Leute, lasst euch auf dem Lande nieder !

25.4.2016, 16:54 Uhr
Leute, lasst euch auf dem Lande nieder !

© Foto: dpa

Vorher gibt es Blechkuchen und Brötchenhälften mit Käse und Wurst, hinterher Geschnetzeltes mit Reis oder Nudeln. Dazwischen liegen etwa zwei Stunden Programm, das stark an eine Kaffeefahrt erinnert. Der entscheidende Unterschied: Hier wird keinem eine überteuerte Heizdecke angedreht, hier geht es um eine Botschaft: Werdet Landärzte!

Die etwa 150 Medizin-Studenten sind nicht (nur) wegen der Verpflegung gekommen. Sondern weil sie sich wohl durchaus vorstellen können, mal als niedergelassene Allgemeinärzte aufs Land zu gehen. „Den schönsten Beruf der Welt“ nennt das Ernst Engelmayr, Landarzt in Röttenbach bei Erlangen und Lehrbeauftragter an der Uni Erlangen-Nürnberg.

Dort gibt es seit 2013 einen Lehrstuhl für Allgemeinmedizin – den ersten dieser Art in Bayern. Der beschäftigt sich allerdings weniger emotional, sondern eher rational mit dem Thema. „Wir sehen uns im gesellschaftlichen Auftrag, dazu beizutragen, dass auch in Zukunft eine adäquate primärmedizinische Versorgung in Bayern gewährleistet werden kann“, erklärt der Lehrstuhlinhaber Prof. Thomas Kühlein.

Noch sei die „Situation keineswegs bedrohlich“, meint Christian Bredl von der Techniker-Krankenkasse (TK) Bayern, noch herrsche kein akuter Mangel an Landärzten. Aber in fünf bis zehn Jahren könnten sich durchaus „Lücken auftun“.

In manchen Gegenden klaffen sie schon jetzt: In Spalt (Landkreis Roth) zum Beispiel hat Hermann Wissmüller seine Landarztpraxis 2014 altersbedingt geschlossen – ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Die Arzthelferinnen demonstrierten auf ihre eigene Art: Sie ließen sich im verwaisten Wartezimmer fotografieren: „Wir wollen einen neuen Chef!“

Stets Studenten im Haus

Unmittelbar von dieser Situation betroffen ist die Landärztin Ute Schaaf in Absberg am Brombachsee. Notgedrungen hat sie einen Teil von Wissmüllers früheren Patienten übernommen. Und sie macht sich Sorgen, wer einmal ihre Praxis übernimmt, wenn es soweit ist. Deshalb hat Ute Schaaf ihr eigenes Nachwuchsförderprogramm aufgelegt. Sie gibt regelmäßig mehreren Medizin-Studenten die Möglichkeit, in ihrer Praxis die Praxis kennenzulernen.

Manche kommen für ein sogenanntes Tertial (ein Drittel) des Praktischen Jahres (PJ), das jeder Medizinstudent vor dem Examen zu absolvieren hat. Andere leisten eine Famulatur (vierwöchige Praxisphase während des Studiums). Wieder andere jobben bei Ute Schaaf in den Semesterferien als Aushilfe, zum Beispiel beim Einsortieren der Patientenakten. Wohnen können die Studierenden alle bei der Landärztin im Haus, und zwar kostenlos.

Weil sie mit diesem Angebot genau ins Raster passt, ist Ute Schaaf Mitglied im Verein „Ärzte schnuppern Landluft“, kurz ÄSL. „Wir möchten Medizinstudenten schon so früh wie möglich im Studium an unsere Region binden und so langfristig die ärztliche Versorung in den ländlichen Gegenden sichern“, erklärt ÄSL-Sprecher Marc Metzmacher, der eine Hausarztpraxis in Gunzenhausen betreibt.

Zugleich ist diese eine von diversen Lehrpraxen, die vom Erlanger Lehrstuhl als solche zertifiziert wurden. Die ÄSL-Mitglieder bieten Studierenden in jedem Abschnitt ihres Studiums die Möglichkeit, Praktika, Famulaturen und PJ-Tertiale in ihren Praxen zu absolvieren. In der Regel bekommen die Studierenden dabei ein kostenloses Quartier.

Doch am Geld allein soll eine solche Erfahrung nicht scheitern. Die TK Bayern hat daher ein spezielles Förderprogramm aufgelegt. Wer eine Famulatur in einer Landarztpraxis machen möchte, kann für Unterbringungs- und Reisekosten bis zu 500 Euro bekommen.

Angeblich vorbei sind die Zeiten, in denen man als Landarzt „Tag und Nacht gearbeitet hat“, wie sich Dieter Geis, Vorsitzender des Bayerischen Hausärzteverbandes, an seine ersten 15 Beufsjahre erinnert. Heute gilt gerade der Landarzt-Beruf als familienkompatibel – weil in der Regel mehrer Kolleg(inn)en in einer Praxis zusammenarbeiten.

Völlig anderer Ansatz

Examens-Kandidatin Thurid hat das letzte Tertial ihres PJ in einer Hausarztpraxis absolviert – und ist begeistert: von der Verschiedenheit der Fälle dort, von der 1:1-Betreuung durch den Praxisarzt, vom direkten Patientenkontakt: „Das ist alles ganz anders als an der Uni.“

Vor allem aber ist sie von dem Behandlungsansatz der Allgemeinmedizin überzeugt: „In der Klinik wird zuerst Blut abgenommen und geröntgt, und dann erst befasst man sich mit dem Patienten. Ein Hausarzt spricht erstmal ausführlich mit dem Patienten und entscheidet dann, ob Blutabnehmen und/oder Röntgen angebracht ist. Das lernt man so im Studium nicht.“

 

Extra-Infos

Als Hausarzt wird ein Mediziner bezeichnet, der entweder als Selbstständiger mit eigener Praxis oder als Angestellter in einem Versorgungszentrum tätig ist. Der Hausarzt ist in der Regel die erste Anlaufstelle für Patienten mit medizinischen Problemen. Im Idealfall kennt der Hausarzt seine Patienten und deren Familien schon länger – was zu einem besonderen Vertrauensverhältnis führt. Wenn er es für nötig hält, überweist der Hausarzt den Patienten zum Facharzt oder ins Krankenhaus.

Die Krankheitsbilder, denen ein Hausarzt begegnet, sind ungemein verschieden. Daher sind die meisten Hausärzte Fachärzte für Allgemeinmedizin. Durch ihre Ausbildung sind sie darauf spezialisiert, eher harmlose Beschwerden von wirklich gefährlichen Krankheiten zu unterscheiden. Grundprinzip der Allgemeinmedizin ist das „offen lassende Abwarten“. Nur wenn es wirklich etwas Gefährliches ist, muss sofort gehandelt werden. Ansonsten gilt: Gelassenheit ist besser als Übereifer.

Als Landarzt wird umgangssprachlich ein Hausarzt – also meistens ein Facharzt für Allgemeinmedizin oder auch ein hausärztlich tätiger Internist – bezeichnet, der in einer ländlichen Region tätig ist. Dort sind die Entfernungen zwischen Arzt und Patient größer. Daher übernimmt der Landarzt häufig auch Aufgaben, die in städtischen Regionen eher den Fachärzten überlassen bleiben.

Verwandte Themen


Keine Kommentare