Pizza im Konjunktiv

19.9.2017, 14:10 Uhr
Pizza im Konjunktiv

Es gibt zwei Typen von Schriftstellern: die Nacht- und die Morgenschreiber. Als ich vor rund 30 Jahren mit der Literatur begonnen habe, entstand kein Text vor Mit­ternacht. Falco sang „ganz Wien ist auf Kokain“, mir reichte aber bereits das mit Milch und Zucker versetzte, in Riesentassen konsumierte Filterkaffee-Koffein, um bis vier Uhr morgens zu dichten.

Seit der Geburt meiner Söhne hat sich das komplett verschoben. Mittlerweile gehöre ich zu den präsenilen Bettflüchtern und beginne das Tagwerk im düsteren Morgengrauen. Daher kann ich hier eher über meine vergeblichen Versuche, vor sechs Uhr morgens ein Frühstück aufzutreiben, berichten denn über das Weißenburger Nachtleben, so es das überhaupt gibt.

In eine Disco würde ich freiwillig (und ohne Gehörschutz) nicht mehr gehen, und die rotlichtigen Eta­blissements interessieren mich eigentlich auch nur als Biotope der Melancholie. Selbst wenn die Rückkehr des Soho nach Weißenburg vollbrüstig angekündigt wird, hält sich mein Verlangen, halbnackten Mädchen dabei zuzusehen, wie sie ihre Ostöffnungskörper um eine Stange winden, in überschaubaren Grenzen.

Pizza im Konjunktiv

© Thommy Weiss

Allzu üppig kann das Nightlife nicht sein. Die paar Mal, die ich spätnachts durch Weißenburg geschlendert bin, waren die Straßen wie leer gefegt. Die wuchtigen Laternen, sie könnten von einem Schiffsheck stammen, geben ein gutes, gelbes Licht. Ansonsten wirkt die Stadt ausgestorben. Einzig die kleinen Autos der Pizza­dienste ziehen einsam ihre Bahnen: Ashanti Pizza, Capo’s Pizza, Fores­ta, Pizza Express . . .

Sieben Pizzalieferdienste nur für Weißenburg. Das wirft Fragen auf. Ist es mit den fränkischen Kochkünsten so schlecht bestellt, dass man sich nur noch von belegten Weißmehlfladen ernährt? Erfüllt die Pizza eine heimliche Sehnsucht nach Großstadtflair, oder danach, die Welt eben doch als Scheibe zu sehen? Vielleicht verkörpert die runde Pizza aber auch den rudimentären Stolz der freien Reichsstädter, kann man in der Pizza­kruste doch die Teig gewordene Stadtmauer sehen.

Auch in den Bäckereien ist eines der beliebtesten Teilchen das runde Fleckle, eine Art Minipizza für Mehlspeisentiger. In Österreich kennen wir solche Mohn-, Quark-, Marmeladefladen streusellos unter dem Namen Egerländer.

Der Franke sagt ja bei der Bestellung nicht „ich nehme“, sondern
„i hätt“. Während der Bayer seine Bestellung selbstbewusst mit „mir bringst“ oder „mir gibst“ einleitet, hält man es in Österreich konjunktivisch unterwürfig: „i nahmad“ (ich würde nehmen). Das fränkische „i hätt“ liegt irgendwo dazwischen – bestimmt und gleichzeitig konjunktivisch.

Ob es aber ein Nachtleben hätt und wer dort was zu bestellen hat, habe ich bislang nicht herausgefunden. Und die Chancen, dass sich daran etwas ändert, stehen eher schlecht, weil, wie gesagt, Morgenmensch und so – oder wie Falco einst über die 80er-Jahre gesagt hat: Wer sich erinnern kann, war nicht dabei.

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