Entwicklungshilfe am Kilimanjaro

21.2.2015, 09:45 Uhr
Entwicklungshilfe am Kilimanjaro

© Paula Merten

Würde man mich fragen, was hier anders ist als in Deutschland, würde ich spontan „alles“ sagen. 32 Grad, 25 Menschen, ein Kleinbus mit gealtertem Motor – für Leute mit Klaustrophobie also der falsche Ort. So komme ich hier, im Land der Serengeti und des Kilimanjaro, von A nach B.

Vor 6 Monaten hat es mich nach Nkoaranga in Tansania verschlagen, einem kleinen Dorf am Fuße des Mount Meru, dem drittgrößten Berg des Landes. Hier verbringe ich meinen Alltag in einem Waisenhaus mit 24 Kindern, die rund um die Uhr versorgt werden wollen.

Die Vorbereitungen für meinen Freiwilligendienst liefen bereits im Dezember 2013, als ich bei meiner Entsendeorganisation "Mission Eine Welt" an einem Auswahlwochenende in Neuendettelsau teilgenommen habe. Nach einer Zusage ging es mit Kiswahili-Sprachkursen während der Abizeit weiter und endete in Deutschland vorerst mit einer Vorbereitungswoche kurz vor meiner lang ersehnten Ausreise im August 2014. Seitdem lebe ich mit meiner Mitfreiwilligen in einem Haus auf dem Gelände des Waisenhauses.

Echte Herausforderung

Es hat nicht lange gedauert, bis ich mich in die Arbeit im „Orphanage“ eingefunden habe. Die Kleinen, die im Kinderheim zuhause sind, sind zwischen null und fünf Jahren alt und wollen gebadet, gefüttert, getröstet, mit Stoffwindeln gewickelt und bespaßt werden. Das sagt sich sehr einfach, aber vor allem die älteren sind manchmal eine echte Herausforderung. Allerdings habe ich immer Unterstützung von den Mamas, die das Waisenhaus führen, sich liebevoll um die Kinder kümmern und mir bei Sprachproblemen zu Hilfe kommen.

Auch wenn meine Arbeit manchmal nervlich ganz schön anstrengend sein kann, sind es doch die Kinder, die dafür sorgen, dass die Arbeit Spaß macht und jeder Tag anders ist. Durch die Zusammenarbeit mit den Mamas wird mir ein Einblick in das tansanische Leben gewährt – ob in Gesprächen über Unterschiede zwischen Deutschland und Tansania oder in Sachen landestypischem Essen.

Manchmal sehr angenehm, ab und an aber auch anstrengend ist es, dass hier alles „pole pole“ (langsam) abläuft. Keiner ist gestresst, alle gehen die Dinge langsam an. Es kann wirklich die Nerven strapazieren, wenn man beispielsweise um 14 Uhr verabredet ist und daraus 16.30 Uhr wird. In Sachen Geduld bin ich in den letzten Monaten definitiv gewachsen.

Nicht nur die 6000 Kilometer, die mich von meinem Heimatort Schwabach trennen, machten sich am Anfang bemerkbar, sondern auch so manch andere Dinge, die hier komplett verschieden sind als in Deutschland: beispielsweise alleine – ohne Mama – zu leben, kein fließend Warmwasser zu haben, nur gefiltertes oder gekauftes Wasser trinken zu können und ab und an ohne Strom auskommen zu müssen. Aber man gewöhnt sich an alles und mittlerweile klappt die Haushaltsführung auch ohne Wasch- und Spülmaschine problemlos.

Der Größere hat Vorfahrt

Auch die Transportmittel sind hier total anders, als ich sie gewohnt war: Radfahren gestaltet sich hier schwierig. Entweder aufgrund der Straßenbeschaffenheit – Schotter und Steine - oder wegen der Fahrweise der anderen Verkehrsteilnehmer, denn der Größere hat Vorfahrt. Deshalb fahre ich Kurzstrecken per "dala dala" (Kleinbus) oder "piki piki" (Motorrad) und Langstrecken mit dem Bus; in Tansania existiert nämlich nur eine Zugstrecke, von Dar es Salaam nach Kigoma, die ich bis jetzt noch nicht getestet habe.

Auf das tansanische – tropische – Wetter musste ich mich anfangs umstellen, zumal ich aus dem warmen deutschen Sommer in der kältesten Zeit des Jahres hier angekommen bin. In Tansania gibt es zweimal jährlich Regen- beziehungsweise Trockenzeiten, eine der „kalten“ Regenzeiten ist im August.

Vor allem aber ist der Umgang der Menschen miteinander irgendwie anders. Es ist sehr wichtig, sich gegenseitig zu helfen. Ohne Kontakte geht hier gar nichts; denn wenn es nicht jemanden gibt, der da jemanden kennt, der dort jemanden kennt, dann kommt man nicht sehr weit. Ältere Menschen werden immer gegrüßt, man wünscht sich eine schöne Arbeit oder einen schönen Tag, drückt aber auch sein Mitgefühl aus: „pole ya kazi“ - mein Mitgefühl und meine Wertschätzung für deine Arbeit! So kannte ich das aus Deutschland bisher überhaupt nicht. Ich habe den Eindruck, dass gute Beziehungen einen viel größeren Stellenwert haben als beruflicher Erfolg.

Gefüttert mit Ziegenfleisch

Denn Gemeinschaft ist hier ein wichtiges Thema: Konfirmationen, Hochzeiten oder Beerdigungen werden ganz groß gefeiert. Die Leute reisen manchmal durch das ganze Land, um bei einer Feierlichkeit dabei sein zu können. Und Tansania ist zweieinhalbmal so groß wie Deutschland!

Hier spielt zum einen das Gastsein eine große Rolle und zum anderen das Essen. Es gibt immer ein großes Buffet und die Reihenfolge der Gäste ist sehr wichtig. Als Gast sitze ich in der ersten Reihe und „darf“ an einer langen Schlange vorbei direkt zum Buffet gehen - Nein sagen ist hier ziemlich unhöflich und wird in diesem Punkt auch nicht akzeptiert.

Ich werde auch immer als Ehrengast angesehen und beispielsweise bei einer Konfirmation von dem Konfirmand, den ich gar nicht kenne, mit Ziegenfleisch gefüttert, wie es hier bei Feierlichkeiten so üblich ist. Als Weiße werde ich meine restliche Zeit hier wohl immer ein Gast sein, obwohl ich manchmal lieber ganz normal behandelt werden würde - um nicht das Gefühl zu haben, ständig eine Extrawurst zu bekommen.

Der evangelische Glaube wird hier offen gelebt und hat einen sehr hohen Stellenwert: an so gut wie jedem Auto kann man einen Bibelvers oder einen Spruch über Gott lesen. Aber nicht nur auf den Straßen ist der Glaube zu finden, auch bei alltäglichen Dingen wie den Mahlzeiten. Als ich mit meiner Mitfreiwilligen einmal Essen war, hat uns ein Mann ganz komisch angeschaut und uns gefragt, ob wir denn nicht vor dem Essen beten wollen – das macht man hier eben einfach so in der Öffentlichkeit und keiner schämt sich oder hat ein Problem damit.

Gespräche mit Fremden

Was mich auch sehr beeindruckt, ist das Nationalbewusstsein der Leute hier – sie sind stolz Tansaner zu sein und das finde ich wirklich schön! Eine andere Sache freut mich immer wieder: Dass ich oft mit fremden Leuten ins Gespräch komme, vermutlich vor allem deshalb, weil ich hier allein wegen meiner Hautfarbe auffalle: „Woher kommst du? Was machst du hier? Herzlich Willkommen in Tansania!“ Und oft freuen sich die Gesprächspartner dann, wenn sie merken, dass ich halbwegs auf Suaheli eine Konversation führen kann.

Als die zweite Frage bei einer meiner ersten Unterhaltungen „wie viele Kinder hast du?“ lautete, hab ich schon ein bisschen komisch geschaut, aber das ist keine ungewöhnliche Frage. Müttern wird hier sehr viel Respekt entgegengebracht. Wenn ich ab und an mit Mama angesprochen werde, muss ich doch immer noch schmunzeln.

An der Hilfsbereitschaft der Menschen erfreue ich mich immer wieder: wenn man mal nach einer Straße oder einem Markt fragt, dann bringt die gefragte Person einen direkt zu der besagten Stelle, anstatt nur den Weg dorthin zu erklären.

Etwas komplett Neues

Unwohl ist mir immer noch in Situationen, in denen ich das Gefühl habe, hier ein Phänomen zu sein. Oft wird man direkt angesprochen: „mzungu!“ Das bedeutet so viel wie „Weiße, Europäerin“. Es kam schon vor, dass ich von Kindern nur auf Grund meiner Hautfarbe um "zawadi" (Geschenke) gebeten wurde. In solchen Situationen frage ich mich immer wieder, was für einen Eindruck andere Weiße hier wohl hinterlassen haben müssen.

Mein Eindruck von Tansania ist bis jetzt auf jeden Fall positiv und ich kann einen Freiwilligendienst sehr empfehlen! Es ist aufregend, einmal etwas komplett Neues zu erleben. Weit weg von zu Hause zu leben und zurecht zu kommen, alleine zu wohnen und für sich selbst sorgen zu müssen - das lässt einen in vielen Bereichen wachsen.

Auch wenn es anfangs nicht immer leicht war, fühle ich mich hier mittlerweile doch irgendwie zu Hause und weiß jetzt schon, dass mir nach meiner Rückkehr im kommenden August vieles fehlen wird.

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