Verräterisches Medaillon

26.4.2013, 00:00 Uhr
Verräterisches Medaillon

© dpa

„Die Mutter muss endlich wissen, was mit ihrem Kind geschehen ist“, sagt Oberstaatsanwalt Ernst Schmalz entschlossen. Er ackert peu à peu die rund 8000 Seiten umfassenden Gerichtsakten des mysteriösen Falls durch, der die ganze Nation in Atem hält. Am 7. Mai 2001 verschwand die neunjährige Peggy auf dem Nachhauseweg von der Lichtenberger Schule spurlos. 2004 wurde der geistig behinderte Ulvi K. nach einem Geständnis wegen Mordes an der Kleinen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt.

Doch die Zweifel bleiben. Konnte der behinderte, übergewichtige 24-Jährige in ganz kurzer Zeit tatsächlich den perfekten Mord begehen? Denn Peggys Leiche fehlt, es gibt keine Blutspuren, kein Kleidungsstück von ihr, nicht das kleinste Haar.

Seit vor einem Jahr unsere Zeitung und andere Medien die Ungereimtheiten im Fall Peggy aufgegriffen haben, kam Bewegung in die Sache. „Dankenswerterweise haben wir so Hinweise erhalten, die brauchbar wa-ren“, sagt Oberstaatsanwalt Schmalz heute. Auch Hinweise auf den Lichtenberger, dessen Haus jetzt durchsucht und dessen Hof aufgegraben wurde.

Im Jahr 2001 sei dies ein „unbescholtener Normalbürger“ gewesen, unterstreicht Schmalz. Erst Jahre später habe er sich strafbar gemacht, erst in jüngster Zeit konnte man eine Verbindung zu Peggy herstellen. Doch bislang kann man dem Mann nichts nachweisen. Erst in einer Woche, wenn die neun Knochenteile unterschiedlicher Größe analysiert sind, die man in einer Sickergrube auf seinem Anwesen gefunden hat, herrscht Klarheit.

Adresse im Schulheft gefunden

Derweil rückt für die Staatsanwaltschaft ein anderer Mann ins Blickfeld, der aus Sachsen stammt, aber gute Kontakte zu Lichtenberg pflegte. Die Münchner Journalisten und Autoren Ina Jung und Christoph Lemmer haben ihm in ihrem sorgsam recherchierten Buch „Der Fall Peggy — Geschichte eines Skandals“ den Namen Thorsten E. gegeben. Seine Adresse fand die Sonderkommission im Mai 2001 auf einem kleinen Zettel in einem Schulheft von Peggy.

Als zwei Hauptkommissare aus Hof Thorsten E. damals in Sachsen aufsuchten, stach ihnen ein Detail ins Auge: E. trug einen Anhänger um den Hals, in den ein Foto von Peggy eingeschweißt war. Das trage er seit Peggys Verschwinden, gab E. zu Protokoll.

Die Buchautoren Jung/Lemmer haben Ermittlungsakten ausgewertet, Zeugen befragt, auch die schwierige Arbeit der Polizeibeamten dargestellt. Sie werfen die Frage auf, ob E. nicht in viel höherem Maße verdächtig sein müsse als der verurteilte Ulvi K. Sie schildern, dass E. sich öfter in der Wohnung in Lichtenberg direkt über der von Peggy und ihren Eltern aufgehalten hat. Und sie berichten über den Prozess im Februar 2013, in dem E. wegen Vergewaltigung der eigenen Tochter zu sechs Jahren Haft verurteilt wurde. Auch da spielte der Anhänger mit Peggys Bild eine Rolle.

Aktuell ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Bayreuth gegen Thorsten E. Denn er soll auch das Mädchen aus der Wohnung über der von Peggy vergewaltigt haben. Es gebe noch eine ganze Reihe offener Fragen, bestätigt Oberstaatsanwalt Schmalz. Auf die will er eine Antwort finden. „Bei einem Mord ohne Leiche, da schluckt jeder“, sagt Schmalz. Deshalb will er endlich die Leiche von Peggy finden. Ob er dann auch einen neuen Täter finden muss, wird sich zeigen. Vorerst gilt: Ulvi K. hat Peggy umgebracht.

Verwandte Themen


Keine Kommentare