Der Streit um die Zeit

2.9.2015, 12:00 Uhr
Der Streit um die Zeit

© Stadtarchiv

Gerichte, Bürger, das Handelsgremium beschwerten sich über die Uh­ren. Bis zu einer halben Stunde hinkte man Nachbarstädten hinterher und auch innerhalb der Stadt muss es mitunter ein recht buntes Glockenspiel der Zeit gewesen sein. Man könne fast den Eindruck gewinnen, „dass eigentlich ständig irgendwo in der Stadt eine Turmuhr schlug“, stellt Weißenburgs Stadtarchivar Reiner Kammerl in dem aktuellen Heft fest.

Zusätzliche Verwirrung stiftete die sogenannte „Bahnzeit“, die 1869 beim Anschluss Weißenburgs an das Bahnnetz eingeführt wurde und die 1891 in Orientierung an der Greenwich-Zeit um 13 Minuten nach vorne verschoben wurde. Eine Uhr am Bahnhof zeigte die Zeit – zumindest eine Weile, bis sie 1907 entfernt wird und die Bahnreisenden sich allein auf die Turmuhren verlassen müssen, wenn sie rechtzeitig am Bahnhof stehen wollen. Ein Modell, das nicht immer funktioniert,
wie das Handelsgremium in einer Beschwerde an den Weißenburger Rat feststellte. Immer wieder würden Reisende wegen der falsch gehenden Weißenburger Uhren ihren Zug verpassen.

Arbeiter nutzen die Verwirrung

Auch für die Unternehmen der Stadt haben die zeitlichen Missstände ernste Folgen. Denn ihre Arbeiter suchen sich den letzten Stundenschlag der Weißenburger Turmuhren aus, um zur Arbeit zu erscheinen, nehmen al­lerdings den ersten, um sie wieder zu verlassen. Im ungünstigsten Fall bedeutete das eine halbstündige Verkürzung der Arbeitszeit.

Der Rat sieht inzwischen ein, dass man etwas unternehmen muss, und beschließt, zumindest die Rathausuhr auf einen genaueres elektrisches Uhrwerk umzustellen. Allerdings kommt der Erste Weltkrieg dazwischen, und bald gibt es andere Probleme, die die Menschen in der Stadt beschäftigen. 1922 ist es schließlich die evangelische Kirchengemeinde, die auf dem Turm von St. Andreas das erste elektrische Uhrwerk der Stadt in Gang setzt. Andere folgen, und bald ist der Streit um die Zeit Vergangenheit und man widmet sich anderen Debatten.

Neben diesem ebenso spannenden wie unterhaltsamen Einblick in eine gar nicht so ferne Vergangenheit hat Stadtarchivar Reiner Kammerl in der aktuellen villa nostra auch akribisch die Geschichte der Turmuhren nachgezeichnet, die bereits im Mittelalter beginnt – ein mitunter mühsames Un­terfangen. In den Rechnungsbüchern der Stadt hat Kammerl den Hinweis auf einen „Uhrrichter“ gefunden, der im Jahr 1455 Geld vom Rat für die Wartung einer städtischen Turmuhr kassierte.

Wo die stand, ist unklar. Der Stadtarchivar sieht nur zwei Möglichkeiten: den Turm der ehemaligen Martinskirche, wo heute die Schranne steht, oder das Rathaus der Stadt. Wobei verblüffenderweise bis heute unklar ist, ob es vor dem Neubau des „Gotischen Rathauses“ überhaupt eines gab und wo das stand. Trotz aller Unwägbarkeiten nimmt Reiner Kammerl an, dass die selbstbewusste Reichsstadt Weißenburg wohl schon im Lauf des 14. Jahrhunderts eine erste, sehr kostspielige mechanische Turmuhr anschaffen ließ. Und der Statdarchivar glaubt auch, dass sie wohl an dem bis heute unbekannten „Alten Rathaus“ hing.

Die aktuelle Ausgabe der „villa nostra“ liegt in der Stadtverwaltung sowie an zahlreichen Stellen des öffentlichen Lebens aus. Sie ist zudem auch unter www.weissenburg.de/villa-nostra/ im Internet als Datei zum Download erhältlich.

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