Warum manche Kommunalpolitiker auf Urlaub verzichten

22.6.2016, 06:00 Uhr
Aus Zeitmangel auf Urlaub verzichten? Thomas Jung, German Hacker und Herbert Eckstein tun genau das.

© Etzold/Winckler/Montage: nordbayern.de Aus Zeitmangel auf Urlaub verzichten? Thomas Jung, German Hacker und Herbert Eckstein tun genau das.

Es ist eine simple Frage. Eigentlich. Wie viel Urlaub haben Sie, Herr Eckstein? Puh, sagt der. "Weiß ich gar nicht so genau." Es sind – wie für alle kommunalen Wahlbeamten – 30 Tage. Herbert Eckstein, Landrat im Kreis Roth, nimmt sie aber nicht. Nur zehn bis 15 Tage geht er im Jahr in den Urlaub, immer eine Woche Heilfasten mit der Schrothkur, gerne auch radeln um Pfingsten und natürlich ein paar Tage um Weihnachten. "Mehr brauche ich nicht", sagt Eckstein.

Das habe aber nichts damit zu tun, dass er nicht loslassen könne oder seinen Stellvertretern nicht vertraue, ganz im Gegenteil. Aber er bleibe eben doch zu gerne in der Heimat, "und dann kann ich auch gleich arbeiten". Zumal er einen "Horror" davor habe, nach ein paar eigentlich entspannten Tagen in der Ferne zurück ins Büro zu kommen und einem "Berg von Arbeit" gegenüberzustehen, der sich in der Zeit angesammelt hat. Also lieber etwas Urlaub verfallen lassen. Dafür Geld zu verlangen, "auf die Idee käme ich nicht".

Grenzen der Opferbereitschaft

Auch der Herzogenauracher Bürgermeister German Hacker nimmt seinen Jahresurlaub nicht ganz. "Vier bis fünf Tage" blieben im Schnitt übrig, was der Vater von drei Kindern aber auch nicht dramatisch findet. Als Kommunalpolitiker sei er nun einmal "mit Herzblut" dabei. Insgesamt müsse "die Aufopferungsbereitschaft" aber auch Grenzen haben, schließlich habe er auch zwei Stellvertreter. Deutlich lohnender wäre aus seiner Sicht aber ohnehin der Blick auf die Überstundenbelastung. "Dagegen ist das mit dem Urlaub Pillepalle."

Ähnlich äußert sich auch der Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung. 18 bis 20 Tage werde er in diesem Jahr Urlaub machen, der Rest verfällt. Doch ein paar freie Tage brauche auch ein Politiker, zumal viele Wochenenden mit Terminen gefüllt sind. Sich die nicht genommenen Tage dann aber ausbezahlen lassen zu wollen? Keine Option, sagt Jung. Für ihn käme das nicht infrage.

Im bayerischen Innenministerium stellt ein Sprecher auch gleich klar, dass es einen Rechtsanspruch auf eine solche Auszahlung nicht gibt. Und streng genommen ist der Erholungsurlaub für Bürgermeister oder Landräte auch nicht nur ein Recht, "sondern im Prinzip eine Dienstpflicht". Sprich: Er muss genommen werden, außer langwierige Erkrankungen oder andere triftige Gründe sprechen dagegen. Das Ganze hat in der Praxis nur den Haken, dass da niemand ist, der einen Rathauschef, wenn es mal dringend nötig wäre, auch wirklich in den Urlaub schicken könnte. Weil er nun mal sein eigener Chef ist und damit auch unvernünftige Dinge tun darf.

Gerbl warf vor zwei Jahren das Handtuch

"Es ist wichtig, dass Bürgermeister das Neinsagen lernen und sich ihre Zeitinseln reservieren", sagt Karl-Heinz Gerbl. Wie einfach so ein Satz klingt und wie schwer er oft umzusetzen ist, weiß der 55-Jährige aus eigenem Erleben. Gerbl war zwölf Jahre Bürgermeister einer kleinen Gemeinde und sechs Jahre Rathauschef im oberbayerischen Städtchen Schongau. Dann warf er vor zwei Jahren aus gesundheitlichen Gründen das Handtuch. Ausgebrannt von der verspürten Pflicht zur Dauerpräsenz streikte die Gesundheit Gerbls. Er reagierte und trat nicht zur Wiederwahl an.

Heute versucht der ehemalige Bürgermeister, andere Kommunalpolitiker vor solchen Fehlern zu bewahren. Als Bürgermeister-Trainer hält er Seminare bei der Bayerischen Akademie für Verwaltungsmanagement. Jemand, der selbst am berufstypischen Dauerstress gescheitert ist, dem hören die Kollegen zu. Weil er die Tücken des Amts kennt. "Da gibt es zwar viele, die auch zum Bürgermeister mal sagen, du schaust schlecht aus, mach mal Urlaub. Aber wehe, wenn es am nächsten Wochenende dann um eine Veranstaltung ihres Vereins geht . . ."

Gerbl rät allen, möglichst offen mit diesem nicht auflösbaren Dilemma umzugehen. "Ein Bürgermeister muss den Leuten klarmachen, dass er auch nur ein Mensch ist und nicht das ganze Jahr über jeden Termin wahrnehmen kann." Gleichzeitig müsse er aber auch für gute Organisationsstrukturen im Büro sorgen. Arbeit delegieren und den Stellvertreter einsetzen. Aber Gerbl weiß, wie schwer gerade das oft ist. Weil der Stellvertreter nicht selten ein politischer Konkurrent oder gar der Gegenkandidat von der letzten Wahl ist. "Und weil mancher Bürgermeister beweisen will, dass er sich wirklich so für die Gemeinde einsetzt, wie er das im Wahlkampf versprochen hat."

Musterfall in Coburg

Am Ende, das lehrt nicht nur der Fall Scheuenstuhl, führt der Urlaubsverzicht dann aber doch oft zu Streit. Als der langjährige Coburger Oberbürgermeister Norbert Kastner Anfang 2014 kurz vor dem Ruhestand feststellte, dass er noch Anspruch auf 70 Resturlaubstage hatte, beschloss der Stadtrat mit nur zwei Gegenstimmen, ihm den finanziellen Gegenwert auszuzahlen, weil er bis zum Ende der Amtszeit unabkömmlich sei. Das Innenministerium verwies darauf, dass dies nicht zulässig sei. Die Coburger waren beleidigt und der Urlaub verfiel.

7 Kommentare