oberbayern hängt mit der örtlichen Wirtschaft zusammen. So haben zahlreiche Firmen in diesem Regierungsbezirk –
viele davon in München – ihren Standort. Und hochproduktive Unternehmen ziehen wiederum weitere Unternehmen an. Denn so ist es leichter, dass sich die Spezialisten untereinander austauschen, sagt Weber. "Die Face-to-Face-Kontakte darf man nicht unterschätzen." Die Fachkräfte ziehen weitere Kräfte an: Ärzte, Verkäufer, Lebensmittelhändler. Das BIP steigt und steigt. In Mittelfranken, insbesondere der Region Erlangen-Nürnberg-Fürth, sitzen viele Unternehmen, die hochqualifizierte Arbeitskräfte beschäftigen. Daher rangiert der fränkische Bezirk beim BIP pro Kopf auf dem zweiten Platz hinter Oberbayern. Die Wirtschaftsregionen Erlangen-Nürnberg und der Großraum München mit Ingolstadt und Augsburg gelten bei Ökonomen als sogenannte regionale Pole.

Aber auch hier muss etwas bedacht werden. Zwar ist das BIP pro Kopf in Oberbayern am größten, aber dort kann das Leben auch teurer sein. Selbst in Oberbayern muss nochmals differenziert werden, sagt Weber. Es mache einen Unterschied, ob der Oberbayer im Zentrum Münchens wohnt und dort auch arbeitet, am Rande der Stadt oder in Beilngries. "Die ökonomischen Lebenssituationen sind völlig unterschiedlich. Ein allgemeines Urteil über einen Regierungsbezirk zu fällen, ist nicht möglich."

Zahlen, mit denen eine Aussage getroffen werden kann, wie sich der Wohlstand über die Jahre hinweg in den einzelnen Regierungsbezirken entwickelt hat, liegen nicht gesammelt vor, so Weber. Nur punktuell – etwa für einzelne Städte – gibt es Analysen über die Lebenshaltungskosten. So lassen sich aber nur urbane Räume untereinander vergleichen.

2 Kommentare