Die Buhlschaft von Weißenburg

24.6.2017, 09:45 Uhr
Die Buhlschaft von Weißenburg

© Robert Renner

Wöchentlich berichtet er in der Kolumne „Stadt-Streifer“ im Weißenburger Tagblatt von seinen Ein­drücken. Er begegnet Menschen, Orten, Kultur und nicht zuletzt der fränkischen Seele. Ein Blick auf die Region durch die Augen eines Fremden. Unterhaltsam, skurril und manchmal auch ein bisschen böse. Diesmal beschäftigt er sich mit der  Andreaskirche, der Erbsünde, dem Vegetarismus und einem Knick in der Optik.

Weil mich gerade die Frage umtreibt, wie es Vegetarier mit der heiligen Kommunion halten, von welcher zumindest der Katholizismus meint: „Dies ist mein Fleisch, nehmet und esset alle davon . . .“ führt mich ein erster Weg zur Andreaskirche.

Schon das Relief über dem Haupttor ist bemerkenswert, sieht man doch eine aufgebahrte Maria, rundherum zwölf Männer (Apostel?) in deren Mitte Jesus aufzeigt. Aber wen hält der Erlöser da im Arm? Eine Puppe? Ein Kind? Nein, es ist, schnallen Sie sich an, die Seele von Maria! Was für eine Verkehrung der Madonnenbilder. Im Mittelalter wurden Seelen als kleine Menschen dargestellt.

Im Inneren der Kirche beeindruckt das an Vogelknochen erinnernde Rippengewölbe, ebenso der Hauptaltar mit dem heiligen Andreas. Sofort fallen mir die nackten Füße auf, die bei jedem der flankierenden Apostel aus dem Rocksaum lugen. Eine frühneuzeitliche Werbung für Pediküre? Deswegen der milchreisgraue Einrichtungshaus-Teppich unter dem Altar?
Nach einer Weile dringt noch etwas ins Bewusstsein, irgendetwas stimmt hier nicht: Die Kirche hat einen Knick. Nicht nur, wie mir mein T-Touch-Uhrenkompass verrät, dass sie nicht exakt nach Osten ausgerichtet ist, nein, das Kirchenschiff ist zusätzlich noch leicht geknickt. Warum? Hatten die Bau­meister zu viel Freude am Weißenburger Bier? Oder wollte man zeigen, dass alle einen Sprung in der Linse haben, der Weg zur Erlösung nicht immer der gerade ist?

Weiter zum Sebaldusaltar, wo die hervorspringende rote Nase des heiligen Antonius ins Auge sticht, von dem zwar die Versuchungen während der Einsiedelei bekannt sind, nicht aber, dass diese durch einen exorbitanten Riechkolben noch verschärft worden wären.

Am bekannten Konfessionsbild interessiert mich die Darstellung des Abendmahles, das, für einen Katholiken unerhört, eine zusätzliche Person zeigt. Neben den zwölf bärtigen Aposteln, die mit ihren Lehrer- und Facharbeitergesichtern so am Tisch sitzen, wie man das von hunderten Abendmahldarstellungen kennt, hält Jesus wen im Arm: blond, lockig und mit rotem Mund. Wer ist das feminine Wesen? Für eine Seele eindeutig zu groß. Jesu Lieblingsjünger Johannes? Oder doch, ich kann mir den Gedanken nicht verkneifen, eine Frau? Beim Abendmahl? Zwar hat die Refor­mation die augustinische Erbsünde nicht verworfen, aber zumindest die Sexualität entsündigt. Vielleicht wollte man . . . ? Wer also ist dieses androgyne Persönchen, das auch auf einem ähnlichen Bild im alten Rathaus dargestellt ist? Maria Magdalena? Die Buhlschaft von Weißenburg?

Ganz verwirrt verlasse ich die Kirche und lande bei Martin Luther. Ob der eine Antwort weiß? Nein. Die Skulptur am Vorplatz der Kirche erinnert an Orson Wells, außerdem entdecke ich ein Spinnennetz, das zwischen der Nasenspitze und den Krägen des Großreformators hängt. In seinem Buch steht, man kann das Ritzen des Bildhauers richtig fühlen: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an seiner Seele?“, womit wir wieder bei der kleinen Figur über dem Kirchenportal wären, deren Rettung alle Anstrengung verdient, denn, wie wir innen gesehen haben, die Welt hat einen ordentlichen Knick – nicht nur in Weißenburg. Und, ach ja, der Verzehr der heiligen Kommunion ist Vegetariern erlaubt.

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