Volksentscheide und Co.: Wenn das Volk mitredet

23.4.2017, 05:53 Uhr
Volksentscheide und Co.: Wenn das Volk mitredet

© Archivfoto: dpa

Doch, dessen war sich Horst Seehofer sicher gewesen, er, der so stolz ist auf seine Koalition mit dem Bürger und auf sein Bauchgefühl, seiner Antenne für Strömungen: "Es ist doch gar nicht einzusehen", hatte der frühere Gesundheitsminister und jetzige Ministerpräsident wissen lassen, "warum die Menschen zum Rauchen auf die Straße gehen sollen." Und so verabschiedete seine CSU 2009 nach ewigem Gezerre "den striktesten Nichtraucherschutz" in Deutschland. Doch Bierzelte, Nebenräume in Gaststätten und kleine Kneipen sollten weiter außen vor bleiben.

Der Rest ist Geschichte. Nur ein Jahr später zeigte das Volk den Mächtigen, wie Nichtraucherschutz richtig geht und votierte mit knapp zwei Dritteln für einen Volksentscheid der ÖDP. Die hatte das Volksbegehren "Für echten Nichtraucherschutz!" initiiert und auch deshalb gewonnen, weil SPD und Grüne aufgesprungen waren.

In der CSU sollte die Niederlage noch lange nachhallen. Denn auch wenn es gefühlt anders wirken mag – Volksentscheide haben in Bayern keine große Tradition. Seit 1946 kennt die Verfassung das Instrument der direkten Volksbeteiligung, muss der Landtag jede seiner 19 Verfassungsänderungen durch das Volk absegnen lassen. Doch in all den Jahren machte sich das Volk nur in 20 Fällen selbst auf den Weg, gingen nur achtmal ausreichend Wahlberechtigte an die Urnen, so dass es überhaupt zu einem Volksentscheid kommen konnte. Und nur fünfmal siegten die Initiatoren.

Ein Thema, eine einfache Frage

Es scheint, als sei die direkte Demokratie beim Volk nicht halb so beliebt, wie die aktuelle Diskussion um Populismus und Einzelinteressen vermuten ließe. Denn eigentlich müsste ein Volksentscheid die Menschen bewegen: ein Thema, eine einfache Frage, ein Ja oder Nein, und alles ist klar.

"Erfolgreich sind Volksbegehren in der Regel dann", sagt der Grünen-Abgeordnete Markus Ganserer, "wenn die Menschen aus dem Stegreif heraus eine Antwort parat haben." Das Begehren zum Rauchverbot sei so ein Fall gewesen, oder das zur Abschaffung des Senats Mitte der 1990er Jahre. Damals hatte das Volk die Ständekammer per Entscheid "Schlanker Staat ohne Senat" aufgelöst – obwohl der Senat bis dahin ein Schattendasein geführt und niemandem wehgetan hatte.

Dabei finden sie in allen Parteien grundsätzlich das Instrument der Volksbeteiligung richtig und seine Wucht durchaus angemessen. Als sich etwa abzeichnete, dass das Volk 2013 auf Drängen der Opposition für ein Ende der Studiengebühren stimmen würde, schwenkte die CSU unter Horst Seehofers Führung auf Volkes Linie ein und schaffte den Obolus ab, bevor das Volk sie dazu zwingen konnte. Das bessere Müllkonzept wiederum scheiterte am Widerstand eben dieses Volkes, das nicht so scharf den Müll trennen wollte wie die Initiatoren sich das vorgestellt – und der Landtag es mit seiner Mehrheit abgelehnt hatte.

Interesse zwingend

Andere Themen schaffen es nicht einmal bis in die Nähe der Zehn-Prozent-Hürde. Die sei "schon happig", sagt der Nürnberger Grüne Ganserer, und dann ein Hindernis, wenn es um komplexere Themen gehe mit viel Erklärungsbedarf und komplizierten Argumenten.

"Die Menschen müssen teilnehmen wollen", sagt die mittelfränkische SPD-Abgeordnete Alexandra Hiersemann, "und sich die Basis für ihre Entscheidung beschaffen." Sich informieren also, ergebnisoffen pro und kontra abwägen, sich durch komplexe Themen kämpfen und am Ende entscheiden. Das gelingt auf der lokalen Ebene bedeutend häufiger als auf der Landesebene. Den 20 Volksbegehren in 71 Jahren stehen weit mehr als 2000 kommunale Begehren in nur 22 Jahren gegenüber.

Die Nähe der Menschen zu den Themen ist eine andere, die Distanz gering, der Anreiz zur Stimmabgabe groß. Anders als auf Landesebene erreicht in den Kommunen deutlich mehr als jedes zweite Begehren auch den Status eines Entscheids – und der geht ziemlich genau in der Hälfte aller Fälle im Sinne der Initiatoren aus.

Der Bürgerentscheid übrigens ist ein Instrument, das das Volk per Volksentscheid durchgesetzt hat und den die CSU anfangs vehement bekämpft hatte – nur um dann in München selbst den ersten Bürgerentscheid auf den Weg zu bringen. Inzwischen sind die drei Tunnels am Mittleren Ring gebaut, für die die Bürger gestimmt hatten. So wie droben im Norden die Allianz-Arena thront, die Münchens Stadtväter ursprünglich ebenfalls nicht haben wollten.

Welche Macht die Bürger hier entfalten können, zeigte sich zuletzt im November 2013, als die Menschen in München, Garmisch-Partenkirchen und in den Landkreisen Traunstein und Berchtesgadener Land gegen eine Bewerbung um die olympischen Winterspiele 2022 votierten. Die Befürworter hatten sie nicht überzeugt, trotz millionenschwerer Informationskampagnen. Deutschland war damit raus aus dem Rennen – weil es den Betroffenen vor Ort nicht gefallen hatte.

Gegen Volksbefragungen

In den sogenannten postfaktischen Zeiten zeigen die ausgewogenen Ergebnisse der Entscheide, dass die Menschen differenzieren können. Und dass sie mitreden, vor allem aber mitbestimmen wollen. Das sehen auch die Politiker der Oppositionsparteien so. Auch deshalb halten sie wenig von der Volksbefragung, die Ministerpräsident Horst Seehofer politisch durchgesetzt hat.

"Ich kann deren praktischen Nährwert nicht erkennen", sagt etwa Alexandra Hiersemann, "weil sie keine politische Bindungswirkung besitzt." Sinnlos sei das. Was Seehofer natürlich bestreitet, der regelmäßig erklärt, er wüsste jede Menge geeigneter Themen für eine Volksbefragung. Nur gefragt hat er das Volk bis heute zu keinem einzigen.

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