Eine kleine, feine Uni vor den Toren der Stadt

3.8.2017, 17:54 Uhr
Die Gebäude der früheren Uni in Altdorf sind bis heute erhalten.

© Viola Bernlocher Die Gebäude der früheren Uni in Altdorf sind bis heute erhalten.

An einem verschneiten Januartag im Jahr 1720 sind auf der Straße von Langenthal in der Oberpfalz nach Altdorf mehrere Personen unterwegs, die einen Schlitten ziehen. Darauf sitzt die 48-jährige Bäuerin Anna Bayer, Mutter von acht Kindern. Die hagere Frau leidet an einer gewaltigen Geschwulst an ihrer rechten Brust, die schon so groß ist wie zwei Fäuste.

Wie viele andere Frauen setzt Anna Bayer ihre ganze Hoffnung auf Lorenz Heister, den berühmten Arzt an der Universität in Altdorf. Heister vertritt die Überzeugung, ein Chirurg solle sich keinesfalls von den Schreien der Patienten irritieren lassen – und er fackelt nicht lange: Mit einem scharfen Messer schneidet er den sechs Kilogramm schweren Tumor heraus. Wie von Chronisten berichtet wird, "lebte die Frau einige Jahre später noch".

Heister ist ein Beispiel für die herausragenden Gelehrten, die an der Altdorfina, der Nürnberger Universität in Altdorf (siehe Kasten rechts) wirkten. Die Studenten strömten dorthin, um bei Heister zu lernen. Denn vor der Gründung der Erlanger Universität 1743 war Altdorf der einzige Hochschulstandort in der ganzen Region – und damit auch Sitz der einzigen Medizinischen Fakultät weit und breit.

Innovationskraft

Heister brach völlig mit der damals üblichen Tradition, dass an Universitäten nur "Chirurgia theoretica", also die Anatomie, gelehrt wurde. Die chirurgische Praxis überließen die Professoren handwerklich talentierten Badern und Barbieren.

Heister indes operierte selbst. Auf der Grundlage seiner praktischen Erfahrungen schrieb er ein "Handbuch der Chirurgie", das ihm damals Weltruhm verschaffte.

In einem solchen Fall würde man heute von einer bahnbrechenden Innovation sprechen. Es war bei weitem nicht die einzige, die von der Altdorfina ausging.

Ein anderes Beispiel ist der 1626 angelegte Botanische Garten, der bis zum Jahr 1700 der bedeutendste in Deutschland und einer der größten Europas war. Auf dem 4500 Quadratmeter großen, an die französische Gartenbaukunst angelehnten Areal wuchsen ungefähr 2500 verschiedene Arten von Pflanzen.

Eine ganze Reihe weiterer Innovationen ist den Wissenschaftlern zu verdanken, die in Altdorf lehrten. Mit einem "merkwürdigen Versuch über die Wirkung der Sonnenstrahlen" kam Johann Heinrich Schulze (1687 bis 1744) der Lichtempfindlichkeit des Silbernitrats auf die Spur – und legte damit die Grundlagen der Fotografie.

Erfindergeist

Daniel Schwenter erläuterte 1636 in seinem Werk "Mathematische und philosophische Erquickstunden" die Herstellung eines Füllhalters aus einem Federkiel, welcher "Dinten hält und soviel lässet als man bedürftig". Außerdem erfand Schwenter einen Schwimmgürtel aus luftgefüllten Hundshäuten, damit Jäger besser durchs Wasser laufen konnten.

Zusammen mit Schwenter baute Johann Praetorius (1537 bis 1616), der erste Professor für Mathematik in Altdorf, einen Messtisch zur Herstellung maßstabgerechter Landkarten. Außerdem befasste sich Praetorius mit Astronomie, die damals noch zur Mathematik zählte.

Aus seinen Manuskripten geht hervor: Er glaubte zwar nicht an das damals revolutionäre Weltbild des Kopernikus, in dem sich nicht die Sonne um die Erde, sondern die Erde um die Sonne dreht. Aber er bewunderte die mathematische Leistung von Kopernikus und versuchte, sie aus der Sicht der üblichen geozentrischen Weltbildes nachzuvollziehen. Abdias Trew, ab 1636 Professor für Mathematik in Altdorf, erfand mit dem "Ingenieurs-Stab" einen Vorläufer des Rechenschiebers. Trew war auch der erste Astronom in Altdorf, der dort eine Sternwarte errichtete: Zwei Jahre benutzte er einen Turm in der nördlichen Stadtmauer als "Observatorium Astronomicum". 1657 wurde dieser Turm ausgebaut und unter anderem mit einem drehbaren Dach versehen.

Wie die bis heute erhaltenen Vorlesungsverzeichnisse zeigen, bot Trew immer wieder praktische Übungen in seiner Sternwarte an. Insbesondere beobachtete er von hier aus die Kometen von 1652, 1661 und 1665/66.

Talentförderung

Bereits Trews Nachfolger Johann Christoph Sturm (1635 bis 1703) benutzte den alten "Trewturm" allerdings kaum mehr. Die damals aufkommenden, sehr langen Teleskope fanden in dem engen Gemäuer keinen Platz. Stattdessen legte Sturm das wissenschaftliche Fundament der Experimentalphysik.

Nicht nur herausragende Gelehrte waren an der Altdorfina tätig, sie brachte auch Absolventen hervor, die es später zu einigem Ruhm brachten. Darunter waren so prominente Namen wie der Barockdichter Georg Philipp Harsdörffer (1607 bis 1658) und der Komponist Johann Pachelbel (1653 bis 1706).

Eine besondere Stellung nimmt dabei der Nürnberger Arzt Christoph Jacob Trew (gesprochen: Treu, 1695 bis 1769) ein, der in Altdorf studiert hatte. Sein spezielles Interesse galt der Anatomie – und seiner Sammlung einschlägiger Literatur seit der Erfindung des Buchdrucks um 1450. Sein "Museum Trewianum" gilt heute als eine der bedeutendsten wissenschaftlichen Privatsammlungen des 18. Jahrhunderts.

Dazu entwickelte er selbst ein ehrgeiziges Buchprojekt: In sechs bis acht Bänden wollte er die gesamte Anatomie des menschlichen Körpers in einem prachtvollen Tafelwerk abhandeln. Zwar erschien im Jahr 1740 lediglich eine "Osteologie" aus seiner Feder.

Der Foliant wird allerdings zu den besten Knochen-Atlanten des 18. Jahrhunderts gezählt. Die Fachwelt hält Trew aber auch für einen der bedeutendsten Botaniker seiner Zeit. Er ließ Zeichner, Maler und Kupferstecher Bilder von Pflanzen und Blumen erarbeiten und verlegte die Werke in Form von Büchern und Blättern.

Diese Sammlung vermachte Trew "seiner" Universität Altdorf. Nach deren Auflösung 1809 setzte eine königlich-bayerische Verfügung die Universität Erlangen zur Erbin ein. Die Sammlung umfasst heute mehr als 34 000 Bücher, etwa 19 000 Briefe aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert sowie fast 2500 illustrierte naturkundliche Blätter.

Sprungbrett

Ein anderer, sehr prominent gewordener Student der Altdorfina war Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 bis 1716). Mit 15 Jahren hatte er sich an der Universität Leipzig eingeschrieben – kurz darauf auch in Jena – um Philosophie, Juristerei, Mathematik und Physik zu studieren. Mit 20 wollte er promovieren, doch das wurde in Leipzig abgelehnt.

Die Uni Altdorf hatte damit kein Problem. Sie verlieh Leibniz 1667 für seine Arbeit mit dem Titel "Lösung verwickelter Rechtsfälle" die Doktorgrade in kanonischem und weltlichem Recht. Gleich danach bot ihm die Altdorfina eine Professur an, doch Leibniz war nicht zu halten.

Er ging in die – heute würde man sagen – Politikberatung und arbeitete für Promis wie den französischen Sonnenkönig Ludwig XIV. und den brandenburgischen Kurfürst Friedrich III., den späteren König Friedrich I.

Ebenfalls nicht lang in Altdorf war ein anderer, später berühmt gewordener Student. Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein (1583 bis 1634) fiel vor allem durch Saufen, Prügeln und Randalieren auf. Als er jemanden fast totschlug, flog er im März 1600 endgültig von der Altdorfina. Im Dreißigjährigen Krieg spielte er unter dem Namen Wallenstein eine ziemlich bedeutende Rolle.

 

 

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