Grünes Gift im Trend

3.6.2015, 08:00 Uhr
Grünes Gift im Trend

Ein tiefer Zug. Und Sekunden später ist alles anders. Alles schwarz, nur die Lichter grell. Der Kopf dröhnt, als würde er platzen. Das Herz pocht, der Körper bebt, Arme und Beine bewegen sich nicht mehr. Sind unfähig, einen einfachen Befehl vom Gehirn umzusetzen. „Ich dachte, ich sterbe“, erinnert sich Alex und streicht seine Locken aus dem Gesicht.

Die Jugendlichen hängen an seinen Lippen, lauschen, was ihr Freund erzählt. Es ist eine Mischung aus Faszination und Ekel, aus Grusel und Neugier. Dass Alex zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr mitbekommt, dass sein Kumpel sich die Seele aus dem Leib kotzt, röchelt und nach Luft schnappt, verschweigt er nicht. Der 15-Jährige schildert seinen „bad trip“ in allen Details — oder zumindest in denen, an die er sich erinnern kann. Er hat den schlechten Trip überlebt. Zwei andere Jugendliche aus Mittelfranken, 17 und 24 Jahre alt, nicht — allein im vergangenen Jahr.

Der Schein trügt

Es ist ein Mittwochabend im Jugendhaus Wiese 69. Zu Gast bei der Veranstaltung „Jugendliche fragen - Experten antworten“ ist Sandro Rösler von der Drogenberatungsstelle der Mudra. Thema: Kräutermischungen. Der harmlose Name — manche heißen auch Badesalz oder Düngepillen — passt zu den Verpackungen. Die sind quietschbunt, sehen aus wie Sammelkarten oder Spielzeug. Couchtrip heißt eine Mischung, Peace oder Green Beans. Zu bestellen sind sie ganz legal im Internet, ziemlich günstig sogar, ein Gramm kostet zwischen fünf und 12 Euro. Die Wirkung ist fatal. Manche werden verrückt, sehen und hören Dinge, die nicht existieren, fühlen sich verfolgt. Wieder andere verlieren jedes Zeitgefühl, drei Minuten werden zu endlosen drei Stunden. Die einen kotzen, bekommen Kopfschmerzen, Panik, einen Filmriss, schwitzen. Bei den anderen versagt der Kreislauf. Oder das Herz bleibt stehen. Das Unheimliche an den Kräutermischungen: Keiner weiß genau, was drin ist. In jeder Packung sind die psychoaktiven Substanzen unterschiedlich stark. Es ist ein wenig wie russisch Roulette. Die eine Packung berauscht, die nächste tötet.

„In drei Tüten von einem Hersteller, mit demselben Namen, können drei völlig unterschiedliche Drogen sein“, warnt Sandro Rösler. „Deswegen ist eine Überdosis so unvorhersehbar.“ Im Betonmischer, so schildert der Experte, drehen die Hersteller getrocknete Kräuter. Dann sprühen sie jede Menge Chemie darüber. Wie viel wovon auf welchem Gras landet, ist nicht planbar.

Grünes Gift im Trend

Abfall aus der Medizin

Die Chemie, die die Hersteller zum Rauchen, Entspannen oder Party-machen im Internet anbieten, ist zum Großteil Abfall. Abfall aus der Forschung für die Medizin. Welche Langzeitfolgen ein Konsument bekommt, ist nicht bekannt. Obwohl die ersten Kräutermischungen, auch „legal highs“ genannt, seit 2004 auf dem Markt sind, hat der Gesetzgeber die Sache längst nicht im Griff. Die Regierung verbietet bestimmte Stoffe. Tritt das Gesetz in Kraft, verändert der Hersteller ein, zwei Inhaltsstoffe und kann die Drogen wieder legal verkaufen. Das Ganze kostet den Hersteller 20 Minuten. Bis die langatmige Maschinerie der Gesetzgebung diese Zusammensetzung verboten hat, vergehen Monate, manchmal Jahre.

„Das ist ein Spiel wie bei Katz und Maus“, schimpft Sandro Rösler. Warum verbietet der Gesetzgeber nicht sämtliche der psychoaktiven Stoffe, die berauschen, süchtig machen und töten? „Weil manche Stoffe in bestimmten Dosen in der Medizin verwendet werden können“, lautet die Erklärung von Sandro Rösler. „Den Schuh, diese Stoffe zu verbieten, will sich keiner anziehen.“

Am Abend eine Tüte mit Kräutermischung zu rauchen entspannt, findet Alex. „Nach zwei, drei Stunden ist der Rausch vorbei und man kann super schlafen“, sagt er. Er glaubt ohnehin: Von 120 Neuntklässlern sind bestimmt 40 mit den Kräutermischungen in Berührung gekommen. Wahrscheinlich eher mehr. „Wir erleben in der Beratungsstelle gerade einen regelrechten Boom“, sagt Rösler. Deswegen hat die Leiterin des Jugendhauses, Michaela Wolf, ihn eingeladen. Dass Prävention nicht alle abschreckt, ist Wolf klar. Doch zumindest für Tatjana steht fest: „Ich will so was nicht probieren.“ Auf Kotzen, Herzrasen und Stimmen im Kopf hat sie nämlich keinen Bock.

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