"Ich schlief draußen in der Hängematte"

3.7.2018, 18:14 Uhr
Praktikantin  Linnea Wilhelm (rechts oben) studiert an der Evangelischen Hochschule Nürnberg.

© privat Praktikantin Linnea Wilhelm (rechts oben) studiert an der Evangelischen Hochschule Nürnberg.

Die Philippinen erhalten derzeit vor allem aufgrund der fragwürdigen Drogenpolitik und zahlreicher Menschenrechtsverstöße von Präsident Rodrigo Duterte mediale Aufmerksamkeit. Das Land wird dadurch in ein schlechtes Licht gerückt, aber ich konnte mir während meines sechsmonatigen Praktikums ein eigenes Bild von dem südostasiatischen Inselstaat machen.

Ich fühlte mich von Anfang an besonders durch die hilfsbereite und gastfreundliche Art der Menschen sehr wohl und willkommen. Auf der Insel Mindanao unterstützte ich die Sozialarbeiter im Mariphil-Kinderdorf. Dort leben jeweils zwischen fünf und neun Kinder gemeinsam mit einer philippinischen Hausmutter in einem von acht kleinen Häusern. In diesem alternativen Familienumfeld erfahren die Kinder und Jugendlichen das Gefühl von Zugehörigkeit, Geborgenheit und eine liebevolle Erziehung.

Darüber hinaus erhalten sie Zugang zu Bildung, und ein professionelles Team kümmert sich unter anderem um die individuelle Talentförderung, um die medizinische Versorgung, angemessene hygienische Ausstattung, gesunde Ernährung sowie um die Aufarbeitung traumatischer Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen.

Lieber in der Hängematte

Unterstützt werden die philippinischen Mitarbeiter von uns deutschen Freiwilligen (Volunteers) und Praktikanten. Während meines Praktikums hatte ich die Möglichkeit, unmittelbar neben dem Kinderdorf in einer kleinen Bambushütte zu wohnen. Zwar gibt es dort ein Bett, aber ich entschied mich dazu, draußen in einer Hängematte zu schlafen.

Durch die Unterbringung neben dem Kinderdorf war ich Teil des Alltags der Kinder. Als "Ate Linnea", was übersetzt "Große Schwester Linnea" bedeutet, erhielt ich einen intensiven Einblick in ihren Tagesablauf: Wir aßen zusammen, ich half bei Hausaufgaben oder beim Bettfertigmachen.

Auch für die Freizeitgestaltung sind die Praktikanten und Volunteers zuständig. Am Wochenende boten wir verschiedene Clubs wie Skaten oder Zumba an, und in den Ferien planten wir ein umfangreiches Programm mit einer Musical-Aufführung und einem Ausflug ans Meer.

Zu meinen Aufgaben als Sozialarbeiter-Praktikantin gehörte neben der Betreuung und Beschäftigung der Kinder auch die Organisation eines monatlichen "Feeding-Programms" und anderer Aktionen in Zusammenarbeit mit den Sozialpädagogen vor Ort.

Ich habe mit meinen Kollegen zum Beispiel die Herkunftsfamilien der Kinder, Behörden oder andere soziale Einrichtungen besucht. Das "Feeding-Programm" ist eine Aktion, bei der in den ärmsten Stadtteilen von Panabo Essen an Kinder ausgegeben wird. Neben dem Angebot einer warmen Mahlzeit für diese Kinder, ist es das Ziel, Familien auf das Mariphil-Kinderdorf aufmerksam zu machen, mit den Menschen in Kontakt zu kommen und Hilfe anzubieten.

Noch immer gibt es im Projektgebiet viel zu viele Menschen, vor allem Kinder, die unter unwürdigen Bedingungen leben und hungern. Mein Aufenthalt hatte aber auch seine Schattenseiten: Ich habe Dinge erlebt, die mich wirklich an meine Grenzen gebracht haben. Ich musste etwa tatenlos mitansehen, wie Kinder, die man ins Herz geschlossen hat, das Kinderdorf verlassen, weil sie das Leben auf der Straße bevorzugen. Oder es stehen plötzlich Kinder vor der Türe, die von zu Hause geflüchtet sind, weil der Vater betrunken ein ums andere Mal zugeschlagen hat.

In diesen schwierigen Situationen war es für mich sehr hilfreich, dass wir uns in einer kleinen Gruppe aus deutschen Freiwilligen so gut austauschen und Erlebnisse und Gedanken teilen konnten.

Irgendwann werde ich in das Kinderdorf zurückkehren: "Balik Balik" bedeutet so viel wie "wiederkommen" oder "bis zum nächsten Mal". Ich habe hier auf den Philippinen ein Stück Zuhause gewonnen. Einen Ort, von dem ich weiß, dass ich jederzeit wieder mit offenen Armen empfangen werde. Eine Familie, die ich, seitdem ich wieder in Deutschland bin, von Tag zu Tag mehr vermisse. Aber diesen Preis bezahlt man eben, wenn man am anderen Ende der Welt ein Stück seines Herzens lässt.

 

Das Mariphil Kinderdorf bietet seit etwa sechs Jahren Straßenkindern und Kindern, die aus Gründen von Geldnot, Gewalt, Misshandlung oder Vernachlässigung nicht mehr in ihren Familie leben können, ein sicheres Zuhause. Es ist ein Projekt des Sigmaringer Vereins Hilfsprojekt Mariphil e.V., der im Jahr 2001 gegründet wurde und mit unterschiedlichen Projekten vor Ort die Gesellschaft nachhaltig verändern möchte.

Der Fokus liegt dabei auf der Bildungsförderung von Kindern und Jugendlichen, um ihnen ein langfristiges Entkommen aus dem Armutskreislauf zu ermöglichen. So erhalten in der Einsatzstelle in Panabo momentan etwa 50 Kinder nicht nur die Chance auf eine echte Kindheit, sondern auch auf eine selbstbestimmte Zukunft.

Wenn ihr Interesse habt, euch vor Ort auf den Philippinen zu engagieren, dann könnt ihr euch beim Mariphil-Vorstand Martin Riester melden oder direkt bewerben. Ob während eines freien Praktikums, eines anerkannten Praxissemesters für das Studium oder eines Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) mit dem Freiwilligendienst "weltwärts" in einem Partnerprojekt – Mariphil bietet euch vielfältige Möglichkeiten für einen sozialen Einsatz.

Auch als Besucher seid ihr dazu eingeladen, das Kinderdorf kennenzulernen. Und aus der Ferne kann man die Kinder als Projektpate mit einer monatlichen Spenden unterstützen. www.mariphil.com

 

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