Wenn jedes Auswärtsspiel zum Heimspiel wird

23.12.2017, 09:00 Uhr
Wenn jedes Auswärtsspiel zum Heimspiel wird

© Bastian Mühling

Zwei Bilder: Auf der Hinfahrt packt Gerhard Huber – strahlendes Lachen über dem roten VfL-Pulli – seine Gitarre aus und spielt „Jailhouse Rock“ von Elvis Presley. Der vordere Teil des Busses singt mit, hinten ist die Mehrheit zu jung, um das Lied zu kennen. Auf der Rückfahrt packt Huber wieder seine Gitarre aus. Diesmal spielt er – direkt vor den Augen der Spieler – von Eric Idle „Always Look on the Bright Side of life“. Noch Fragen zum Ergebnis?

Das mit der Gitarre ist keinesfalls ein Ritual, vielmehr hat sie Gerhard Huber zum ersten Mal dabei – zum Abschluss des Basketball-Jahres. Früher war Huber überall dort, wo es brannte, in allen Krisengebieten dieser Erde. Heute ist er überall dort, wo der VfL ist. „Nicht mehr Kosovo oder Afghanistan, einfach nur noch Treuchtlingen“, erklärt Hauptmann a. D. Huber – ein „Vollchaot, der endlich ein Zuhause gefunden hat“, wie er über sich selbst sagt. Der ehemalige Berufsoffizier ist froh, dass er „zum ersten Mal das Leben im Verein erleben darf“. Basketball hat ihn nie wirklich interessiert, aber jetzt hat ihn das Fieber gepackt.

„Nicht mehr Kosovo oder Afghanistan, einfach nur noch Treuchtlingen.“    Gerhard Huber

Es ist ein Fieber, das hochgradig ansteckend ist, und auch mit den Folgen ist nicht zu spaßen: Das VfL-Fieber zieht Tagesfahrten nach Oberhaching, Jena oder Rosenheim nach sich. Au­ßerdem kann es zu zwei Stunden „unter-Strom-stehen“ führen. Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Spielberichte im Weißenburger Tagblatt und fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker.

Als Jens Kübler um 12.04 Uhr seinen Bus mit gut 40 VfL-Infizierten Richtung Oberhaching startet, ist das erste Bier schon angetrunken und der Bus fast bis auf den letzten Platz, den laut Kübler traditionell Stefan Schmoll einnimmt, gefüllt. Und das am dritten Advent. Florian Beierlein schlängelt sich durch den Gang und sagt, angesprochen auf die Bäcker-Tüten in seiner Hand: „Wie jede Auswärtsfahrt halt: mindestens fünf Kilo Essen.“

Apropos Essen: Es sind keine zehn Kilometer gefahren, da werden die ersten Plätzchen rumgereicht. Auch Harald Schwarz nimmt sich welche. Der 39-Jährige ist heute zum ersten Mal auswärts dabei. Er war und ist eigentlich Trommler in Nördlingen. Beim Auswärtsspiel der Giants in Treuchtlingen steckte auch er sich am VfL-Fieber an. „Ich war beeindruckt von der Stimmung und bin dann einfach dabeigeblieben.“ Später wird er zusammen mit Mario Achatz und Moritz Herter, die beide in der Jugend des VfL spielen, an der Trommel für Stimmung sorgen.

Irgendwie scheint jeder im Bus seine Aufgabe zu haben. Zum Beispiel Christine Kutschera, seit 15 Jahren die Physiotherapeutin der Baskets. Im Bus ist sie die einzige, die von Anfang an Basketball gespielt hat. Von Anfang an heißt in dem Fall im Jahr 1977, als zum ersten Mal ein Kurs an der Senefelder-Schule angeboten wurde und sich daraus dann die Basketball-Abteilung entwickelte. Oder Gabi Dreger, die trotz Krücken mitgefahren ist: Sie organisiert zusammen mit Stefan Schmoll die Busfahrten. „Meistens sind wir so 15 bis 20 Mann im Bus“, sagt sie. Pauschal kann man das aber nicht sagen, viele Anhänger fahren auch selbst mit dem Auto nach.

Die Taschen auf dem Gang markieren den Bereich der Spieler. Reiner
Eisenberger, Fußball-Trainer beim SV Ornbau und Vater von Basketballer Tim Eisenberger, erklärt: „Die lassen die Taschen wegen den Schuhen oben im Bus, damit die warm bleiben. Das sind halt die Hallensportler. Hallensportler mit einem Herz für Schafkopf: Fast während der ganzen Fahrt spielen Stefan Schmoll, Claudio Huhn, Jonathan Schwarz und Florian Beierlein den bayerischen Kartenspiel-Klassiker. Als Tisch dient der rote Trikot-Koffer. Logisch, dass die Basketballer um Geld spielen.
Plötzlich schreit Schmoll nach vorne in Richtung Andreas Schwarz: „Andi! Dein Sohnemann verkackt’s schon wieder!“ Schwarz senior ruft zurück: „Warum?“ Schmoll: „Was meinst du, warum der gesagt hat, dass er neue Schuhe braucht?“

„Sobald’s in der Halle laut wird, geht bei uns automatisch mehr.“    
Claudio Huhn

Florian Beierlein meint: „Das wird eine lustige Heimfahrt.“ Pause. „Wenn wir gewinnen.“ Währenddessen hört Tim Eisenberger im Radio die 2. Fußball-Bundesliga, die Claudio Huhn parallel zum Schafkopfen zeitverzögert im Fernsehen schaut. Der ganze VfL-Kader ist fast nie auf der Busfahrt dabei, meistens sind es um die sieben Baskets, die mit den Fans zum Spiel fahren, die anderen kommen mit dem Auto. Das gilt auch für den in Nürnberg wohnenden Trainer Stephan Harlander.

Wenn jedes Auswärtsspiel zum Heimspiel wird

© Bastian Mühling

In der Halle angekommen, feuern die VfL-Fans ihre Treuchtlinger Korbjäger lautstark an. „Das ist schon ein echtes Privileg“, meint Florian Beierlein. Mannschaftskollege Claudio Huhn, der schon am längsten im Team spielt, stimmt zu: „Das ist echt Luxus bei uns, dass wir immer 50 Idioten – in Anführungszeichen – haben, die die Auswärtsspiele zu Heimspielen machen.“ Und Huhn weiter: „Sobald’s in der Halle laut wird, geht bei uns automatisch mehr.“

Dass überhaupt so viele Fans bequem mit dem Bus mitfahren können, dafür sorgt Jens Kübler. Durchs Busfahren ist er zum Basketball gekommen. „Ich freue mich auf jede Fahrt“, meint er. Seit zwölf Jahren ist er Busfaher bei Engeler Reisen, seit 2010 fährt er die Baskets. Damals übernahm die Nachfolge von Werner Kleemann. Bei Küblers ersten Fahrten war noch die Wilde Horde mit dabei. „Da ist das jetzt ein Traum und sehr viel angenehmer“, meint der 36-Jährige. Allerdings: „Irgendwie hatten die Fahrten mit der Wilden Horde auch etwas.“ Damals verkaufte er gleich bei seiner ersten Auswärtsfahrt zwölf Kästen Bier, heute sind es meist drei bis vier pro Fahrt.

Letztes Viertel: Oberhaching führt knapp, der VfL holt auf. Die VfL-Anhänger werden immer lauter und ha­ben jetzt die Halle im Griff. Einerseits hört man das, andererseits würde der Blick auf einen Oberhaching-Funktionär auch genügen. Er spürt, dass der VfL mit den Fans im Rücken noch mal rankommt, steht auf und fordert die Oberhachinger Zuschauer auf, Radau zu machen. So etwas müsste man bei den VfL-Fans nicht machen, sie wissen genau, wann die Mannschaft sie braucht. Das Spiel auf dem Parkett mögen die VfL-Baskets in Oberhaching verloren haben, auf der Tribüne geht der Sieg aber immer an die Treuchtlinger Fans.

 

Verwandte Themen


Keine Kommentare