Allein im Ausland: Heimweh versus Fernweh

9.10.2015, 17:19 Uhr
Allein im Ausland: Heimweh versus Fernweh

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Heimweh, das ist ein schwieriges Thema. Viele Leute nehmen es nicht ernst, sondern reagieren genervt oder verständnislos, wenn sie damit konfrontiert werden.

Alle denken, man bildet sich das bloß ein und steigert sich in irgendwas rein. Bei mir selbst entsteht so langsam das Gefühl, sich dafür schämen zu müssen. Besonders vor Schulfahrten hatte ich Angst. Eine Woche ganz alleine, ohne meine Familie, das war eine echte Horrorvorstellung für mich.

Denn für mich ist es schön, Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Gemeinsam zu frühstücken oder mich mit meiner Schwester auf die Couch zu kuscheln, um einen Film zu schauen.

Nicht einmal der Gedanke, dass alle meine Freunde dabei sein würden, konnte mich trösten. Schon Tage bevor es losging, hatte ich einen Knoten im Bauch. Ich konnte nachts nicht richtig schlafen, aus Angst davor, was kommen würde.

Gesprochen habe ich darüber nur mit meinen Eltern, weil es mir peinlich war. Es folgten viele lange Gespräche: Warum ich mich so fühle? Ob es einen bestimmten Grund gebe? Aber das Schwierige war: Ich wusste nicht einmal genau, woran es liegt. Es reichte der Gedanke, von zu Hause fort zu sein, und sofort machte sich Panik breit. Das konnte ich auch nicht abstellen, egal, wie sehr ich mich bemühte.

Heute ist das anders. Inzwischen übernachte ich gerne bei Freunden, und im Sommer fahre ich auch mal zwei Wochen ohne meine Familie in den Urlaub. Dank des Internets kann ich ja ständig mit ihr in Kontakt bleiben. So habe ich nicht das Gefühl, komplett von ihr getrennt zu sein. Für andere ist ja genau das der Grund, wegzufahren. Sie sind froh, mal nichts von zu Hause zu hören. Mir hingegen ist es wichtig, zu wissen, wie es meiner Familie und meinen Freunden geht.

Obwohl ich mein Heimweh größtenteils überwunden habe, würde ich mir eine längere Trennung, etwa ein Schuljahr im Ausland, nicht zutrauen. Die Vorstellung, ein komplettes Jahr ohne meine Familie und meine Freunde zu sein, finde ich schrecklich.

Für diese Einstellung muss ich mich überall rechtfertigen. Es heißt: Hauptsache Ausland, je weiter weg, desto besser. Das nervt! Dass es mir zu Hause gefällt und ich dort gerne bleibe, ist für viele unverständlich. Doch weshalb? Ist es wirklich so schlimm zu sagen, dass ich gerne daheim bin? Meiner Meinung nach nicht.

Doch in den Köpfen der Menschen hat sich die Vorstellung festgesetzt, dass nur ein Auslandsaufenthalt einen weiterbringt. Nur dadurch lerne ich eine Sprache richtig, nur dadurch sammle ich die nötigen Erfahrungen, und im Lebenslauf macht sich ein Schuljahr oder ein paar Semester natürlich auch prima. Manchmal fühle ich mich schon fast dazu gedrängt, fortzugehen.

Für mich fühlt es sich allerdings nicht so an, als würde ich etwas verpassen. Ich bin einfach glücklich dort zu sein, wo es mir gefällt. In diesem Fall ist das nun mal mein Zuhause.

CARIMA JEKEL (16)

 

Ob Bewerbung für den Master, um eine Stelle oder nur fürs Praktikum — in fast jedem Anforderungsprofil steht „Auslandserfahrung wünschenswert“. Was aber, wenn man keine Auslandserfahrung hat? Ist man dann unqualifiziert? Ein schlechterer Mensch? Es ist beinahe Pflichtprogramm, während Schulzeit oder Studium ins Ausland zu gehen.

Dabei ist das ganz schön teuer. Aber nicht nur das Finanzielle ist ein Problem. Viele junge Leute wollen gar nicht ins Ausland. Ich zum Beispiel. Oft kriege ich zu hören: „Was? Du willst nicht ins Ausland? Es gibt doch Skype!“ Als wäre Skype ein Trost. Daran, dass ich schlicht und einfach gern Zuhause bin und mir meine Familie am Herzen liegt, denken diese Menschen gar nicht.

An sich würde es mich ja sogar interessieren, ins Ausland zu gehen. Deswegen hatte ich schon mal ein Auslandspraktikum geplant und organisiert. Als es dann so weit war, entpuppte sich das Vorhaben allerdings als mittlere Katastrophe. Ein Praktikum in Valencia sollte es werden. Das Heimweh begann schon, bevor es losging.

Jedes Mal, wenn ich etwas dachte wie: „Das war jetzt das letzte Mal für die nächsten Wochen, dass ich zusammen mit meiner Familie essen kann“, liefen die Tränen wie ein Wasserfall. Der Abend vor meinem Abflug war furchtbar. Ich habe mich ins Badezimmer eingeschlossen und geheult. Albern, ich weiß. Im Nachhinein schäme ich mich ein wenig. Aber gegen seine Gefühle kann man nichts machen.

Ich versuchte also, mit Optimismus an die Sache zu gehen, und sagte mir vor: „Es sind nur ein paar Wochen. Ich werde neue Erfahrungen machen.“ Vergeblich. Am Praktikumsort angekommen, nahm das Übel seinen Lauf.

Statt des Apartments, in dem ich die nächsten Wochen wie ausgemacht wohnen sollte, erwartete mich ein ungemütliches Hotelzimmer. Statt eines tollen Praktikumsplatzes erwarteten mich überforderte Menschen, die nicht mal wussten, dass ich komme.

Immerhin bemühte sich mein Betreuer, der mich vom Flughafen abholte, sehr. Es tat mir leid, dass er sich mit einem Häufchen Elend wie mir abgeben musste. Aber das änderte nichts daran, dass mein Heimweh von Minute zu Minute schlimmer wurde.

Schließlich brach ich das Praktikum ab und flog heim. Seitdem habe ich ein Auslands-Trauma. Einen Auslandsaufenthalt habe ich in nächster Zeit nicht geplant. Vielleicht überwinde ich irgendwann mein Heimweh und nehme das nochmal in Angriff. Aber nur vielleicht.

Bis dahin quäle ich mich weiter durch Stellenanzeigen mit „Auslandserfahrung wünschenswert“ und hoffe, dass irgendein Personalchef erkennt, dass man nicht schlechter ist, nur weil man kein Globetrotter ist.

VANESSA DRUSE (24)

 

Für mich war Heimweh immer etwas, das die anderen hatten. Als ich in der 3. Klasse das erste Mal für längere Zeit von zuhause weg war — eine Woche Schullandheim — ist mir Heimweh zum ersten Mal begegnet.

Als mir das Heimweh in Form von verheulten Kindern und tröstenden Lehrern ins Gesicht schaute, war ich erst mal verständnislos. „In einer Woche geht’s doch eh heim, also wieso das jetzt?“, fragte ich mich.

Das, was ich verstehen konnte, war das Fernweh. Schon von klein auf hat das Wissen von den verschiedenen Ländern, Meeren, Bergen, Städten und Kulturen einen Drang in mir ausgelöst, so viel wie möglich zu sehen. Für mich ist das eher Grund zum Heulen: Man hat nur so wenig Zeit. Und es gibt so viel zu entdecken.

Die einzige Episode von Heimweh, an die ich mich erinnern kann, hatte ich während meines Austauschjahrs in den USA. Als ich meine erste Gastfamilie verlassen musste, habe ich mich etwas nach dem beständigen Heim gesehnt, das man zuhause hat. Es war aber kein bestimmter Ort, an den ich zurück wollte.

Eher fehlte mir das Gefühl von Vertrautheit. Natürlich ist es zuhause aus verschiedenen Gründen schön. Aber das Wichtigste ist doch, dass einem alles so bekannt ist. Man kennt seine Familie, seine Freunde, alle sprechen die gleiche Sprache und man muss die Leute auf der Straße nicht nach dem Weg fragen. Man kennt ihn eben.

Vielleicht ist das die Lösung, wenn man mal wieder einfach nur heim will: Sich mit der Fremde vertraut zu machen. Versuchen, sich mit dem Neuen anzufreunden, statt dem Alten hinterherzutrauern. Mit den Leuten sprechen und ihre Sprache lernen.

Wenn das gelingt, finde ich: Zuhause ist kein fester Ort. Es kann überall sein, wenn man sich Mühe gibt.

JONATHAN FRIEDMANN (17)

 

 

 

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