Gut aufwachsen mit Buch, Zeitung und Tablet

9.12.2017, 08:00 Uhr
Gut aufwachsen mit Buch, Zeitung und Tablet

© Stefan Hippel

Diese Vielfalt stellt hohe Anforderungen an ihre Medienkompetenz. Und Eltern haben auch viel zu lernen.

"Mama, mach mal lauter!", ruft mein achtjähriger Sohn Finn vom Rücksitz. Im Autoradio beginnen die Nachrichten. Einerseits freut mich Finns Interesse am Weltgeschehen. Andererseits: Nachrichten sind nicht gerade für Kinderohren gemacht.

Ich drehe lauter. Die Nachrichtensprecherin berichtet vom Unglück des argentinischen U-Boots. "Inzwischen gibt es keine Hoffnung mehr, die Besatzung lebend zu bergen", tönt es aus dem Radio. Mein Sohn hört regungslos zu. Zum Glück wenigstens keine Sexualmörder, denke ich erleichtert, bevor der Wetterbericht beginnt.

Und dabei weiß ich es als Kinderredakteurin doch eigentlich besser: Heile Welt ist nicht. Kinder wollen die Welt verstehen, in der sie leben. Dafür müssen sie etwas über sie erfahren. Medienhäuser haben darauf reagiert. Neben Kinderseiten in der Tageszeitung haben viele Regionalzeitungen eigene Kinderzeitungen auf den Markt gebracht.

nanu!?, die Kinderzeitung der Nürnberger Nachrichten, feiert in diesen Tagen ihren zweiten Geburtstag. Seit Dezember 2015 versorgen wir Jungen und Mädchen ab sechs Jahren in einem monatlichen Magazin mit Nachrichten und anderem Lesestoff (siehe Kasten).

Kindermedien fördern die Partizipation von Kindern.

"Kindermedienangebote sind elementar wichtig", sagt Kathrin Demmler, Direktorin des JFF — Institut für Medienpädagogik in München. "Erwachsenennachrichten überfordern Kinder. In journalistisch hochwertig gemachten Kindermedien entsprechen Inhalte und Darstellung den kindlichen Interessen und Verständnismöglichkeiten. Solche Angebote unterstützen zudem die Partizipation von Kindern in unserer Gesellschaft."

Mediennutzung spielt im kindlichen Freizeitverhalten eine wichtige Rolle. 77 Prozent der Sechs- bis 13-Jährigen gucken beispielsweise jeden oder fast jeden Tag Fernsehen. Das zeigt die Kindermedienstudie KIM, die seit 1999 die Mediennutzung von Kindern untersucht.

Wichtigste Erkenntnis aus Studien wie dieser: Kinder integrieren Medienangebote völlig selbstverständlich in ihren Alltag. Denn selbst wenn sich rund zwei Drittel der Kinder regelmäßig mit Computer- oder Onlinespielen beschäftigen, rangiert etwa "Freunde treffen" seit Jahren unverändert auf Platz 1 der Freizeitaktivitäten. Und obwohl 35 Prozent mehrmals pro Woche Videos auf YouTube ansehen, sagen 52 Prozent der Sechs- bis 13-Jährigen laut KIM-Studie, dass sie gerne oder sogar sehr gerne lesen.

Die Stadtbibliothek Nürnberg zählt aktuell über 15 000 aktive Benutzer im Alter zwischen sechs und zwölf Jahren. Das heißt, jeder fünfte Nutzer ist ein Kind in dieser Altersgruppe, die im Schnitt 1500 Bücher und elektronische Medien pro Tag ausleiht. Bemerkenswerte Rückgänge lassen sich laut Stadtbibliothek nicht feststellen.

Ein Aufschrei kommt dennoch regelmäßig: Kinder lesen weniger als früher. Und schlechter. Ganz frisch bescheinigt die weltweite Lese-Untersuchung "Iglu": Jeder fünfte deutsche Viertklässler hat Schwierigkeiten beim Lesen. "Bei der Frage, was, wie viel oder wie gut Kinder heute lesen, müssen wir fragen, was Lesen eigentlich ist", sagt der Nürnberger Buch- und Medienwissenschaftler Stefan Salamonsberger. "Ist das Smartphone nicht auch ein Lesemedium?"

Salamonsberger beschäftigt sich als Leiter des Medienprojekts "Abenteuer Buch" und wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis München und Köln mit multimedialer Leseförderung und digitaler Bildung. Er sieht keineswegs eine katastrophal schwindende Lesekompetenz.

Sind die Kinder klein, gehe es vor allem darum, dass sie ein Text-Bild-Verständnis erlernen. "Kinder müssen für mediale Formen, für Bilder und Texte begeistert werden. Ältere Kinder", meint Salamonsberger. "müssen multimediale Mediennutzung lernen. Denn die Möglichkeiten, Inhalte wiederzugeben, sind vielfältiger geworden. Auch bei einem Computer-Rollenspiel muss ich lesen."

Ist das Smartphone nicht auch ein Lesemedium?

Der Leseexperte sieht den medialen Wandel als Herausforderung – auch für die Schulen. Es dürfe nicht nur um die Kompetenz gehen, Inhalte von gedruckten Texten korrekt wiederzugeben. "Wir haben aus dem Lesen einen Zwang gemacht. Viel wichtiger ist es, die Lust auf Geschichten zu wecken." Und wieso beschleicht mich als Mutter immer wieder der Gedanke, dass Buchlesen wertvoller ist als Tabletnutzung? Wieso begrenze ich die Zeit für ein Lego-Ninjago-Spiel, nicht aber beim Lesen der "Drei Fragezeichen"?

"Zu Medienkompetenz gehört auch die Reflexion der Eltern", sagt Medienpädagogin Kathrin Demmler. "Wir präferieren bestimmte Medien aufgrund eigener Emotionen. Eltern sollten sich für die Helden in einem Buch genauso interessieren wie für die Spiele-App und mit ihren Kindern über ihre Mediennutzung sprechen."

Auch Salamonsberger rät zu Gelassenheit: Eltern sollten mit ihren Kindern Medieninhalte vor allem teilen. Ob das Kind dann eine Geschichte in einem Buch liest oder in einer App erlebt, sollte nicht immer mit besser oder schlechter bewertet werden.

Nach dem Abendessen läuft bei uns der Fernseher. Mein Sohn guckt Nachrichten. Die Sendung "logo!" erklärt seit fast 30 Jahren täglich für Kinder das Weltgeschehen. Das explodierte U-Boot ist heute auch Thema. Kinder wollen wissen, was in der Welt passiert. Dass sie das Geschehen verstehen, ohne dass es ihnen Angst macht, ist Aufgabe von uns Kindermedienmachern. Und uns Eltern.

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