Eine dunkle Vergangenheit

9.8.2016, 12:15 Uhr
Eine dunkle Vergangenheit

© Schroll

Wir starten im 15. Jahrhundert. Nürnberg war zu dieser Zeit eine der wichtigsten Städte überhaupt, dank vieler gut gebildeter Künstler und Handwerker. Ein ganz großer unter ihnen zu dieser Zeit: Albrecht Dürer. Nürnberg hatte damals nicht nur schon eine Burg, sondern war auch eine Hochburg in Sachen Schule. „Die Stadt wurde durch gute Bildung stinkreich“, erzählt uns Mathias Rösch, Leiter des Schulmuseums.

Mit knurrendem Magen lernen

In den Schulen der Stadt lernten einige Kinder schon vor 500 Jahren das Lesen und Schreiben. Auch in fremden Sprachen, wie Französisch, wurden sie unterrichtet. Das war zu jener Zeit in Deutschland noch eine echte Besonderheit. Der Handel der Stadt mit dem Ausland blühte dadurch auf, davon profitierten Handwerker oder Künstler wie Dürer, aber auch die gesamte Stadtbevölkerung.

Dann ein Zeitsprung ins 19. Jahrhundert: Immer mehr Kinder gingen zur Schule, viele mussten aber vor und nach dem Unterricht arbeiten, in Fabriken oder auf den Äckern, um ihr eigenes Überleben und das ihrer Familien zu sichern. Doch um 1900 passierte etwas, was Mathias Rösch als Zeitenwende beschreibt. Die damaligen Zeitgenossen erkannten: „Schlechte Schulen machen ein Land kaputt.“

Um konzentriert zu lernen, sollten die Kinder ausschlafen können und genug zu essen haben. 80 Prozent aller Kinder gingen zu dieser Zeit in die Schule und mussten in ihrer freien Zeit auch nicht mehr so viel arbeiten.

Die Bildung wurde zur Lebensgrundlage, der Lehrer hatte aber noch immer eine unglaubliche Macht – nicht nur über die Schüler, sondern auch über deren Eltern. Wer sich gut mit ihm stellte, hatte es in der Schule und später leichter. Denn nur wer am Ende der Schullaufbahn das Abschlusszeugnis in der Hand hielt, fand einen Job oder durfte heiraten. Übrigens: Vor 100 Jahren schon hatten Mädchen bessere Noten als Jungs, erzählt Rösch.

Das alles weiß er deshalb so genau, weil er mit seinen vielen Mitarbeiter, darunter auch Ehrenamtliche, alte Zeugnisse, Spickzettel und Schülerbriefchen oder auch Tagebücher ausgewertet hat. „Die Sammlung ist mehrere Millionen wert“, sagt Rösch. Viele der über 180.000 Objekte schlummern aber im Archiv. Manche sind so empfindlich, dass sie kein Tageslicht sehen dürfen, sonst würden sie kaputtgehen. Die Exemplare stammen teilweise aus der ganzen Welt.

Auch Zeitzeugen sind eine wichtige Informationsquelle. Warum sich Mathias Rösch so viel Arbeit macht? „Wir erforschen, wie Schule früher war, um zu erforschen, wie man sie heute besser machen kann.“

In einem nachgebauten Klassenzimmer aus dem Jahr 1900 tauchen wir selbst für eine Schulstunde in die Vergangenheit ein. Wir nehmen auf engen, unbequemen Schulbänken aus Holz Platz. Bis zu drei Schüler aller Jahrgangsstufen quetschten sich auf die kurze Bank. Wegen der Enge können wir uns nicht umdrehen. Miteinander zu quatschen, ist so unmöglich.

Eine dunkle Vergangenheit

© F.: Schroll

Bevor es mit dem Unterricht losgeht, läuft Mathias Rösch, der Lehrer aus der Vergangenheit, nach unserem „Guten Morgen, Herr Lehrer“, durch die Reihen. Wir stehen stramm und gerade neben unseren Bänken. Doch so wie heute hätten wir damals nicht in die Schule gehen dürfen.

Mädchen mussten einen Dutt (also die Haare hochstecken) oder Zöpfe tragen, figurbetonte Kleidung war nicht erlaubt. Röcke mussten bis zu den Knöcheln gehen, die Fingernägel kurz sein. Nagellack war nicht erlaubt. Das galt als Zeichen von Prostituierten.

Wir müssen die Hände nach vorne strecken. Wer schmutzige Finger oder einen dreckigen Hals hat, wird vom Lehrer noch vor dem Unterricht gewaschen. Dafür hat er eine Kanne mit einer kleinen Schüssel.

Wir sitzen aufrecht, die Hände liegen flach auf dem Tisch. Mädchen müssen ihren Blick nach unten richten, nur die Jungs dürfen dem Lehrer in die Augen schauen. Mit einer Schiefertafel und einem „Griffel“, so heißt der Stift, mit dem wir schreiben, lernen wir ein paar Buchstaben in alter Schrift. Später können wir sogar das Wort „Esel“ auswendig schreiben. Das mussten die Schüler damals übrigens auch. Alles, was sie lernten, mussten sie sich merken. Schulbücher gab es nicht, die waren viel zu teuer. In der Volksschule konnte sich die niemand leisten.

Zum Schreiben dürfen wir unsere linke Hand nicht benutzen, die gilt als unrein. „Linkshändern wurde eine Tendenz zum Verbrecher nachgesagt“, erklärt uns Rösch.

Wer im Unterricht nicht aufmerksam war, musste mit schmerzhaften Strafen rechnen. Noch bis 1970, erklärt uns Mathias Rösch, gab es die Prügelstrafe in Deutschland. Mit dem Bambusrohr wurde Mädchen auf die Fingernägel geschlagen, Jungs mussten ihre Handfläche ausstrecken. Ein Glück für uns, dass diese Zeiten längst vorbei sind und uns Mathias Rösch nur davon erzählt.

Stramm und im Gleichton

Der Unterricht endet mit einem strammen und synchronen „Auf Wiedersehen, Herr Lehrer“. Auch den bayerischen König müssen wir grüßen, von dem ein Bild über dem Lehrerpult hängt. Mit einem dreifachen lauten „Hurra“ für die Majestät endet der spannende Ausflug in die Vergangenheit für uns.

Dennoch sind wir froh, dass das nur eine Zeitreise war und wir heute einen deutlich angenehmeren Schulalltag haben, auch wenn wir uns ab und zu beschweren. Mathias Rösch ist Schule wichtig: „Mit Bildung können viele Probleme gelöst werden.“

So fühlten sich die Ferienreporter in der Schulbank:

Scarlett Fraser, 12: Die Mädchen mussten ihre Augen auf den Boden richten, und das den ganzen Schultag! Das fand ich nicht schön. Wenn man das den ganzen Tag machen musste, hat man sich bestimmt unterdrückt gefühlt.

Raluca Reinhold,11: Mich hat erschrocken, dass die Schüler früher geschlagen wurden. Außerdem waren die Schulbänke sehr klein, eng und ungemütlich.

Sarah Debler, 15: Allein wenn ich an das Geräusch des durch die Luft sausenden Stockes denke, kriege ich eine Gänsehaut am ganzen Körper.

Jan von Heissen, 10: Damals waren die Lehrer sehr streng. Wer nicht brav war, wurde mit einem Stock geschlagen. Die Zeit damals in der Schule war grausam.

Vanessa Krause, 14: Als wir das alte, in dämmriges Licht getauchte Klassenzimmer betraten, schlich sich nach kurzer Zeit ein beklemmendes Gefühl bei mir ein.

Selina Wölflick, 13: Ich bin froh, heute in die Schule zu gehen. Die Bänke sind viel bequemer, die Lehrer netter, man darf aussehen, wie man will. Vor allem darf man nicht mehr geschlagen werden.

Sarah Debler (15), Scarlett Fraser (12), Hannah Gößwein (15), Vanessa Krause (14), Raluca Reinhold (11), Jan von Heissen (10) und Selina Wölflick (13)

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