LiteratuReise: Der Spaziergänger

27.8.2018, 14:12 Uhr
Die Autorin an der Seite des "Spaziergängers" Sigi Sommer in München

© privat Die Autorin an der Seite des "Spaziergängers" Sigi Sommer in München

Grab für Grab schlendere ich durch die Gänge des Friedhofs und suche diese eine Ruhestätte. Sie  fällt nicht sonderlich auf. Das Grab im Neuhausener Friedhof in München ist simpel, obwohl es mit Blumen und Pflanzen übersäht ist. Neben den roten Blüten wächst noch goldbunte Kriechspindel, wie ein Kranz, um das Grab.
Das Grablicht verschwindet fast unter dem grün-braunen Chaos der Äste. Dahinter stehen die dürren Stangen eines Messing Kreuzes. In der Mitte ist ein Schild angeschweißt. Es trägt eine goldene Verzierung. Ein wenig wie eine Krone steht es über dem Namen Sigi Sommer. Gestorben ist er am 25. Januar 1996, wenige Tage danach wurde er hier beigesetzt.

Am 23. August 1914 ist Sigfried Sommer in München geboren. Mit seine Lokalkolumne „Blasius, der Spaziergänger“ wurde er zur Schreiblegende der Stadt. 1949 erschien diese erstmalig in der Abendzeitung. Er beschrieb den zeitgeschichtlichen Wandel Münchens fast 40 Jahre lang. Blasius, Sommers Alter Ego, schlenderte durch die Gassen und schnappte nicht nur Kuriositäten auf, sondern charakterisierte die Bewohner meist mit spöttisch und bissigem Blick.

Genau wie er, begebe ich mich als Spaziergänger auf seine Spuren. Nachdem ich den Friedhof in Neuhausen verlasse habe, mache ich mich gen Sendling auf. Dem Viertel, in dem der Journalist und Schriftsteller seine Kindheit und Jugend verbrachte. An der Ecke Bruderhof-, Schäftlarn- und Dietramszeller Straße schweift mein Blick nach oben. Auf dem blauen Straßenschild steht „Sigi-Sommer-Platz“.
Von hier sind es keine zwei Gehminuten bis zu seinem Elternhaus. Das grüne Dreieck, wie der Platz vor der Einweihung 2009 hieß, lässt vermuten, dass Sommer hier als Kind Verstecken und Fangen spielte. Der Platz ist ein Ort zum Erholen und Genießen.
Vor allem trifft der Platz sicherlich Sommers Geschmack, denn direkt daneben stehen Zeitungskästen. Sein Elternhaus in der Bruderhofstraße 43 ist ein einfaches Mehrfamilienhaus mit gelber Fassade. Heute lässt das Haus nicht mehr erkennen, dass eine der Legenden der Stadt hier Tag ein und aus ging.
Von der Idylle in der Nähe des Flauchers an der Isar, welche er gerne als „heimatlichen Mississippi“ bezeichnete, gehe ich zurück zur U-Bahn-Station Brudermühltunnel. Die Station eröffnete im Oktober 1989. Anders als an den meisten Stationen in München sind die Sitzbänke nicht parallel zum Gleis, sondern quer an der Plattform aufgereiht. Ich stelle mir vor, wie Sigi Sommer im hohen Alter an dieser U-Bahn-Station saß.  Ich fahre als nächstes zum Hauptbahnhof.

Sigi Sommer gehört zu München wie das bayrische Essen und Bier. Das dachte er sich vermutlich auch. Im Augustinerkeller hatte er seinen Stammtisch. Regelmäßig prostete er dort vielen berühmten Persönlichkeiten und Politikern der Stadt zu.
Neben knapp 6000 Manuskripte schrieb der gelernte Elektrotechniker 40 Bücher. Jedoch zeichnet ihn nicht nur das aus. Für so ein Münchner Original gibt es auch nennenswerte Ehrungen. Er erhielt unter anderem den Karl-Valentin- und den Bayerischen Verdienstorden. Damit sein Humor nicht vergessen wird, verleiht die Münchner Faschingsgesellschaft Narrhalla jedes Jahr den Sigi-Sommer-Taler. Dieser zeichnet bayrische Künstler und Kabarettisten aus, die einen schmunzeln lassen.

Übrigens gehören zu Sigi Sommer auch die Frauen. Er verehrte sie und schrieb auch den Roman „Meine 99 Bräute“ darüber. Doch nur für eine schlug fast 50 Jahre lang sein Herz. Der 40-jährige Sigi Sommer verliebte sich in die 18-jährige Louise Pallauf. Obwohl das eine Liebesbeziehung durch und durch war, die auch mit einer Tochter beglückt wurde, lebten die beiden nie zusammen. Bis zum Ende wohnte Sommer in einer Ein-Zimmer-Junggesellen-Bude. So klein, dass keine Frau freiwillig bei ihm einziehen wollte.

Nach dem Stopp steige ich am Marienplatz aus. Dort starrt mich das prunkvolle Neue Rathaus an. Ich schlendere Richtung Sendlinger Tor. In der Fußgängerzone am Roseneck, kurz bevor ich in die Sendlinger Straße biege, halte ich an.
Ein Flaneur steht neben mir. Es sieht aus als wäre er in seiner wohl gängigsten Form eingefroren. Die Bronzestatue von Sigi Sommer spaziert. Er hat die eine Hand in der Hosentasche und mit der anderen hält er seine Zeitung. Sommer trägt eine weite Stoffhose, darüber ein Blouson, das leicht geöffnet ist. Mein Blick wandert langsam nach unten. Ich entdecke ein, für die damalige Zeit sehr ungewöhnliches Detail. Sigi Sommer trägt ein Paar Sneakers. Das war seine Spaziergänger-Uniform. In seinem Gesicht ist der leicht angespannte, böse Blick von Blasius zu erkennen. Die Ironie steckt hier im Detail.
Seit 1998 steht er auf dem Sprung im Roseneck. Der Bildhauer Max Wagner gestaltete die lebensgroße Statue. Früher waren auf diesem Weg, in der Sendliger Straße, die Süddeutsche Zeitung und Abendzeitung ansässig. Sommer schrieb für sie Lokalspitzen und Sportberichte. Diese Straße hatte bei Sigi Sommer eine Sonderstellung. Sie galt „neben der Müllerstraße schon immer als eine ,Rue de Galopp' der Handelsklasse C.“, so beschrieb Sommer als Blasius in einer seiner Kolumne die verruchte Straße, in der er doch täglich anzufinden war.

Aus der bayerischen Landeshauptstadt ist er nie so recht weggekommen. Obwohl man seinen Bezug zu München eher als „flanierende, schreibende, grantelnde Hassliebe“ bezeichnen könnte, liebte er die Stadt, die er besser kannte  als sonst einer. Er ist heute noch präsent,  wenn auch nicht auf die gleiche Art und Weise wie damals. Er ist und bleibt ein Beobachter der Stadt, und ganz gewiss spaziert Blasius auch heute noch durch die Gassen.

VANESSA SCHWENK

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