Für die Seele gibt es keine Pflaster

13.3.2018, 17:36 Uhr
Eine schwere Verletzung der Seele kann bis weit in die Kindheit zurückreichen.

© Selbsthilfegruppe Lebenslinie Eine schwere Verletzung der Seele kann bis weit in die Kindheit zurückreichen.

Vergewaltigt werden, immer wieder Prügel einstecken, in lebensbedrohliche Situationen kommen, Entsetzliches mit ansehen müssen – die Liste von Erlebnissen, die zu einem psychischen Trauma führen können, ist noch viel länger als diese Beispiele. Genauso lang ist die Liste von möglichen Folgen eines solchen Traumas: Sie reicht von Aggressionen, Albträumen und Ängsten über Selbstverletzungen bis zu dauernder Übererregung.

Trauma – das Wort kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet übersetzt: Wunde. "Wunden beziehungsweise Verletzungen können nicht nur den Körper betreffen, sondern auch die Seele eines Menschen", erklärt Claudia Cabolet. Der entscheidende Unterschied: "Wenn wir uns in den Finger schneiden, kleben wir ein Pflaster drauf, und alles ist gut. Bei einer seelischen Verletzung geht das nicht."

Claudia Cabolet arbeitet nebenberuflich als Traumafachberaterin und -pädagogin im Traumahilfe-Zentrum Nürnberg. Dahinter steckt ein Verein, der laut Satzung "die Vernetzung von Fachleuten und Einrichtungen zur Hilfe bei Traumatisierung sowie die Beratung und Unterstützung für Betroffene" bezweckt.

Claudia Cabolet arbeitet bei der Mudra-Drogenhilfe.

Claudia Cabolet arbeitet bei der Mudra-Drogenhilfe. © Horst Linke

Ein Mittel zu diesem Zweck ist der Zertifikatslehrgang, "Traumafachberatung/Traumapädagogik", den die Evangelische Hochschule in Zusammenarbeit mit dem Traumahilfe-Zentrum anbietet. Geleitet wird das Studienangebot von der Hochschul-Professorin Gertraud Müller und dem niedergelassenen Psychotherapeuten Helmut Rießbeck, dem 2. Vorsitzenden des Traumahilfe-Zentrums.

"Unser Verein stellt im Wesentlichen die Dozenten, die Hochschule die Räume und die Logistik für den Unterricht zur Verfügung", erläutert Rießbeck den Kern des Vertrags, der kürzlich nach dreijähriger Laufzeit um weitere drei Jahre verlängert wurde.

120 Stunden an Wochenenden

Der Lehrgang umfasst insgesamt 120 Unterrichtseinheiten von jeweils 45 Minuten, die an zehn Wochenenden zu absolvieren sind. Zum Abschluss gibt es Zertifikate der Evangelischen Hochschule und der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT).

Die Teilnahme am Lehrgang kostet zwar 2500 Euro. "Aber viele können sich diese Investition bei Gehaltsverhandlungen oder beim Wechsel des Arbeitgebers wieder reinholen", meint die Vereinsvorsitzende Marion Nagengast-Schneider.

Denn Zielgruppe sind nicht nur Leute, die gezielt beim Traumahilfe-Zentrum mitarbeiten möchten. Der Kurs wendet sich vor allem an Personen, die im psychosozialen Bereich tätig sind und dabei nicht selten auf Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit traumatischen Erfahrungen treffen.

Bei der Vertragsunterzeichnung (von links): Marion Nagengast-Schneider und Helmut Rießbeck vom Traumahilfe-Zentrum sowie Prof. Michael Kuch und Christa Stahl-Lang vom Weiterbildungsinstitut der Hochschule.

Bei der Vertragsunterzeichnung (von links): Marion Nagengast-Schneider und Helmut Rießbeck vom Traumahilfe-Zentrum sowie Prof. Michael Kuch und Christa Stahl-Lang vom Weiterbildungsinstitut der Hochschule. © Irene Haffa

So wie Claudia Cabolet: Im "richtigen" Erwerbsleben ist die gelernte Rettungssanitäterin und studierte Sozialpädagogin bei der Mudra-Drogenhilfe Nürnberg für die berufliche Integration ihrer Klienten zuständig und leitet die Kreativ-Werkstätten. 80 Prozent der Drogenabhängigen, die dort vor ihr sitzen, haben ein Trauma, schätzt sie. Wobei nur ziemlich selten klar ist: Was ist Ursache und was ist Folge? Ein Trauma wegen der Sucht? Oder umgekehrt?

Letztlich ist das auch völlig egal, "den Leuten muss geholfen werden", sagt Claudia Cabolet. Daher hat sie den Zertifikatskurs absolviert und versucht nun, mit den dort erworbenen Kenntnissen ihren Klienten bei der Mudra zu helfen.

Viele von ihnen wissen nicht einmal um ihr Trauma. "Die fragen sich: Was ist mit mir los? Warum bin ich immer wieder so unruhig? Warum raste ich in bestimmten Situationen gleich aus?", schildert Claudia Cabolet ein typisches Symptom.

In dem Lehrgang lernen die Teilnehmer, ein psychisches Trauma überhaupt als solches zu erkennen: "Verletzungen der Seele verursachen beim Menschen genauso Schmerzen wie Wunden am Körper", erklärt Claudia Cabolet. "Aber diese Art der Verletzungen oder auch die Narben, die bleiben, sind von außen nicht sichtbar."

Oft war auch das traumatisierende Ereignis so massiv, dass die Betroffenen sich selbst nicht helfen können. Sie sind derart ohnmächtig und hilflos, dass ein reines Notprogramm im Körper und der Seele abläuft, um das reine Überleben zu sichern.

Dazu kommt: Alle Reaktionen des Körpers und der Psyche auf ein Trauma sind völlig normal. "Es ist wichtig, das den Betroffenen so zu sagen", erklärt Claudia Cabolet. "Sonst glauben sie, schwach oder verrückt zu sein – oder gar selbst schuld."

Ziel einer Traumaberatung ist immer, dem Leidenden wieder mehr Sicherheit, Zufriedenheit und Lebensqualität zu geben. "Die Vergangenheit löschen, das geht nicht", sagt Claudia Cabolet, "aber die Betroffenen können lernen, mit ihren Narben zu leben."

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