"Lobbykratie"-Lesung in übervoller Buchhandlung

1.7.2016, 12:00 Uhr

© Markus Steiner

Ein Resümee, das einige schocken mag, die sich mit der Materie bislang nur am Rande befasst haben. Für Ritzer, der gemeinsam mit dem SZ-Kollegen Markus Balser rund zwei Jahre lang für das Sachbuch recherchierte, ist es kein Wunder. Denn allein in Berlin kommen auf jeden Abgeordneten im Schnitt acht Lobbyisten.

Was es in der Bundeshauptstadt im Unterschied zu Brüssel dagegen nicht gibt: ein Lobbyregister, streute der akkurat vorbereitete Moderator Karl-Friedrich Ossberger als Information für die Zuhörer ein. Der Weißenburger Unternehmer und Ehrenvorsitzende des IHK-Gremiums hatte sich gerne als Diskussionsleiter bereit erklärt, weil er von dem Quellenreichtum des Buches begeistert war. „Wie haben Sie diese unwahrscheinlich vielen Quellen recherchiert?“, wollte er deshalb auch von Ritzer wissen, der erklärte, wie er gemeinsam mit Balser eigentlich auf die Idee zum Buch kam.

Am Anfang stand eine Geschichte in der Süddeutschen Zeitung, die das Energie-Monopoly um Uran und Gas zum Thema hatte. Eine der zentralen Figuren darin ist der Moskauer Lobbyist Andrej Bykow, der mit dem damaligen EnBW-Vorstandschef Verträge in Millionenhöhe abschließt. Bei den Deals erhielt EnBW relativ billiges Nuklearmaterial aus Beständen der Roten Armee, das Bykow vermittelt hatte.

„Schattenwelt“

Eines von vielen Beispielen, das zeigt, wie die Wirtschaft sich Einfluss, Mehrheiten und Gesetze kauft, wie es im Untertitel des Buches „Lobbykratie“ heißt, aus dem Ritzer auch einige Passagen selbst vorlas. Vom „Lobby­söldner Bykow“ über den Einfluss der Tabakindustrie auf die Politik bis hin zu den Lobbyisten der Energiewende reichte die Tour durch die „Schattenwelt jenseits der politischen Kontrolle“.

© Markus Steiner

Wie sich im Lauf der Diskussion zeigte, stößt der bewusst provokant gewählte Titel „Lobbykratie“ bei manchen Unternehmern auf Kritik. Inhaber- und Familienunternehmer seien nicht einfach mit Konzernen vergleichbar. Die Generalschelte der liberalen und marktwirtschaftlichen Interessenvertretungen sei aber zum Glück ausgeblieben, bilanzierte einer der Zuhörer positiv. Denn in Ritzers Buch geht es in erster Linie um die gezielt heimliche Einflussnahme von Konzernen auf die Politik.

„Gibt es also einen guten und einen schlechten Lobbyismus?“, stellte Ossberger quasi die Gretchenfrage des Abends. Ritzers Antwort: „Es gibt auch eine absolut angebrachte Form des Lobbyismus, der auch demokratisch gewollt ist. Politiker können ja nicht im luftleeren Raum leben.“ Die Frage sei nur, ob die Verbindungen auch offengelegt würden. Als Beispiel nannte der Autor Matthias Wissmann, den Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), der von 1993 bis 1998 Bundesverkehrsminister war. Hier sei klar, wen Wissmann vertrete, bei anderen Lobbyisten sei das durchaus nebulös.

Ritzer hat bei seinen Recherchen jedenfalls den Eindruck erhalten, dass „Politik ein Stück weit im Würgegriff der Lobbyisten“ sei, aus dem sie sich nur schwer befreien könnten. So habe beispielsweise die Braunkohle-Lobby am Koalitionsvertrag mitgeschrieben und erwirkt, dass im Energiemix nicht nur Wind und Sonne, sondern auch Braunkohle enthalten ist. Ossberger plädierte für eine Beschränkung der Einflussnahme. Aus seiner Sicht würden auch die IHK, der BDI und andere vom Lobbyismus „überrollt“. Das ge­he so weit, dass IHK-Vertretern bereits untersagt worden sei, sich zu politischen Themen zu äußern.

Genau hinschauen

Als „absolut verseuchtes Gebiet“ bezeichnete Ritzer die Liaison zwischen Bauernverband und Industrie, und selbst vor der vermeintlich freien Wissenschaft und Forschung an den Hochschulen machen die Lobbyisten keinen halt. Aus diesem Grund plädierte der Journalist auch an alle seine Berufskollegen, „noch genauer hinzuschauen“. Ossberger zog das Fazit: „Lobbyismus hat da eine Berechtigung, wo er offen und fair verläuft. Da, wo er aber versteckt daherkommt, da fängt die Lobbykratie an.“

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