Urteil im Dachau-Prozess erwartet

28.11.2012, 22:20 Uhr
Urteil im Dachau-Prozess erwartet

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Er hat einen jungen Staatsanwalt erschossen und wollte nach eigener Aussage auch den Richter töten. Das Motiv: Hass auf die Justiz. Im Mordprozess um die tödlichen Schüsse im Amtsgericht Dachau scheint die Sachlage klar. Der Angeklagte hat die Tat vom 11. Januar, für die es zahlreiche Zeugen gibt, gestanden. Ein psychiatrisches Gutachten bescheinigte ihm Schuldfähigkeit. Staatsanwaltschaft und Verteidigung waren sich in ihren Plädoyers weitgehend einig - sie forderten lebenslange Haft. An diesem Donnerstag (29. November) soll das Urteil verkündet werden.

Der einzige Unterschied zwischen Anklage und Verteidigung: Die Staatsanwaltschaft geht von Mord und Mordversuch in drei Fällen aus, die Verteidigung nur in einem Fall. Und eine besondere Schwere der Schuld erkannte Pflichtverteidiger Wilfried Eysell im Gegensatz zu Staatsanwältin Nicole Selzam auch nicht. Selzam sah einen «Rachefeldzug gegen die Justiz» und sprach von «kaltblütigem Mord» und «absolutem Vernichtungswillen».

Besondere Schwere der Schuld oder nicht - für den Angeklagten dürfte das kaum einen Unterschied machen. Der 55-Jährige ist sterbenskrank, leidet an Diabetes und hat nach einer Blutvergiftung beide Beine verloren. Medikamente und eine angemessene Ernährung lehnt er ab. Ob er also überhaupt die 15 Jahre Haft, die bei einer lebenslangen Haftstrafe vorgesehen sind, überleben wird, ist mehr als fraglich.

Kopfschütteln und Wut

Doch das ist nicht die einzige Frage, die der Prozess aufgeworfen hat. Wahlverteidiger Maximilian Kaiser legte Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ein. Sein Mandant, der in einer Patientenverfügung betont hatte, er wolle sterben, aber keinen Selbstmord begehen, - und sich trotz seiner Erkrankung nur von Chips, Schokolade und Milch ernährt, sei nicht fair behandelt worden.

Man habe ihn zur lebensrettenden Amputation seines zweiten Beines gezwungen, um ihm den Prozess machen zu können. Von Rechtsstaatlichkeit habe er in dem Münchner Verfahren nicht viel gesehen. Der Angeklagte schien dem Prozess meist aufmerksam zu folgen - vor allem dann, wenn sein Wahlverteidiger sprach. Er stellte selbst Fragen und machte immer wieder von sich aus Angaben.

Im Gedächtnis bleiben wird der Fall wohl auch dank Kaisers Auftreten vor Gericht, das im Gerichtssaal für Kopfschütteln und teils unverhohlene Wut von der Richterbank sorgte. Als Richter Martin Rieder Kaisers Ernennung zum Pflichtverteidiger ablehnte, stürmte der Anwalt wutentbrannt aus dem Saal. Schließlich ist sein Mandant ein insolventer Transportunternehmer. Wenn der Staat nicht zahlt, wer dann?

Schweigend ausgeharrt

Immer wieder betonte Kaiser, vom Gericht ungerecht behandelt zu werden. Schließlich stellte er einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Rieder. Vertreter der Nebenklage warfen Kaiser «unwürdiges Schmierentheater» und fehlenden Respekt vor der Opferfamilie vor.

Die Ehefrau und die Eltern des getöteten Staatsanwaltes harrten den Prozess über schweigend aus und schauten dem Mann in die Augen, der ihren geliebten Ehemann und Sohn getötet hat. Erst zum Schluss, kurz vor den Plädoyers, wandten sie sich mit emotionalen Worten direkt an den Angeklagten. «Sie haben ihn mir genommen und warum? Sie kannten Tilman gar nicht», sagte die Witwe des Staatsanwaltes. «Er hat nur seine Arbeit gemacht.»

Reue zeigte der 55-Jährige im Prozess nicht. Nur ganz zum Schluss sagte er, dass es ihm leidtue - «als Mensch». Im Prozess habe er sein Opfer erstmals nicht nur als Vertreter der Justiz wahrgenommen, sagte sein Pflichtverteidiger Eysell.

Der Angeklagte hatte im Dachauer Gerichtssaal das Feuer eröffnet, als er gerade wegen nicht bezahlter Sozialversicherungsbeiträge zu einer Bewährungsstrafe und der Zahlung von rund 1000 Euro verurteilt worden war.

Die Eltern des getöteten Staatsanwaltes gingen auch hart mit der bayerischen Justiz ins Gericht. Ihr Sohn sei «ein beklagenswertes Opfer der bayerischen Justiz», sagte die Mutter. «Ein Metalldetektor hätte Tilman das Leben gerettet.» So aber sei «die schwarze Robe, die er so stolz war tragen zu dürfen, sein Todeskleid» geworden.

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