Der Lehrer: Superheld oder arme Socke?

26.2.2018, 18:11 Uhr
Die einen machen prima mit, andere dösen gerne mal weg. Die einen sind schlau, andere sind es weniger. Die einen können gut Deutsch, andere nicht so sehr. Alle diese Unterschiede soll ein Lehrer ständig im Blick haben – und darauf Rücksicht nehmen.

© Jens Kalaene/dpa Die einen machen prima mit, andere dösen gerne mal weg. Die einen sind schlau, andere sind es weniger. Die einen können gut Deutsch, andere nicht so sehr. Alle diese Unterschiede soll ein Lehrer ständig im Blick haben – und darauf Rücksicht nehmen.

Im Lateinunterricht an einem Gymnasium: Der Lehrer hat eine Passage aus Cäsars "De Bello Gallico" ausgesucht. "Wer mag sich an der Übersetzung versuchen?" Einige Schüler melden sich, viele versuchen, sich unsichtbar zu machen.

Einer wird aufgerufen und übersetzt nahezu fehlerfrei. Der Rest der Schüler schreibt in die Hefte. Die Frage ist: Wer beherrscht die Übersetzung tatsächlich? Wer hat die Grammatik verstanden? Wer kennt die Vokabeln? Das wird erst die nächste Schulaufgabe zeigen.

Ein solcher Einheitsunterricht lässt viele Schüler überfordert und einige unterfordert zurück. Frustrierend für alle Beteiligten, aber Schulalltag!

Doch Schule kann auch anders funktionieren. Laut Prof. Christian Fischer von der Uni Münster hat sich das Konzept gewandelt: Es sollen nicht mehr nur die leistungsschwachen Schülern gefördert werden, sondern gleichermaßen auch die besonders Begabten.

Potenzialentwicklung heißt das Stichwort. Nicht einfach für den Lehrer, denn die Unterschiede in einer Klasse sind groß: Es gibt Kinder mit speziellen Schwächen oder Begabungen, ihre soziale und kulturelle Herkunft kann sehr verschieden sein.

Für den (angehenden) Lehrer bedeutet das: Kinder mit Migrationshintergrund und/oder unzureichenden Deutschkenntnissen besonders unterstützen; die Hochbegabten nicht vergessen; den sozialen, kulturellen und religiösen Hintergrund der Schüler im Auge behalten; Kinder mit Beeinträchtigung verstärkt inkludieren; die geschlechtersensible Ansprache beachten.

Alles gleichzeitig

Am besten alles gleichzeitig – und bei weitem nicht ausschließlich: Fachkompetenz wird vorausgesetzt, Umsicht bei der Notenvergabe, die Digitalisierung soll der Lehrer voranbringen – und nicht zu vergessen: in einigen Fällen auch noch versäumte Erziehungsarbeit nachholen. Kurz: Der Lehrer bewegt sich stets im Spannungsfeld zwischen Superheld und armer Socke.

Um bei der Fülle von Anforderungen seine Schüler individuell zu fördern, sollte der Lehrer den Leistungsstand seiner Klasse möglichst genau kennen – und ständig überprüfen. Denn entscheidend ist laut Fischer, dass Schüler nicht dauerhaft in eine Schublade gesteckt werden — nach dem Motto: einmal lernschwach, immer lernschwach.

In der Theorie sollen alle Unterschiede, die eine Klassengemeinschaft mitbringt, nicht als Problem gesehen werden, sondern als Gewinn und "Lernressourcen" bei der Vermittlung des Unterrichtsstoffs. Studien zeigen, dass leistungsschwache Schüler stärker von heterogenen Klassen profitieren als leistungsstarke. Aber beide Gruppen werden gleichermaßen in ihrer sozialen Entwicklung gefördert.

Bei einem Expertenforum wurde über äußere Bedingungen diskutiert: Kleine Klassen erleichtern den Überblick und erhöhen somit die Chancen für eine individuelle Förderung. Man kann Schüler außerdem besser fördern, wenn mehr Räume zur Verfügung stehen und die Schulen mit Hilfsmitteln wie Computer ausgestattet wären.

Weitere Thesen auf der Tagung: Individuelles Fördern klappe immer dann besonders gut, wenn der Schüler sein Lernen selbst in die Hand nimmt. Auch das Lehren im Tandem, also die Gestaltung des Unterrichts durch zwei Lehrer, brächte die individuelle Förderung voran. Alle Maßnahmen der individuellen Förderung zielen letztlich darauf ab, den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft zu entkoppeln.

Einen anderen Schwerpunkt bei der Tagung setzte Prof. Anatoli Rakhkochkine von der Uni Erlangen-Nürnberg. Er untersuchte die individuelle Förderung aus internationaler Perspektive. Ergebnis: Im internationalen Vergleich fehlen nicht nur einheitliche Begriffe und Konzepte, sondern es fehlt auch die Möglichkeit der Übertragung.

In Deutschland undenkbar

Es ist daher wenig sinnvoll, beim Thema Bildung reflexartig auf die skandinavischen Länder zu blicken. Konzepte, die dort gut funktionieren, können in einem anderen Land scheitern. In Großbritannien werden Daten über Schüler nach einer sehr differenzierten Methode gesammelt, um sie als Basis für individuelle Förderprogramme heranzuziehen. Im datensensiblen Deutschland wäre ein solches Konzept nicht durchführbar.

Laut Rakhkochkine geht es also darum, die Ideen von individueller Förderung in anderen Ländern im jeweiligen kulturellen Kontext zu sehen und das bei der Implementierung zu berücksichtigen. So sei dies bei der Gewaltprävention an Schulen geschehen. Ursprünglich aus den USA eingeführt, wurde das Konzept an deutsche Verhältnisse angepasst.

ZMehr über die Tagung steht auf www.zfl.fau.de

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