Wo ist das Meer?

17.6.2017, 10:09 Uhr
Wo ist das Meer?

© Renner

„Weißenburg? Da willst du hin? Das ist doch ein Nest.“ So reagiert ein Freund, als er erfährt, dass ich Stadtschreiber in Weißenburg geworden bin.

Ja, schon ein Nest, aber ein gemütliches. Gut, das Erste, was ich sehe, als ich am Bahnhof aussteige, ist ein Großes Schild „Toiletten“, welches über der Unterführung prangt. Aber an­sonsten ein bezauberndes Städtchen mit schönen Fachwerkhäusern, belebter Innenstadt und funktionierender Gastronomie. Da gibt es noch einen Schwarzen Bären und ein Goldenes Lamm, eine Löwenbrauerei und eine Greifen-Apotheke. Wenn ich dagegen an die teilweise verwaisten Kleinstädte in Österreich denke, deren Leben ins vorstädtische Einkaufszentrum ausgelagert worden ist, wo sich die Menschen bei Elektronikangeboten und Running Sushi vergnügen (oder sind es Mutproben? Urlaub auf den Salmonellen?) . . .

Dagegen ist Weißenburg geradezu sensationell. Gut, in der Löwenbrauerei ist mittlerweile ein Mexikaner, der auch Pizzas anbietet, im Goldenen Lamm residiert ein Grieche, der Wittelsbacher Hof steht leer, und die Kellnerin im Goldenen Adler kommt aus Tschechien, aber das ist in Ordnung. Auf österreichischen Almhütten kommt auch so gut wie jede Servierkraft aus Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern, sodass man als Wanderer denkt: Hoppla, da bin ich wohl etwas zu weit gegangen.

Was ich an Weißenburg besonders bemerkenswert finde, sind die kleinen Türchen zu den Häuserzwischenräumen. Katzenklappen für hochwüchsige Haustiere? Geheimverstecke? Fluchtwege? Oder gehen diese schmalen Gänge zwischen den Häusern, die ich sonst noch nie gesehen habe, auf volkstümliche Bräuche zurück? Muss­te etwa eine Braut durchpassen? Nein, der Oberbürgermeister klärt mich auf, da hat man früher den Unrat hinausgekippt, der dann auf die Straße gespült worden ist. Waren das früh­neuzeitliche Komposthaufen? Oder Schweineställe? Es gibt ja in Weißenburg eklatant viele Metzgereien. Auch wenn nicht mehr alle in Betrieb sind, die Bratwürste können was, das Bier übrigens auch.

Nach einer Woche Hausmannskost lande ich aber doch beim Griechen. Zwar schmeckt auch hier der Salat überraschend fränkisch, und auch der nach „Perser“ klingende Biername „Pyraser“ ist irritierend, aber ansons­ten fühlt man sich wie in der Ägäis.

– Fehlt nur noch das Meer, sage ich zum Kellner, und man könnte glauben, man wäre in Griechenland.

– Musst du zu Oberbürgermeister gehen und bestellen, vielleicht bringt er dir Meer, ist seine Antwort.

– Tja . . . Vielleicht. Oder versteckt es sich schon in den Häuserzwischenräumen? Wie auch immer, das Meer ist gar nicht notwendig, denn in der Umgebung gibt es schöne Seen. Doch von denen ein anderes Mal.     

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