Viel Geld für nur wenig Privatsphäre

21.10.2017, 07:00 Uhr
Viel Geld für nur wenig Privatsphäre

© Bastian Mühling

Mohammed greift unter sein Bett und zieht ein Taschenmesser vor. Es ist das Messer, mit dem er sich fast um­gebracht hätte. „Ich habe viele Sorgen im Irak, weißt du?“, sagt der 21-Jährige, der keine Familie mehr hat. Nicht im Irak und auch nicht in Deutschland, seiner neuen Heimat. Es ist eine Heimat, in der sich seine Träume erfüllen sollen. Doch in Wirklichkeit werden die Sorgen nur größer.

Die Rechnungen stapeln sich. Seine Betreuerin Eva liest sie dem Asylbewerber vor: 311 Euro Gebühr dafür, dass er in der Unterkunft am Lehenwiesenweg ein Zimmer hat, das er mit drei Flüchtlingen teilt. Platz für jeden: zwölf Quadratmeter. 959 Euro Gebühr dafür, dass er schon länger in staatlichen Unterkünften wohnt, obwohl er arbeitet. Mohammeds Kommentar zu diesen Summen: „Wo ich nehm’ Geld her?“

Denn mit dem Einkommen ist es vorbei. Mohammed arbeitet nicht mehr, bekommt keine 1000 Euro mehr im Monat, sitzt fast den ganzen Tag in der Unterkunft. Sein permanent zitternder Fuß will so gar nicht zu seinem lässigen Outfit passen. Er kommt über den Verlust seiner Familie nicht hinweg. Dass seine Mutter tot ist, erfährt der gebürtige Iraker in Deutschland. Drei Monate danach. Er betrinkt sich, greift zum Taschenmesser und schneidet sich in den dünnen Unterarm. Die Wunde ist noch nicht verheilt, die Rechnung über 959 Euro noch nicht gezahlt. „Es kamen schon zwei oder drei Mahnungen“, erzählt Eva Sieland-Hirschmann. Sie betreut die 20 Flüchtlinge in der dezentralen Unterkunft am Lehenwiesenweg.

Millionen für den Haushalt

Die Unterkunft hat Ates Kilinc, Bauunternehmer aus Weißenburg, an den Freistaat vermietet. Er bekommt dafür eine ortsübliche Miete. Die Gebühr von 311 Euro treibt die Regierung in Unterfranken ein. Sie übernimmt das für alle Bezirke in Bayern. „Es handelt sich dabei um Pauschalen – unabhängig davon, wo und wie der Asylbewerber untergebracht ist“, erklärt eine Sprecherin. Monatlich werden durchschnittlich 17000 Bescheide verschickt, die „mehrere Millionen“ in den Staatshaushalt pumpen.

Durch die Änderung der DVAsyl im vergangenen Jahr wurde die Gebühr von 192 auf 311 Euro erhöht. Begründung: „Die bestehenden Gebührensätze waren nicht mehr zeitgemäß.“ Außerdem forderte der Oberste Rechnungshof eine Erhöhung. Dass der Staat an Flüchtlingen verdient, darf bezweifelt werden. Allein im Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen wurden im Jahr 2016 laut Sebastian Münch vom Landratsamt gut 3,1 Millionen Euro für die Unterbringung in dezentralen Unterkünften ausgegeben. Außerdem schätzt das Institut der deutschen Wirtschaft Köln, dass dem Staat die Flüchtlinge rund 55 Milliarden Euro kosten.

Die Gebühr wird fällig, wenn ein Flüchtling, ob anerkannt oder nicht, eine Arbeit findet und selbst Geld verdient. „Es entspricht unserer Lebenswirklichkeit, dass derjenige, der ei­genes Geld verdient, für seine Unterkunft selbst aufkommt“, erklärt das Sozialministerium. Das Problem ist eher die Höhe der Abgabe. Denn die Regierung von Unterfranken geht da­von aus, dass einem arbeitenden Flüchtling für die gut 300 Euro 50 Quadratmeter und zwei Zimmer zustehen. „Das ist aber völlig utopisch“, meint Betreuerin Sieland-Hirschmann. Kein Flüchtling habe so viel Platz. Im Gegenteil: Die meisten teilen sich ihr Zimmer, nicht aber die Gebühr.

So auch im Fall des 26-jährigen Rebin. Er arbeitet bei der Firma Nifco KTW in Weißenburg. Mittlerweile ist Rebin hausintern ein Zimmer weitergezogen, zahlt aber immer noch die 311 Euro. Bis vor kurzem teilte er sich ein 60-Quadratmeter-Zimmer mit zwei Mitbewohnern. Drei Betten, ein Schrank, ein Tisch. Alle drei zahlten die 311-Euro-Gebühr an die Regierung. Machte 933 Euro für 60 Quadratmeter. Das sind mehr als 15 Euro für den Quadratmeter. Rund das Doppelte dessen, was in Weißenburg üblich ist. Für Wohnungen, die man sich nicht teilen muss, die keine Gemeinschaftsduschen und -toiletten haben. Mindes­tens sieben Quadratmeter müssen ei­nem Flüchtling als Fläche zugestanden werden. Umgerechnet auf die 311 Euro macht das im Extremfall einen Quadratmeterpreis von 44 Euro. „Da­für bekomme ich in München einen Luxusschuppen, und hier bei uns wohne ich im alten Sportheim“, beschwert sich die Betreuerin Eva Sieland-Hirschmann.

Die ehrenamtliche Betreuerin von „Weißenburg hilft“ möchte gegen die Bescheide klagen. Dafür wurde Rechtsanwalt Markus Becker eingeschaltet. „Wir müssen jemanden finden, der sich als Kläger zur Verfügung stellt“, erklärt der Anwalt. Problem dabei: Die Klage könnte Auswirkungen auf die laufenden Verfahren der Asylbewerber haben. Becker ist sich sicher: „Wenn jemand 300 Euro für sieben Quadratmeter zahlt, ist das in einer freien Wirtschaft nicht realis­tisch.“ Er vermutet, dass der Staat durch die hohen Gebühren versucht, die hohen Ausgaben für Asylbewerber wieder reinzuholen.

Grundsätzlich sollten anerkannte Flüchtlinge sich selbst eine Wohnung suchen. Die finanzieren sie mit ihrem Lohn oder das Jobcenter zahlt. Das Problem ist nur, dass der Wohnungsmarkt prekär ist. Das bekommt auch Süleman zu spüren. Vor kurzem suchte er nach einer Wohnung und wurde auf Ebay fündig. 800 Euro. Süleman fuhr nach Treuchtlingen, um sie sich anzuschauen. Als er ankam, kostete die Wohnung schon 1000 Euro. Dann sagte der Vermieter zu ihm: „Und weil du Flüchtling bist, zahlst du noch mal 100 Euro mehr.“ Mittlerweile hat Süleman eine andere Unterkunft gefunden.

Skeptische Vermieter

Das ist aber eher die Ausnahme. Grundsätzlich ist es sehr schwer für Flüchtlinge, eine Wohnung zu finden, bestätigt Martin Plößl, Makler in Weißenburg. „Die Vermieter fordern, dass ich ihnen jemanden bringe, der ordentlich ist und auch eine finanzielle Stabilität mitbringt“, erklärt er. Bei Flüchtlingen sei das nun mal nicht immer gegeben. Viele Flüchtlinge sind bei Zeitarbeitsfirmen angestellt, die einem nicht die Sicherheit geben, wie man sie bei einer Ausbildung oder einer festen Stelle hat. Manche Vermieter seien auch abgeneigt, weil die „Flüchtlinge unsere Verhältnisse nicht gewohnt sind“, erzählt Plößl.

Solange man auf dem freien Markt nichts findet, muss man zähneknirschend die horrenden Mieten des Staats in Kauf nehmen. Kleiner werden die Sorgen der Menschen dadurch in aller Regel nicht.

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