Schlingpflanzen oder doch ein Spiegelei?

27.2.2017, 16:39 Uhr
Kai Schmidt ist Professor für Festkörperphysik an der Uni Erlangen-Nürnberg. Lösungsansätze für quantenphysikalische Probleme malt er gerne an die Tafel.

© Foto: Beeck, Kai Schmidt ist Professor für Festkörperphysik an der Uni Erlangen-Nürnberg. Lösungsansätze für quantenphysikalische Probleme malt er gerne an die Tafel.

Festkörperphysik. "Ich weiß, das klingt absolut dröge", sagt Prof. Kai Schmidt: "Als ich anfing, Physik zu studieren, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich mich irgendwann einmal mit dieser Thematik beschäftigen werde."

Mittlerweile ist Schmidt jedoch überzeugt, dass die Festkörperphysik zu den spannendsten und vielfältigsten Feldern der Physik überhaupt zählt. Das liegt vor allem daran, dass hier neben der klassischen Mechanik die Quantenmechanik eine wichtige Rolle spielen kann.

In Schmidts Spezialgebiet, der Quantenvielteilchenphysik, geht es um die Beschreibung einer sehr großen Zahl miteinander wechselwirkender Teilchen und ihres kollektiven Verhaltens. "Im Englischen gibt es da diesen sehr treffenden Ausdruck des ,more is different‘", erklärt der Wissenschaftler.

"Je mehr Teilchen beteiligt sind, desto ungewöhnlichere Eigenschaften von Materie sind zu erwarten. Jeder Festkörper stellt somit sein eigenes faszinierendes Universum mit ganz interessanten physikalischen Zuständen dar", erläutert der Forscher. Bevor Schmidt an die Uni Erlangen-Nürnberg kam, war er an der Uni Dortmund, im australischen Sydney und in Lausanne in der Schweiz tätig. "Das stimmt schon, wir sind oft umgezogen. Gewissermaßen gehört das zum Berufsrisiko, wenn man in der Wissenschaft tätig ist", sagt er und lacht.

Seit April 2016 lehrt Schmidt jetzt in Erlangen. Zunächst pendelte er ein halbes Jahr zwischen Dortmund und Erlangen; inzwischen lebt auch seine Frau mit den beiden Töchtern in Erlangen. "Wir wollten unserer großen Tochter keinen Wechsel innerhalb eines Schuljahres zumuten. Für sie hat das dann zehn Wochen Sommerferien bedeutet. Beneidenswert!"

Denn Schmidt selbst, "sitzt schon viel am Rechner" – so beschreibt er die Arbeit eines Professors für theoretische Physik. Und doch: "Was sich die meisten jedoch nicht vorstellen können – Probleme in der theoretischen Physik werden häufig nicht alleine im Kämmerlein gelöst, sondern oft im Gespräch mit Kollegen. Wir diskutieren viel. Manchmal entstehen dann Bilder bei mir im Kopf, die das Problem und deren Lösung visualisieren."

Aber wie kann man sich ein quantentheoretisches Problem oder gar dessen Lösung als Bild vorstellen? "Das ist ganz unterschiedlich. Es kann sich dabei um etwas Wellenförmiges handeln, es kann aber auch die Gestalt von etwas Flüssigem, Verformbarem oder Amorphem annehmen", antwortet Schmidt.

Die Quantenmechanik habe gewissermaßen ein ganz eigenes Temperament, weil sie so anders als der gesunde Menschenverstand funktioniert. Dies führe dann zu einer eigenen Bildwelt. "Ich weiß nicht, ob diese Fähigkeit auch andere Physiker haben, aber mir helfen diese intuitiven Bilder ungemein. Oft stellen sich darüber erst meine Lösungsansätze dar", sagt Schmidt.

Dabei steht er auf, geht zu seiner Bürotafel, nimmt eine Kreide und beginnt zu skizzieren: zwei Mikroteilchen, die diffus und wellenförmig miteinander agieren. Heraus kommt ein Bild, das an eine Unterwasserwelt mit Schlingpflanzen erinnert. Oder ist es doch ein großes Spiegelei?

Schmidt zeichnet seine Bilder nicht nur auf Tafeln, sondern malt auch mit Acryl auf Leinwand. "Meine Bilder sind natürlich oft abstrakt. Angefangen habe ich aber mit ganz gegenständlicher Malerei." Das war während seiner Zeit im schweizerischen Lausanne.

"Von meinem kleinen, aber gemütlichen Balkon konnte ich den Genfer See sehen, den ich auch als Motiv verwendet habe." Von seiner Frau bekam er zum Geburtstag eine Staffelei geschenkt, und so intensivierte sich seine Leidenschaft fürs Malen.

"Man muss dazu aber sagen, dass ich eher phasenweise zeichne. Zum einen sind das natürlich meine quantenmechanischen Bilder. Zum anderen ist das Zeichnen aber auch ein emotionales Ventil. Meine Bilder markieren wichtige Ereignisse in meinem Leben."

Momentan kommt er nicht mehr so häufig zum Malen. "Das habe ich sträflich vernachlässigt. In unserem neuen Haus habe ich aber ein eigenes Zimmer, dessen Wände noch kahl sind."

Neben selbst gemalten Bildern von seinen Töchtern soll auch ein quantenmechanisches Bild seinen Platz finden. "Vielleicht visualisiere ich die Phasenübergänge in der Quantenphysik, die jenseits der bekannten Aggregatszustände von fest-flüssig-gasförmig liegen."

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